Blauer Pfau und schwarze Schlange

Essay zum Thema Gesellschaft/ Soziales

von  Regina

Von den ca. dreißig Millionen Kurden weltweit gehören etwa eine Million der Religionsgemeinschaft der Jesiden an. Die meisten von ihnen sprechen Kurmandschi, eine indogermanische Sprache, die dem Persischen verwandt ist. Die Kurden bewohnen Gegenden im Nordirak, im Iran, in der Türkei und in Syrien, aber kein zusammenhängendes Land.


Es wird angenommen, dass die Bezeichnung Jesiden von dem iranischen Wort "Yasata" herrührt, was "göttliches Wesen" bedeutet. Die Religion der Jesiden ist monotheistisch, sie beinhaltet Anklänge an orientalisches Christentum, Manichäismus, Gnosis, den altiranischen Mithraskult, Ahura Mazda und Zoroastrismus. Genau kann man aber nicht feststellen, welche Elemente ursprünglich vorhanden waren, und welche zu einem späteren Zeitpunkt angenommen wurden. Die Kosmogenesis ähnelt der der Bibel.


Die Jesiden verehren den Engel Melek Taus, der durch einen blauen Pfau symbolisiert wird, und sieben weitere Engel, die auch in der Lage sind, als Menschen zu inkarnieren. Auch die Seelenwanderung, Reinkarnation, gehört zum jesidischen Glauben sowie sieben Mysterien. Das zentrale Heiligtum befindet sich im irakischen Lalischtal, einem Wallfahrtsort, wohin jeder Jeside einmal im Leben reisen sollte. Verehrt wird auch Scheich Adi bin Nasafir, der 1073 bis 1163 lebte.


An anderen heiligen Gebäuden ist am Eingang eine schwarze Schlange angebracht, die beim Eintritt geküsst wird. Die Arche Noah sei von einer Schlange umgürtet worden, damit sie nicht auseinanderbricht. Manche Jesiden fühlen sich kleinen Reptilien besonders verbunden. Spekulativ ist die Vermutung, dass die biblische Erzählung von Eva und der Schlange einen Bezug zu den Jesiden habe. Auch eine Verbindung zu den Ophiten und ihrer Schlangengnosis ist nicht nachgewiesen. 


Die Jesiden zelebrieren eine Säuglingstaufe, bei der das Kind mit einem Jenseits-Bruder oder einer Jenseits-Schwester verbunden wird. Wie die Muslime essen sie kein Schweinefleisch und führen die Knabenbeschneidung durch. Alkohol ist aber erlaubt. Sie feiern ein Frühlingsfest mit bunt bemalten Eiern, ähnlich dem christlichen Ostern.


Jesiden treten nicht missionarisch auf, weil ohnehin niemand zu ihrem Glauben übertreten kann, sondern in diese Gemeinschaft hineingeboren werden muss. Laut ihren Heiratsregeln soll ausschließlich ein Jeside geheiratet werden und in die gleiche Kaste, deren es drei gibt: die Scheiche, die Piri und die Laien. Die ersteren beiden haben spirituelle Aufgaben. Wer einen Partner einer anderen Religion heiratet, wird aus der Gemeinschaft ausgestoßen.


Allerdings können sie sich nicht auf ein heiliges Buch berufen, sondern nur auf mündliche Überlieferungen, die teilweise in Hymnen wiedergegeben werden. Das trägt ihnen die Diskriminierung durch die Muslime ein und stuft sie noch tiefer als Juden und Christen, weil der Islam nur diese Buchreligionen akzeptiert.


So gilt das Jesidentum als vorislamischer Aberglaube und Muslime sind der Ansicht, dass diese Leute schwarze Magie treiben und den Satan anbeten. Solche Vorwürfe werden auch manchmal in Sprachkursen geäußert, von den Jesiden aber weder bestätigt noch dementiert.


Jesidenverfolgungen sind ab dem 13. Jahrhundert bis zum Ende des Osmanischen Reiches dokumentiert. Dabei wurde ihnen oft ein Konversionsultimatum gestellt, was bedeutete, zum Islam übertreten oder getötet werden. So flohen viele Jesiden schon früher nach Georgien, Armenien oder Russland, wo die Religionsgemeinschaft seit 2009 anerkannt ist. 


Auch Sadam Hussein führte um 1970 eine Zwangskonversion durch, 2007 engagierte sich dann die Al Qaida in dieser Weise. 2014 kam es schließlich zum Genozid durch den IS, dem etwa 3000 Männer zum Opfer fielen. Ca. 7000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, vergewaltigt und versklavt. Außerdem wurden die Jesiden zeitweise von der Lebensmittelversorgung abgeschnitten.


Wer fliehen konnte, siedelte sich schließlich in Europa, den USA oder Kanada an, wo sie überall Asylrecht genießen. In Deutschland leben 100 000 bis 200 000 Jesiden, die meisten aus dem Irak. Da sie in ländlichen Gegenden keinen Zugang zum arabischen Bildungssystem haben bzw. sich der Schulpflicht entziehen, sieht es auf dem Arbeitsmarkt nicht allzu rosig für sie aus. Sie wünschen sich einen Arbeitsplatz, wo sie nichts mit Muslimen zu tun haben. 


In den Irak möchten sie nicht zurückkehren, weil sie ihren Volksgenossen, welche muslimischen Glaubens sind, ebenso wenig vertrauen wie den arabischstämmigen Irakern. Geht es um den x-ten Versuch, einen Staat Kurdistan zu gründen, halten meistens alle Kurden zusammen, in puncto Religion kann wieder Feindschaft aufflammen.


Für junge Jesiden stehen in Deutschland die Heiratschancen nicht allzu gut, da sie wegen der beschränkten Zahl der hier Lebenden nur wenige mögliche Partner zur Verfügung haben. 


Eine Sprachkursteilnehmerin lud mich zur Hochzeitsfeier ihrer Nachbarin ein. Meine Annahme, dass diese in einer größeren Wohnung oder in einem Restaurant stattfinden würde, war weit gefehlt. Vielmehr trafen sich etwa 1000 Gäste in einer großen Halle zu Musik und einem Reihentanz, während ein Catering-Service allen diesen Leuten reichlich Speisen und Getränke servierte, finanziert auf Privatkreditbasis. Im Irak, so meine Schülerin, konnte man sich früher jede Woche bei einer solchen Veranstaltung satt essen. Für die Kinder existierte kein Schulstress und ein Taxifahrer in der Großfamilie konnte zehn Personen ernähren. Paradiesische Zustände, meinte sie, bis der IS anrückte.


Lange musste ich darüber nachdenken, ob es im Paradies eine Schule gab.



Anmerkung von Regina:

https://de.wikipedia.org/wiki/Jesiden

http://www.zeno.org/Herder-1854/A/Ophiten

IS= Islamischer Staat, dschihadistische Terrororganisation

Die Farben Blau und Schwarz beziehen sich hier in keiner Weise auf deutsche politische Parteien.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (20.02.25, 19:28)
Hallo Gina,
deine Beiträge zeigen immer auch sprachlich eine souveräne Bearbeitung deiner Themen,

LG
Ekki

 Regina meinte dazu am 20.02.25 um 23:29:
Vielen Dank, ich versuche hier interessante Erfahrungen zu vermitteln, die ich aus den Sprachkursen gewonnen habe.
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