Auf Leben oder Tod

Essay zum Thema Gesellschaft/ Soziales

von  Regina

Eine Tunesierin hatte sich missverständlich ausgedrückt. Deshalb frage ich nach: "Du hast also mit deinem Mann vor der Ehe eine sexuelle Beziehung gehabt?" Um Himmels willen, nein", rief sie aus, "mein Vater hätte mich umgebracht." Dabei macht sie eine Handbewegung an ihren Hals. 


Kommt es zu einer Diskussion über Ehrenmord, informiere ich dann, dass Mord bei uns verboten, Sex aber ab einem gewissen Alter freigestellt sei. Aber auch in den muslimischen Ländern ist Mord keineswegs erlaubt.


Nur in Pakistan bleibt der Ehrenmord gänzlich straffrei. In anderen Ländern kann ein Ehrenmörder mit relativ milden Strafen rechnen, ca. drei Jahren Gefängnis im Iran, in Kuwait, im Libanon, in Libyen, in Marokko, in Tunesien und in den Vereinigten Emiraten. In Jordanien kann es eine Strafmilderung geben oder lediglich bei einer Verwarnung bleiben.


Weltweit, so schätzen Experten, kommt es jährlich zu etwa 5000 Ehrenmorden. In Deutschland schlug um 2005 der Ehrenmord an Hatun Sürücü hohe Wellen, einer Kurdin aus der Türkei, die von ihrem jüngeren Bruder wegen ihres Lebenswandels erschossen wurde, der dann zu einer Jugendstrafe von neun Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Eine Beteiligung seiner älteren Brüder respektive der ganzen Familie konnte nicht nachgewiesen werden.


Um diesen für westliche Weltanschauung seltsamen Ehrbegriff zu verstehen, muss dessen Wesen näher untersucht werden.


Verschiedene Formen der Ehre werden mit den türkischen Wörtern Seref, Namus und Itibar bezeichnet. Seref bedeutet die Ehre des Namens und hängt vom Verhalten des ältesten Vaters im Großfamilienverband ab. Er soll gastfreundlich, höflich und respektvoll auftreten, dann hat er Seref.


Namus bezieht sich auf die Frauen in der Großfamilie, die keusch und treu leben, sich anständig kleiden sollen und als Jungfrau in die Ehe zu gehen haben. Handeln sie anderweitig, verliert der Vater an Ansehen, weil daraus geschlossen wird, dass er seine Familienmitglieder nicht unter Kontrolle hat.


Dem nicht genug, bezieht sich Itibar auf seine Kreditwürdigkeit und das bedeutet die gravierendste Auswirkung, denn üppige Hochzeitsfeiern, Hausbau, Handel und Geschäftseröffnungen basieren traditionell in vielen dieser Gesellschaften auf Privatkrediten, die Vertrauen voraussetzen. Mit einer Tochter, die sich in den Augen der Gesellschaft wie eine Schlampe benimmt (bei Sürücü hieß es auch: wie eine Deutsche), verliert die Familie dieses Vertrauen und bekommt keine Kredite mehr.


Die Ehre der Frauen hat also eine existenzielle Bedeutung und, um sie wiederherzustellen, sieht die Familie, vor allem im ländlichen Umfeld, oft keine andere Möglichkeit, als die unehrbare Tochter umzubringen.


Keine Regel ohne Ausnahme. Nicht überall und in allen Familien geht es gleichermaßen rigide zu. Im vom Tourismus und Handel mit Europa beeinflussten Tunesien kann es im Fall einer unehelichen Schwangerschaft einer Tochter sein, dass die Familie das Kind aufnimmt und die Mutter an einen Mann verheiratet, der auch dort auf dem Heiratsmarkt nicht hoch im Kurs steht, etwa ein älterer Witwer o.ä. Da die heiratsfähigen Mädchen einen Brautpreis einbringen, ist eine entjungferte nicht mehr viel wert. Aber auch der Ausschluss aus dem Familienverband ist möglich, der dann Mutter und Kind zum Betteln oder zur Prostitution zwingt. 


Ehrenmord ist die krasseste Konsequenz gesellschaftlich geächteten Verhaltens und wird manchmal als Suizid oder Unfall verschleiert. Mit Migration hat dieses Verbrechen im Namen der Ehre nichts zu tun. Es geschieht sowohl hier als auch in den Heimatländern.






Anmerkung von Regina:

https://de.wikipedia.org/wiki/Hatun_S%C3%BCr%C3%BCc%C3%BC

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (18.02.25, 22:11)
Eine filmische Darstellung, die mich sehr beeindruckt und in Cannes eine Goldene Palme erhalten hat, ist der Film "Yol - Der Weg" von Yilmaz Güney.

 AchterZwerg (19.02.25, 07:26)
Rechnet man die toten Soldaten dagegen auf, die zu Ehren des Vaterlandes, einer Nation, eines Despoten täglich auf den Schlachtfeldern hingemordet werden, bleibt nicht viel.
Es ist aus meiner Sicht nicht opportun, so unterschiedliche Rechtssyteme wie das muslimische und das unsrige zu vergleichen.
In Ländern, in denen kein mit dem unsrigen vergleichbares Sozialsystem existiert, ist die Ehre eine Ware, die das Auskommen eines Menschen, einer Familie bestimmt. Infolge geht es oft um Erbrecht.

Nehmen wir ein anderes, leichter verständliches Beispiel: das Wasserrecht.
In wüstenhaften Gegenden wird darauf beharrrt und dafür getötet (siehe auch Altes Testament). Im regenreichen England wäre das natürlich Mord.

Man muss sich mit diesen Dingen ausführlich beschäftigen, bevor sich das "Demokratenherz" empört.

Kann aber gut sein, dass du das bereits getan hast. :)

 Regina meinte dazu am 19.02.25 um 08:35:
Der Anfang meines Textes ist anekdotisch und da habe ich vor allem versucht, diese Frau und ihre Familie zu verstehen. Ansonsten stünde ich vor der Aussage "Mein Vater würde mich umbringen" nur perplex da oder würde sie verkehrt interpretieren.

Der Vergleich drängt sich doch auf, wenn Menschen ganz unterschiedlich argumentieren und handeln.

Ein Verbrechen rechtfertigt sich nicht dadurch, dass man es gegen ein anderes aufrechnet. Mord ist ein persönliches im zivilen Leben, Krieg hat immer die politische Seite. Auch die erwähnten Länder strafen ja, nur eben recht milde.

Die Ehre ist eher ein Wert, Ware die Frau, die für diesen Wert geopfert wird. Übrigens opfern Großfamilien gelegentlich auch Männer, aber das ist ein anderes Thema.

Empörung ist nicht mein Ding, ich versuchte den Phänomenen auf den Grund zu gehen und die Leute zu verstehen, mit denen ich konfrontiert war.

Es steckt da eben mehr dahinter als nur sexuelle Prüderie.

Antwort geändert am 19.02.2025 um 08:40 Uhr

 AchterZwerg antwortete darauf am 19.02.25 um 11:37:
Meine Rede!
Trotzdem bin ich (in aller Strenge) der Meinung, dass diejenigen, die bei uns Asyl finden, sich an die hier geltenden Gesetze zu halten haben.
Und wenn dies nicht gewollt oder gekonnt wird, sollte konsequent (!) abgeschoben werden.
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