Über das Schreiben
Text
von Saudade
Grundsätzlich finde ich es einmal nicht schlecht, dass zuerst ein Titel gefunden werden muss, denn ich gehöre zu denen, die zunächst gar nicht wissen, über was sie schreiben wollen, der Inhalt entsteht bei mir mit dem ersten Wort. Es ist egal, ob ich eine Geschichte erzähle, mich aufrege, mahnend den Finger erhebe oder mich belustige. Das erste Wort muss den Takt angeben, daher beginne ich zumeist mit "Tatsächlich, grundsätzlich, nun, aber, u.s.w.", das gibt mir eine Richtung vor.
Auch die "Mordfälle" sind noch nicht da, rein gar nichts, es fließt aus mir heraus.
Wenn ich mich bei jemandem bedanken dürfte, dann würde ich es bei der alten Haushälterin meiner Großmutter, Frau Haberl machen, bereits erwähnt, denn sie war die Einzige, die mir ununterbrochen Geschichten erzählt hat. Auch das Zuhören bei den älteren Herrschaften als Kind war ganz entscheidend für meine Fähigkeit, vielleicht das Einzige, auf das ich stolz bin, Geschichten aus dem Ärmel schütteln zu können.
Meine Ausbildung half dann auch noch, zunächst im Gymnasium, ich hatte eine Professorin, die uns oft spontan schreiben ließ. Sie sagte:"So, schreibt jetzt in fünf Minuten eine Geschichte." Ich liebte es sehr. Während andere mal vier Sätze zusammenbrachten, das waren die Nieleser, auch die mit Migrationshintergrund (interessant wäre es gewesen, wenn sie in ihrer Muttersprache schreiben hätten dürfen), schrieb ich zwei A4-Seiten. Ich hatte immer nur Sehr gut, bis zur Matura, da kam mein erstes Befriedigend und das auch nur, weil ich nicht flüssig schrieb, sondern zuerst vorschrieb und dann gelangweilt den Text in Schönschrift übertrug. Fragt nicht, es war ein Desaster. Nun, der "Besuch der alten Dame" war auch nicht gerade mein Lieblingsbuch, aber ich nahm das Thema, weil mich die Erörterung über "Jugendliche und ihre Träume von der Zukunft" nicht interessierten. Zu meiner Verteidigung: Meine Jugend war damals schon 22 Jahre her.
Wie auch immer, das Befriedigend tut mir heute noch weh. Aber, auch die Rechtswissenschaften waren nützlich. "Begründen Sie!"
Glaubt nicht, dass dies nicht manchmal ausartete. Einmal begründete ich zwei Seiten, was etwas ist, dann stand darunter: "Es ist recht schön formuliert, jedoch bleibt die Frage offen, was der Begriff eigentlich bedeutet. Nicht genügend."
Ja, so kann es einem auch ergehen, wenn man nicht auf den Punkt kommt.
Oder, einer, meiner ersten Klausuren im Privatrecht: "Gerne gelesen. Ich möchte Sie jedoch darauf aufmerksam machen, dass kein Aufsatz zu schreiben war. Nicht genügend."
Nun, ich schreibe eben gerne Geschichten. Immer noch. Die Antworten amüsierten mich stets, auch in der bitteren Stunde, aber je weiter man im Studium fortschreitet, desto karger die Worte. Überhaupt steht dann nur noch groß "5". Fünf ist nicht gut, wir haben nur fünf Noten im System. Anfrage an Herrn Professor: "Wieso habe ich ein Nicht genügend. Wäre eine Erklärung nicht gut für die nächste Klausur?" Antwort, nicht "It depends!", sondern "Sehr geehrte Frau Kollegin! (Wir Studenten werden immer mit Kollege oder Kollegin angesprochen) Zugegebenermaßen steht sehr wenig da."
Wenig? Gar nichts! Aber, so sind sie die Juristen, Fehler werden nicht eingestanden. Oh, da bin ich falsch, ich mache das schon. Ja, ich bin wirklich falsch. Es war sowieso verwunderlich, dass ich Leseratte nie Germanistik andachte oder Komperatistik. Kam mir nicht in den Sinn. Das Lesen ist mein Hobby, soll nie zur Pflicht werden.
Mir reichen die Fachbücher. Oft denke ich mir: "So ein Geschwurbel, bringe es auf den Punkt!" - Hoppala! Das tue ich doch auch nie. Der Punkt ist für mich ein Ende und ein Ende ist endgültig. Wenn ich den Punkt mache, dann nur dem Leser zu Liebe, er soll kurz Pause machen dürfen. Dies im Schreiben, im Leben ist für mich ein Punkt tatsächlich Endgültiges. Dies in Beziehungen. Man merkt, hier sind mehrere Punkte. Dies als Bestätigung. Wer Deppert ist, der hat in meinem Leben nichts mehr verloren. Aber, das musste ich auch noch lernen, ja, wahrlich, das war ein Prozess. Apropos, "Der Prozeß" - Kafka kann man nicht kopieren, wer es tut, der scheitert, ist nicht nur peinlich, sondern hyperpeinlich. Überhaupt, wenn es schlechte Schreiber probieren, das tut richtig weh.
Zulassungsschularbeit zur Matura, dreistündig. "Schreiben Sie über den "Prozeß" von Kafka. Ich schrieb eine dreiviertel Stunde nichts. Die Professorin ging durch die Reihen, blieb vor mir stehen, sagte: "Warum schreiben Sie nicht?" Ich sagte: "Ich habe es nicht gelesen." - "Wie bitte? Sie haben Kafka nicht gelesen?" - "Nein." - "Dann schreiben Sie die Erörterung über die "Bildung"". Ich schrieb die Erörterung über die "Bildung" (Vergleich zwischen einer Frisörin, die nur über die Königshäuser spricht und der eines (kein Scheiß!) Griechischlehrers, der Homer zitiert. Wer ist Gebildeter?" Fazit: Beide sind gleichsam gebildet. Dies ausgeführt auf 12 Doppelseiten, mit Literaturangaben, auch "A Die Aktuelle". Sehr gut!
Ja! Ich habe natürlich Kafka gelesen, alles von ihm, aber ich wollte darüber nicht schreiben. Ich hätte nur scheitern können. Was war? Ein paar Arme trauten sich darüber zu schreiben und fielen durch. Soll die Frau Doktor bis heute glauben, dass ich Kafka nicht gelesen habe. Er ist überhaupt der einzige Schriftsteller, der mir eine unangenehme Beklemmung verschafft, die mich gleichsam fasziniert. Ich spüre förmlich den ganzen Kafka (und der war groß!), mit seinem ganzen Gewicht auf mir liegen, wenn ich lese.
Ja, ich spüre überhaupt Autoren, bei Handke höre ich richtig seine ruhige Stimme, bei Bernhard sitze ich allerdings ihm gegenüber und grinse, er amüsiert mich stets, nein, ich lese ihn seit zwei Jahren gar nicht mehr, er ist aber in mir drinnen, ich bin er, ich rege mich auch gerne auf, übertreibe maßlos und mag ihn gerne, aber es hat sich ausgebernhardet im Lesen.
Auf jeden Fall, ja, ich wusste noch gar nicht, was ich schreiben wollte und jetzt schreibe ich bereits schon die ganze Zeit, ihr, Zeugen eines "Making of".
Was sonst noch wichtig wäre, ach ja, ich kann nie lernen oder schreiben, wenn es laut ist. Der Lärm macht mich nervös. Musik geht gerade noch, aber nur ganz leise. Ich höre das Schnarchen meines Katers. Entzückend.
Nun, es ist 2:42. Das weiß ich, weil in meiner Uhr wieder eine Batterie ist. Mein Chemielehrer sagte immer: "Sagen Sie nie Batterie! Das ist eine Monozelle!" Na bitte, sagen wir eben Monozelle. Ich frage mich manchmal, was Gebildete mit solchen Belehrungen bezwecken wollen? Das interessiert eigentlich niemanden. Aber gut, sagen wir eben "Monozelle", ab sofort, jeder. Warum? Weil ich es sage!
Gute Nacht.