Schnee im Kopf

Kurzgeschichte zum Thema Außenseiter

von  Clown

Schnee im Kopf


Ich heiße Robert, genauer gesagt Robert Walter Gerhard Baumgarten. Ich frage mich manchmal, in welchem Zustand meine Mutter auf so eine Namenskombination gekommen ist. Sei´s drum. Es ist Winter und kalt heute und ich will nach draußen. Den Mantel habe ich bereits an, eine Mütze ist auf dem Kopf, einen dicken Pulli trage ich darunter und ich habe Winterschuhe an den Füssen. Nur ein Handschuh fehlt mir noch. Es ist ein schwarzer Handschuh. Von einem Paar, das mir Mutter im letzten Jahr, als der Winter anfing kalt und ungemütlich zu werden, gekauft hatte. Schnäppchen, bei Karstadt. In schwarz, ja, ich mag dunkle Farben. Eigentlich müsste er gut zu sehen sein, in meiner Wohnung mit den weißen Wänden und den hellen Möbeln. Fenster sind auch genügend vorhanden, die Licht herein lassen.

Im Wohnzimmer, wo ich meinen Handschuh vermute, setze ich meine Suche fort. Hinter dem Computer finde ich ihn nicht. Vielleicht liegt er hinter der Kommode? Ich ziehe sie ein Stück vor, was auf Laminatboden leicht geht. Doch dort ist der Handschuh auch nicht. Ich schiebe die Kommode wieder zurück. Wo mag mein kleiner, schwarzer Winterhandschuh nur sein?


Ich suche hinter den Gitarrenverstärkern, die in meiner Wohnung stehen. Ich bin Musiker, habe eine Band und stelle mir vor, manchmal Auftritte zu haben. Jimi Hendrix und Eric Clapton sind meine Vorbilder. Vielleicht ist der Handschuh zwischen die Gitarrenkoffer gefallen? Aber auch da ist er nicht. Ob ich mit nur einem ausgehen kann? Nein, ich würde mir glatt fünf Finger abfrieren.

Im Schlafzimmer, unter dem Bett, finde ich ihn auch nicht. In der Küche wird er wohl kaum liegen, dorthin legt man keine Handschuhe. Ich sehe sogar in der Dusche nach - was eigentlich auch nicht sein kann. Ich durchwühle die Wäschetruhe, die wieder überquillt. Nichts! Kein Handschuh weit und breit. Aber irgendwo muss er doch sein, verdammte Axt.


Plötzlich klingelt es an der Tür und ich zucke zusammen - Mutter. Einen Moment lang überlege ich, ob ich ihr öffnen soll. Sie erzählt mir immer so merkwürdige Dinge über mein Leben, was ich tun und was ich lassen soll. Zögernd drücke ich den Summer und öffne die Wohnungstür. Ich höre sie die Treppen hochstöckeln.

Robert Walter“, sagt sie gleich an der Tür und mustert mich von Kopf bis Fuß. „Willst du wieder raus, weil es schneit?“

Das meine ich. So redet sie oft mit mir und spricht mich mit zwei meiner Vornamen an. Bist doch wieder viel zu warm angezogen“, fährt sie fort und zerrt an meinem Mantel.

Ich suche nach dem zweiten Handschuh“, antworte ich, „sonst friere ich an der linken Hand.“

Mutter sieht mich kopfschüttelnd an und schiebt mich vor sich her in die Wohnung. Sie schließt die Tür hinter sich, nimmt mir die Mütze vom Kopf und zieht mir unsanft den Mantel vollends aus. Dann holt sie eine leichte Jacke aus dem Schrank im Schlafzimmer, die ich anziehen soll.

Das reicht“, sagt sie.

Ich will nicht mit!“, protestiere ich, als ich die leichte Jacke an habe, „sonst friere ich.“

Aber Junge, hast du schon mal aus dem Fenster geschaut?“

Es ist kalt draußen, und es schneit, und ich kann meinen linken Handschuh nicht finden.“

Meine Mutter setzt sich an den Tisch und sieht mich an, dann neigt sie den Kopf und es scheint, als würde sie weinen.

Was hast du denn?“

Wenn du so weiter machst, musst du in die Klinik.“

Aber wieso denn? Was soll ich dort? Ist es da auch warm?“

Sie hebt den Kopf und eine Träne läuft ihr die Wange runter.

Es ist Mitte Juli, mein Junge, Sommer. Draußen sind es über dreißig Grad.

Die Sonne scheint und die Leute gehen ins Schwimmbad oder an den Badesee.“


Da habt ihr´s, solche Sachen erzählt sie mir die ganze Zeit. Und dann fängt sie wieder mit der Klinik an, wo man mir helfen könne. Manchmal sagt sie sogar: „Du hast Schnee im Kopf, Junge, Schnee.“



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Kommentare zu diesem Text


 hehnerdreck (01.06.25, 12:54)
Ach ja, diese schöne herrliche und gleichzeitig etwas tragische Überraschung - wie man sie in etwas auch von Roald Dahl kennt. Handwerklich gut umgesetzt. Zuerst stolpert der Leser über 'Ich bin Musiker ...',  die 'verdammte Axt', und das mit dem 'Erzählen der merkwürdigen Dinge' ... findet am Schluss dann die passende Antwort. Ob das mit dem Musiker und der verdammten Axt verzichtbar ist, da kann ich nur spekulieren. Entweder so lassen, oder etwas länger hinausziehen mit weiteren Andeutungen, die am Schluss zur Auflösung kommen.

Habs gern gelesen und einen schönen Sonntag!

LG

Kommentar geändert am 01.06.2025 um 12:55 Uhr

 Pearl meinte dazu am 01.06.25 um 13:31:
Hallo.

Der Überraschungsmoment erinnert mich an die Kurzgeschichte "El hombre sirena" und andere von Samantha Schweblin. Die Kurzgeschichte ist sehr, sehr gut geschrieben. Man merkt, ich merke, dass du sehr gut schreiben kannst.
Das mit der Axt habe ich nicht verstanden.

Liebe Grüße,

Stefanie

 Clown antwortete darauf am 01.06.25 um 14:44:
Hallo Pearl - es ist ein verbaler Ausdruck (oder Gedanke in dem Fall), wenn man etwas partout nicht findet. Danke für deinen Kommentar und auch der von Hehnerdreck. Ich habe mich gefreut, dass meine erste Geschichte Anklang bei euch gefunden hat.  :)

Gruß, Clown

Antwort geändert am 01.06.2025 um 14:46 Uhr

Antwort geändert am 01.06.2025 um 14:47 Uhr

 Saira (01.06.25, 15:45)
Moin Clown,
 
herzlich willkommen im KV! Ich wünsche dir hier viel Freude beim Schreiben und Lesen.
 
Deine Kurzgeschichte ist ein toller Einstieg mit der einfühlsamen Darstellung eines Außenseiters, der mit seiner Welt kämpft, während seine Mutter versucht, ihn zu verstehen.
 
LG
Saira

 Clown schrieb daraufhin am 01.06.25 um 17:40:
Hallo Saira,

Danke für den Willkommensgruß und deinen netten Kommentar.

Gruß Clown

Antwort geändert am 01.06.2025 um 17:42 Uhr

 AchterZwerg (02.06.25, 06:55)
Auch für mich ein gelungener Einstieg in unser vielseitiges Forenleben.   :D :O

Die eigentümliche Benamung des Protagonisten lässt vermuten, dass bereits seiner Mutter das Besondere im Blut lag - vielleicht ganz ohne Medikamentenbox.   8-)

Sei hier willkommen

 Clown äußerte darauf am 02.06.25 um 08:57:
Hallo AchterZwerg,

auch dir danke für deinen Kommentar und deinen Willkommensgruß. Die eigentümliche Benamung war der erste Einfall, den ich zu dieser Geschichte hatte. Ich fand ihn erst blöd, aber dann hat sich im Weiteren eine Geschichte daraus entwickelt.

Gruß, Clown

Antwort geändert am 02.06.2025 um 08:59 Uhr
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