Am Seil

Erzählung zum Thema Meer

von  S4SCH4

Die Innenflächen seiner Hände waren mit Schwielen bedeckt, sie waren dort rau und hart. Außen waren die Hände stark von der Sonne gebräunt und mit markanten Konturen, fast wie Bauklötze hätte man meinen können, wenn sie sich nicht so geschickt und agil um das Seil lägen, es bändigten, wie eine wildgewordene Schlange, deren Fasern, im Zuge eines letzten Augenblickes, alle einzeln um das Leben kämpften. Der Wind hatte stark zugenommen und Hux war also mit den Segeln beschäftigt. Er nahm Kurs auf unser Zuhause, da er vermutete, ein wahnsinniger Sturm bahne sich an. Er gab mir keinerlei Order etwas zu tun, er sagte nichts zu mir, weder ermutigende Worte noch eine Warnung. Ich kannte diese fokussierte und gänzlich auf eine Sache gerichtete Konzentration von Hux, doch im Hintergrund einer sich anbahnenden Unseligkeit, wie mir der Sturm, am immer schwärzer werdenden Horizont, eine schien, war mir diese seine Art nicht geheuer, um nicht zu sagen: sie war mir äußerst ungeheuer.
Irgendwie versuchte ich, mich nützlich zu machen, doch es wollte mir nicht gelingen, alles schien mir so lächerlich, so untauglich, so klein und unbedeutend, kurz: Ich kam mir überflüssig vor und versuchte gerade das Wort an Hux zu richten, irgendetwas zu sagen, um meine empfundene Einsamkeit und Unbedeutsamkeit fortschwinden zu sehen, als jener mir signalisierte, ich solle einmal zu ihm herkommen. Er gab mir dort ein Stück Seil in die Hand, meinte, ich solle es gut festhalten und regelmäßig darüber befinden, ob es noch ausreichend festgemacht sei, im Fall des Falles das Nötigste nachgeben und nur im äußersten Notfall, nämlich bei einer anstehenden Kenterung, gänzlich loslassen. Dankbar dafür, im Zuge des Kommenden, für etwas Sorge tragen zu können und beruhigt der Worte von Hux wegen, nahm ich das Seil wie etwas dergestalt in die Hand, an dem mein Leben hing und von dem ich bereitwillig war, es zu verteidigen. Zwar war das Seil bereits an einigen Stellen befestigt und ich musste daher keine andauernde Kraft aufbringen, um es zu halten, allerdings, und dies machte mir die Sache etwas unangenehm, da ich in reaktiver Position war, musste ich, sobald es sich zu lösen begann, mit aller Kraft einen Weg finden, es festzuhalten. Wie ich so darüber nachdachte, und ich muss dazu sagen, es war mein erster Segelausflug, dachte ich, dass Hux mir nur eine Aufgabe gegeben hatte, damit er und ich mich nicht tatenlos sah, und darüber hinaus etwas, von dem er, abgesehen von der Vergewisserung darüber, ob das Seil noch festgemacht sei, meinte, es träte ohnehin nie ein. Und doch: sollte der Fall eintreten, also das die Seilhalterung, aus welchem Grund auch immer versagte, wie hätte ich das Großsegel je bändigen sollen? Nach der ersten Dankbarkeit mischte sich also Verunsicherung über die erteilte Aufgabe herbei, etwas das mir, im sich immer weiter entwickelndem Sturm, nicht aus dem Kopf ging und zur Verschlechterung meiner Psyche und Physis beitrug; ich fühlte mich schlichtweg nicht gewappnet, im Argen gelassen, mit etwas konfrontiert, dass mir Mut und jenen Überlebenswillen nahm, den ich vor einigen Augenblicken noch bereitwillig verteidigen wollte.
Um Hux etwas zu fragen schien es nun zu spät, nicht nur, dass ich mir diese Blöße der Unwissenheit und Unsicherheit einfach nicht geben wollte, vielmehr war es laut und tosend um mich herum und mein Kumpan stand mit den Rücken zu mir, verrichtete derart vermutlich wichtige Arbeit, bei der, eine Frage wie die meine wohl eher unpassend käme. Viel Zeit darüber nachzudenken hatte ich nicht, denn die Wellen schlugen heftig gegen den Rumpf des Bootes und Hux verlor in Folge dessen seinen gebückten Stand, kippte kopfüber und lag auf allen vieren. Er richtete sich gerade auf, als mit einem Ruck der turbulente Wind wechseln wollte und eine riesige Welle das Deck traf und ausnahmslos bedeckte. Eisern prüfte ich, wie aufgetragen, die Festigkeit des Seils und war, nun, im Angesicht einer wahrscheinlicher werdenden Notwendigkeit das Seil auch wirklich festzuhalten, doch wieder gefasster in mir, sah mich bereits in Gedanken dabei, das Großsegel mit purer Muskelkraft haltend und austarierend zu beherrschen. Diese Flucht ins Imaginäre verbot ich mir bald, hielt, nachdem das Wasser vom Deck zurückgegangen war, Ausschau nach Hux, allerdings vergeblich, denn ich sah ihn nicht länger und fing an, mit den Beinen zu zittern. Dieser Zustand dauerte allerdings nicht lange an, denn die nächste Welle machte sich bereit und überzog mich von Kopf bis Fuß, während der Wind tosend um mich rang. Sehen konnte ich alsbald nicht mehr, alles, was ich tat, war mich darüber zu versichern, ob das Seil festgenug war und mich darauf vorzubereiten, jederzeit die Gedanken an meine überbordende Kraft umzusetzen. Welle auf Welle folgte, bis ich schließlich, nach einer Vielzahl von Herzschlägen, von denen ich allesamt dachte, es wäre wohl ein Letzter, den Hafen meiner Heimat sehen konnte.
Wie auch immer, ich steuerte geradewegs darauf zu, sah in Hafennähe das Segel über mir reißen, war dankbar darüber, denn ich hätte es nicht vermocht es einzuholen, und stieß schließlich mit dem Rumpf hart aber ohne weitere Komplikationen am Pier an. Mit letzter Kraft vertäute ich das Boot, fing über den Verlust von Hux heftig an zu weinen und rannte in die Hafenmeisterei um den Verlust dieses Mannes zu melden. Tage später spülte es ihn an, aufgedunsen und blau. Ich dachte dabei daran, dass das besagte Seil in jenen stürmischen Stunden wohl der einzig sichere Fleck, der einzig sichere Handgriff, das einzig richtige gewesen sei, um jener See zu trotzen. Er hatte es mir überlassen.


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Kommentare zu diesem Text


 dasAli (29.06.25, 17:07)
Vertrauen, Verantwortung, Verlust und vielleicht auch Schuld. Armer Hux... Ich mag die Sprache, und auch wenn Du darauf verzichtest, den Sturm an sich bildlich zu beschreiben, stellt sich die Stimmung automatisch ein. Danke

 S4SCH4 meinte dazu am 29.06.25 um 17:37:
danke dasAli und willkommen nochmal (zurück (?)). Der von dir genannte Verzicht, basierte auf einem inneren "och nö, nicht schon wieder Naturschauspiele beschreiben" und ich konzentrierte mich daher eher auf die Beschreibung des Gemütes meines am Seil hängenden lyrIchs. Also auf die Perspektive mentaler Unsicherheit, das entsprechende mangelde Vertrauen, Dinge mit denen der Erzähler dann doch überlebt, sich zeitweilen gar stark geträumt hat, wobei er doch den Verlust seines Kumpanen verkraften muss. Danke Dir.
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