Bis zum bitteren Ende

Erzählung zum Thema Gefangen

von  S4SCH4

„Kannst du die Freiheit schon schmecken?“, fragte Bill.
„Ja, sie ist ganz nah, ich höre Wind und grünes Gras. Ich sehe lose Steine herumliegen, Steine die nicht aufgetürmt zu großen Mauern sind und Menschen an einem Ort festhalten. Steine die wandern!“, meinte Jeff.
„Bald haben wir es geschafft mein Junge, grab´ nur noch ein Stückchen weiter, einen Tag, eine Nacht, vielleicht noch ein bisschen mehr oder weniger. Der Ausgang bleibt unsere Überraschung und unser Geheimnis, bis zum Ende.“
„Wie lange graben wir nun schon an dem Tunnel?“, wollte sich Jeff versichert finden.
„Lange, mein Freund, viel zu lange und die Flucht wird keinen Tag zu früh kommen.“
„Ja, keinen Tag zu früh. Wir haben es uns verdient, nicht wahr? Wir haben doch lange genug gesessen? Lange genug für das, was wir taten, oder Bill? Es war doch lange genug?“
„Mehr als das. Eine halbe Ewigkeit ist vergangen, unsere Frauen liegen in fremden Armen, unsere Kinder verfluchen uns, weil wir nicht für sie da waren und der Herrgott hat uns aus dem Blick verloren, wie wir hier drin all die Jahre schmorten“, erklärte man Jeff.
„Aber das wird sich ändern, nicht wahr Bill? Wir werden wieder zurechtkommen, ne?“
„Das werden wir, mein Freund, das werden wir.“
Jeff legte die Kelle zur Seite und stellte sich in Ecke der Zelle, denn auf dem Gang und vor den Gefängnistüren taten sich Schritte. Bill schmiss die Erde aus der Öffnung in der Wand, etwas das mit Gitterstäben versehen, als Fenster diente, und begab sich zurück auf seine Bettstelle. Jeff ging unruhig hin und her, er flüsterte leise zu sich, war offensichtlich nervös.
Als der Wärter vor die Zellentür der beiden trat und mit einem metallenen Schlagstock, über die Gitterstäbe glitt, horchten die beiden Insassen auf, verstummten und blickten die vor der Zelle stehende Autorität an.
„Es wird bald Frühling, wusstet ihr das schon?“
„Frühling?“, fragte Jeff, als hätte er vergessen, was das sei und nur noch eine trübe Ahnung darüber.
Bill schaute zu seinem Kumpel herüber:
„Mach dir nichts draus, auf die Vögel können wir verzichten.“
Der Wärter grinste, schlug seinen Knüppel in die linke Handinnenfläche, scheinbar als ein Zeichen seiner Machtposition.
„Bin ich auch einer eurer ´Vögel´?“, fragte er und ließ den Schlagstock in seiner Handfläche ruhen.
„Sie Sir? Nein.“, antwortete Bill.
Das Grinsen des Wärters hatte sich verflüchtigt, er spitzte nun die Lippen und fing an zu pfeifen, während er mit dem Knüppel erneut über die Gitterstäbe zog und von dannen schritt.
Es dauerte etwa eine Minute, bis dass das Pfeifen abebbte und die Schritte zu weit entfernt waren, um sie auf dem langen und leeren Gang noch wahrzunehmen.
„Ist er weg?“, fragte Jeff.
„Ja, er hat wieder n´ Abflug gemacht.“, meinte Bill und brachte seinen Kumpel damit zum Lachen.
„Gönnen wir uns eine Pause, Jeff“, meinte Bill und legte sich lang aufs Bett und schloss die Augen.
„Okay Bill, wie du meinst.“
Als jener wieder aufwachte, bemerkte er, wie sein Kumpel in der Zelle umherging und Selbstgespräche führte:
„Frei werden wir sein, sagt Bill, frei und zurechtkommen werden wir, sagt Bill. Ich bin so gespannt“, hörte er Jeff sagen. Dieser bemerkte nun wie sein Freund wieder aufgewacht war, setzte sich schnell auf sein Bett, fragte:
„Hab´ ich dich geweckt?“
„Nein, alles gut. Ohnehin, es wird Zeit weiterzumachen, wir wollen ja bald draußen sein, nicht wahr?“
Jeff nickte, ging zum Versteck für die Kellen und beiden machten sich dran weiterzugraben. Nach einigen Stunden meinte Jeff, die Erde würde lose werden, er könne ein Licht sehen und wäre nun nahezu durch. Er jubelte und Bill musste ihn zurückhalten, damit sein Freund nicht zu laut werde und noch jemanden aus der Wärterschar anlocke. Danach überzeugte sich Bill selbst von dem, was Jeff ihn frohlockend mitgeteilt hatte, und kam zu der Erkenntnis, dass sie es tatsächlich geschafft hätten und durchgebrochen seien.
„Lass uns bis heute Nacht warten! Dann brechen wir aus“, meinte Bill.
„Okay, du bist der Chef.“
Als es Nacht wurde und der letzte Rundgang der Aufseher vorüber war, krochen die beiden Gefangenen durch den Tunnel, räumten die letzte Erde fort und stiegen aus dem Loch auf ebene Erde. Es war stockfinster, kein Licht war zu sehen, kein Stern, kein Mond, die Luft war feucht.
„Wo wir wohl sind?“, fragte Jeff überglücklich, aber dennoch leise, als sei er noch in der Zelle.
Bill schwieg, er ging ein paar Schritte geradeaus.
„Komm, folge mir!“, meinte er und nahm Jeffs Hand.
Sie gingen langsam und bedächtig, Schritt für Schritt, Jeffs Hand zitterte.
„Was gäbe ich für ein Fünkchen Licht!“, meinte Bill.
„Hier sind Steine, Bill. Auf dem Boden, sie führen bestimmt irgendwo hin. Wollen wir uns an ihnen entlangtasten?“
„Gute Idee, Jeff“, und mit je einem Fuß schritten sie nun an dem etwa fußhohen Steinwall entlang, immer auf Berührung mit demselben bedacht, womit sie sich erhofften, irgendwann an einen Punkt zu kommen, der mehr Licht versprach.
Nach etwa einer Stunde fragte sie sich, ob sie im Kreis gegangen seien, und setzten sich auf den Boden.
„Ist das die Freiheit, Bill?“
„Ja, ich denke schon, aber lass uns jetzt ein wenig die Augen zu machen, irgendwann muss es ja aufklaren und wird gehen dann, bei besserer Sicht, weiter.“
„Okay Bill, du bist der Chef.“
Als Bill wieder aufwachte, er konnte die Augen kaum aufmachen, so hell war es ihm, hörte er, wie Jeff scheinbar wieder Selbstgespräche führte.
„Jeff, seit wann…“
Bill hatte die Augen während seiner Fragestellung geöffnet und sah nun den bekannten Wärter, sowie Jeff neben sich. Mit einem Satz sprang er auf. Der Wärter mit seinem Schlagstock, hatte hinter sich noch weitere Aufseher stehen, grinste und sagte:
„Na ihr beiden, so weit fort von zuhause? Meinetwegen könnt ihr gleich hierbleiben.“
Bill schaute sich um, überall Wände und eine hohe Decke, das Licht waren Leuchten, die über - und neben ihnen hell glühten, er hatte sowas noch nie gesehen.
„Wie gefällt euch der Neubau unseres Gefängnisses? Sogar elektrisches Licht haben wir. Verzeiht das sich das Ganze derzeit noch im Bau befindet.“
Die beiden schwiegen. Jeff hatte Tränen in den Augen, Bill ballte eine Faust. Die Aufseher lachten.


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Kommentare zu diesem Text


 Moppel (01.07.25, 10:03)
eine düstere Geschichte die kakfkaesk ausgeht. ich hatte es mir schon gedacht irgendwie.
Sie seigelt im Grunde das, über das wir schon sprachen: Schuld, Macht, Ausweglosigkeit. Getragen in die Gefängiswelt Amerikas , denke ich. bei uns wären Wärter nicht so.
Ein Mal Looser, immer Looser, auch hier lese ich das wieder.

Gut geschrieben. Mit vielen Facetten, die man diskutieren kann. Aber sehr düster... :(
lG von M.

 S4SCH4 meinte dazu am 01.07.25 um 10:29:
Danke für deine Gedanken zum Text. 

Das Amerikanische an der Geschichte lässt sich nicht leugnen, irgendwie dachte ich auch an B. Traven und seine Geschichten, sowie den Film „Flucht von Alcatraz“. 

Bei der Geschichte ging es mir primär um den Freiheitsbegriff, die Hoffnung darauf, das stete Fragen, ob man endlich genug gewartet hätte, um mit dem Leben wieder zu beginnen, eine Leitfigur dazu finden, usw. 

Dass die beiden ihre Freiheit selbst in die Hand nehmen und das von ihnen gebuddelte Loch des Nachts durchstoßen, damit in einem „Neubau“ ihrer Gefangenschaft landen, ist eine zentrale Symbolik des Textes. Die Fortentwicklung dieser „ewigen“ Gefangenschaft (auf Erden) wird mit dem elektrischen Licht und den Glühlampen auch angedeutet.

Antwort geändert am 01.07.2025 um 10:30 Uhr
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