Die eigene Bibliothek: Eine illustre Gesellschaft

Text

von  Saudade

Nein, es ist nicht egal, wer neben wem steht, das sollte doch wohl durchdacht sein. Eine Zeit lang stellte ich Österreicher zu Österreichern, Deutsche zu Deutschen, Franzosen zu Franzosen, aber das ist doch wahrlich zu nationalistisch. Auch Bücher haben Freunde und wer weiß schon, wie sie sich unterhalten, wenn wir schlafen? Manche sind zu lüstern, andere kriegsgeil, vielleicht sollte man dann die Ilias nicht gerade zum nächsten Griechen stellen, auch, wenn es anders eigentlich weh täte, wieder andere zu ernst, also, getrieben von dem Gedanken, meine Bücher doch immer wieder intellektuell zu fordern, begann ich sie zu durchmischen, schon blieben Bücher des selben Autors zusammen, jedoch nun amüsiert mich die Vorstellung, welcher Autor denn gut mit dem anderen zusammenpassen könnte, dann male ich mir ihre Gespräche aus, stelle sie zusammen, lasse sie eine Weile miteinander plaudern, bis ich sie, sofern Zeit und Lust da ist, wo anders hinstelle. 

Es gibt nur eine heilige Ausnahme, Thomas Mann steht immer neben Stefan Zweig und Adorno³, auch Hesse⁴. Thomas Mann und ich sind nicht die besten Freunde, dennoch ist meine Ehrfurcht groß. Der Briefwechsel¹ zwischen Mann und Zweig war intensiv und die Freundschaft innig. Wenngleich Mann manchmal negativ in sein Tagebuch schrieb, so wie über Zweigs "Maria Stuart"; so meinte er, dass das Stück "trivial" sei, "schmalzig geschrieben".²

Aber, auch der politische Austausch war intensiv, so Mann an Zweig am 25.Februar 1933: "Deutschland ist in einem unglaubwürdigen Zustand. Viele werden sich nachher doch noch schämen."²

Die literarische Auseinandersetzung über andere Autoren fehlte ebenso nicht, so schrieb Mann an Zweig über die "plastisch-epische Welt" Tolstois und die "abgründige Welt" Dostojewskijs (Mann an Zweig, 28.Juli 1920).²

Somit bleiben alle aus Ehrfurcht zusammen.

Ansonsten darf Sartre auch einmal mit Bolaño plaudern oder Simone de Beauvoir mit Elfriede Jelinek. 

Thomas Bernhard und Peter Handke mochten sich nicht besonders, dennoch stehen sie untereinander, ich überlege schöne Streitgespräche. Die sprachliche Differenz und Distanz der beiden, besonders in Bezug auf Adjektive, ist doch interessant. Joyce und Roth saufen miteinander um die Wette, manchmal poltert es (Schwerkraft?) in der Nacht, da fällt mir dann ein schönes Gelage ein. Herman Melville und Jane Austen, die Gespräche bleiben mir geistig verschlossen, aber Melville, der sich durchaus schon einmal mit Gott verglich, der spricht sicher über die Bibel; die arme Jane!

Dostojewskij stelle ich manchmal neben Nabokov, das gibt eine wunderbare Streiterei, die Hoffnung einer Versöhnung ist immer da. Wenngleich Nabokov meinte, dass "Verbrechen und Strafe" (damals noch "Schuld und Sühne") kitschig sei. Gleich, nach dem Gedanken, fange ich auch mit ihm zum Streiten an!

Tolstoj steht zwischen Heimito von Doderer und Musil sowie Proust. Das Epochale haben sie gemeinsam. Und Celan neben Rilke. Das finde ich schön. 

Sicher, dies durcheinander tut dem Auge weh, aber da steckt mein liebstes Gedankenspiel dahinter. 

Ich frage mich nur gerade, heute passiert wieder ein Wechsel, zu wem gebe ich heute Duras? Vielleicht zu Christine Lavant. 

Und Kant stellte ich neben Descartes und Platon. Einen fröhlichen Austausch wünsche ich. 



Anmerkung von Saudade:

¹ Briefwechsel Mann/Zweig, Bibliothek Suhrkamp 2006.
² Mann/Zweig, Briefwechsel, Dokumente und Schnittpunkte, Katrin Bednig/Franz Zeder (Hg), Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a.M., 2016. 
³ Adorno/Mann, Briefwechsel 1943-1959, Christoph Gödde und Thomas Sprecher (Hg), Fischer Taschenbuch Verlag, 2003.
⁴ Hesse/Mann Briefwechsel, S.Fischer Verlags GmbH, Frankfurt a.M. 2003.

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (20.08.25, 23:16)
Ein schöner Einfall, Autoren mittels ihrer Bücher zum Gespräch zu versammeln! Mit einiger Phantasie kann man sich da interessante Konfrontationen vorstellen.

Auch ein Buch daraus machen? Das haben schon getan: Lukian ("Totengespräche") und Maurice Joly ("Gespräche in der Unterwelt" bzw. "Gespräche in der Hölle"). Zwar haben sie die Autoren selbst aufeinandertreffen lassen, jedoch selbstverständlich auf der Basis dessen, was sie aus deren Büchern wußten.

Das macht nichts, daß es das zumindest schon gibt; die Auswahl und Zusammenstellung der Autoren bietet schier unendliche Möglichkeiten.

Als Einordnungsprinzip für eine Bibliothek stelle ich es mir heikel vor, vor allem dann, wenn man das häufiger variiert - nach einem halben Jahr wüßte ich nicht mehr, wo ich die Bücher zu suchen hätte.

Vorschlag: Solche Dialoge wirklich einmal schreiben. Du könntest sicher - nehme ich jedenfalls stark an - ein Streitgespräch zwischen Bernhard und Handke verfassen. Oder Dostojewskij und Nabokov - zumal Du schon schreibst, daß Du in Gedanken gleich einsteigst in den Streit.

Und ich? Auch mir fiele schon was ein, obwohl ich fürchte, daß meine Auswahl nicht auf so großes Interesse stieße wie Deine. Ich werde mal darüber nachdenken.

 Saudade meinte dazu am 20.08.25 um 23:24:
Haha, Du, meine Bibliothek ist ja überschaubar, bei dir wäre es sicher ein Dilemma, oder bei Gassner, der übertrifft uns beide bei weitem. 
Die Abneigung gegen Handke betreffend Bernhard kenne ich aus der Sekundärliteratur. Meiner Ansicht nach, reine Eifersucht Bernhards gegenüber seinem jüngeren Kollegen im Verlag Suhrkamp. Bernhard nahm ja Unseld gerne für sich alleine ein. 
Du könntest dir aber Gedanken machen, was Platon, Descartes und Kant so plaudern würden?
Musil und Proust wäre interessant. Der alte Monarchist Roth mit Satre? Die Zwei hätten sich wohl kaum etwas zu sagen. Ja, interessante Gedanken.

 Saudade antwortete darauf am 20.08.25 um 23:24:
Auch ein Buch daraus machen? Das haben schon getan: Lukian ("Totengespräche") und Maurice Joly ("Gespräche in der Unterwelt" bzw. "Gespräche in der Hölle"). Zwar haben sie die Autoren selbst aufeinandertreffen lassen, jedoch selbstverständlich auf der Basis dessen, was sie aus deren Büchern wußten.
Danke für die Tipps!

 Saudade schrieb daraufhin am 20.08.25 um 23:36:
Das (!) ist interessant!
https://dostojewski.eu/non-begegnung.html

 Graeculus äußerte darauf am 20.08.25 um 23:41:
Man kann das mit Philosophen so machen. Da denke ich vor allem an solche, die sich aufeinander kritisch bezogen haben, ohne einander jemals begegnet zu sein: Kant und Hume, Nietzsche und Schopenhauer usw. Aber ergäbe das mehr als ein philosophisches Streitgespräch unter Fachleuten, lesbar vor allem für Fachleute, ergäbe das Literatur? Da habe ich meine Zweifel - vor allem, ob ich dazu in der Lage wäre.

Ich persönlich bin begeistert von Lukian, der das witzig und unterhaltsam hinbekommen hat. Ein ganz großer Autor der Antike!

Jedenfalls finde ich die Idee faszinierend, und ich werde noch darüber nachdenken. 
Du bekämst das für Deinen Bereich hin, da bin ich mir sicher. Wie oft hast Du schon perfekt à la Bernhad geschrieben! 
Im Stil eines anderen schreiben zu können, das ist eine Gabe, über die ich nicht verfüge. Dabei liegt darin ein großes Potential für einen Text, der unterhaltsam und tiefgründig zugleich ist.

 Graeculus ergänzte dazu am 20.08.25 um 23:42:
Tolstoj und Dostojewskij, die natürlich auch!

 Saudade meinte dazu am 20.08.25 um 23:48:
Ich danke dir herzlichst, bei Handke scheitere ich jedoch. Das ist wie Kafka, den nachzuahmen, das scheitert kläglich und geht ins Lächerliche. So viele Adjektive wie Handke kenne ich gar nicht. :D An dem Text müsste ich lange brüten.
Ich glaube, Wolfgang, wenn du die drei, z.B. in unsere Zeit transferierst, sie am Oktoberfest absetzt und durch das, was sie gerade sehen, neue Gedanken spinnen lässt, das wäre große Literatur. "PLATON, DESCARTES UND KANT AUF DER WIES'N". 
Wie hieß das Buch über Hitler in unserer Zeit? "Er ist wieder da"? Das war amüsant.

 Saudade meinte dazu am 20.08.25 um 23:57:
@Graeculus: Da, Buchtipp.
https://www.panmacmillan.com/authors/natalie-haynes/divine-might/9781529089516
Ich geh jetzt mit "Die Dämonen" ins Bett. Ich hab noch nicht den neuen Titel "Die Besessenen".

 Graeculus meinte dazu am 20.08.25 um 23:59:
Einfach wäre nichts davon! Ob Du es kannst, mußt Du entscheiden.
Für Philosophen auf dem Oktoberfest fehlt mir jegliche Kenntnis der dortigen Atmosphäre. Ich war noch nie in einem Bierzelt.

Gut fand ich den Einfall (irgendwo mal gelesen), Kant in das Parlament der Weimarer Republik zu versetzen und dort die Frage stellen zu lassen: "Wer mag hier eigentlich für die politische Bildung zuständig sein?"

Wie gesagt, Kant und Hume, Nietzsche und Schopenhauer, das bekäme ich philosophisch wohl hin, doch das Ergebnis wäre nicht unterhaltsam.
Wir haben ja schon kV im Sinn und sein Publikum, oder?

Interessant ist aber Deine Idee, sie lebendig aufeinandertreffen zu lassen - es muß ja nicht das Oktoberfest sein. Weil sie halt tot sind, hatte ich nur an ein Gespräch in der Unterwelt gedacht, wie bei Lukian.

Von dem Film "Er ist wieder da" habe ich gehört, kenne ihn jedoch nicht.
Gibt es dort einen konkreten Einfall, wie Hitler wieder auf die Welt gekommen ist? Irgendwie muß man das ja plausibel machen, wieso sie auf einmal - das ist jetzt mein Einfall - gemeinsam vor dem Fernseher sitzen und sich die aktuellen Nachrichten ansehen.

 Graeculus meinte dazu am 21.08.25 um 00:04:
Du siehst, ich denke darüber nach. Sehr anregend, Dein Text.

 Saudade meinte dazu am 21.08.25 um 00:10:
Danke. Sei dir auch ans Herz gelegt: Liesmann (habe noch 2 Semester Philo bei ihm studiert)"Alle Lust will Ewigkeit" - Reflexionen über das Zitat von Nietzsche. Sehr gut!

 Saudade meinte dazu am 21.08.25 um 00:12:
Platon und Kant im Parlament wäre interessant. Dass du, trotz kv, nie mit dem Strom schwimmst, ist gerade das Interessante und ein Ausgleich.
Ad Hitler... der wachte auf einer Wiese auf, soweit ich das noch im Kopf habe.

Antwort geändert am 21.08.2025 um 00:13 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 21.08.25 um 00:36:
Einfach auf einer Wiese aufgewacht ... dann haben sie sich - zum Teufel mit der Erklärung! - auf den Plot verlassen.

Also, ich denke mal darüber nach. Man muß ja nicht jede Nacht schlafen.

 Saudade meinte dazu am 21.08.25 um 00:40:
Schlaf wird überbewertet. Die Nacht wird zum Lesegenuss.

 Graeculus meinte dazu am 21.08.25 um 00:50:
An sich träume ich gerne; da komme ich auf die tollsten Einfälle. Leider geht das nicht ohne Schlaf.

Für heute habe ich mir als Lektüre vorgenommen: Lukian, Das Schiff oder Die Wünsche.

Übrigens hat kein Geringerer als Christoph Martin Wieland den kompletten Lukian sehr schön ins Deutsche gebracht.
Der Wieland, der zu Goethes und Schillers Zeit in Weimar gelebt hat und Teil der "Weimarer Klassik" ist.

 Saudade meinte dazu am 21.08.25 um 00:56:
Weiß ich. Lukian habe ich noch nie gelesen. Ich denke gerade, dass die Schachtelsätze Dostojewskis mit müdem Kopf nicht ganz folgen kann. 
Ich träume auch gerne. Das geht doch, Graeculus, "ins Narrenkastl schauen", sagt man bei uns. Falls man das noch sagen darf.

 Graeculus meinte dazu am 21.08.25 um 01:24:
Bei Dostojewskij gibt es noch das Problem, daß wir die Sprache, in der er geschrieben hat, nicht kennen. Übersetzungen sind ja immer nur ein Hilfsmittel und keine gute Grundlage für eine stilistische Nachahmung.
Mir fallen als sprachliche Eigentümlichkeit bloß die bei Russen beliebten Koseformen von Namen ein, z.B. Tanjuschka, die man übernehmen könnte.

Ich weiß nicht, ob Lukian etwas für Dich wäre. Er ist sehr klug, witzig, einfallsreich, und nichts ist ihm heilig. Sogar eine Parodie auf Jesus hat er schon geschrieben ("Das Lebensende des Peregrinos"), bei der sich Monty Python in ihrem "Das Leben des Brian" bedient haben.
Ich wollte ihn nur einmal erwähnen, weil ich ihn liebe.

Und jetzt ... "schaue ich ins Narrenkastl". Da es selbstironisch ist, darf man das noch sagen. Über sich selbst spotten darf man immer. Auch über Jesus? Das darf Lukian - er ist schon tot, sicherheitshalber.

Antwort geändert am 21.08.2025 um 01:31 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 21.08.25 um 01:34:
Aber Vorsicht! Auch der allererste Science-Fiction-Roman stammt von Lukian: "Ikaromenippos oder die Luftreise", eine Reise zum Mond beschreibend.
Und SF magst Du ja nicht.

Etwas zu erfinden, woraus später ein ganzes literarisches Genre wird, das ist schon was.

Antwort geändert am 21.08.2025 um 01:41 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 21.08.25 um 01:35:
Jetzt aber: Gute Nacht resp. einen schönen Blick ins Narrenkastl!

 Saudade meinte dazu am 21.08.25 um 07:24:
Nun ja... ich mag Jules Verne. Ur alte SF mag ich schon...

 Saudade meinte dazu am 21.08.25 um 09:30:
@Graeculus: Da, schau...
https://globalbernhard.univie.ac.at/autorinnen/oesterreich/peter-handke/
oder auch hier
https://www.zeit.de/kultur/literatur/2014-02/peter-handke-thomas-bernhard-vergleich/seite-2

Antwort geändert am 21.08.2025 um 09:34 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 21.08.25 um 11:36:
Interessant der Zeit(ungs)vergleich. Kann man daraus etwas machen? Na, so eine richtige Gegenposition (Hegel: "Mein Morgengebet ist die Lektüre der Zeitung.") ist das ja nicht. Sie schimpfen; beinahe nichts ist ihnen gut genug.

 Saudade meinte dazu am 21.08.25 um 11:54:
Gute Frage...

 Graeculus meinte dazu am 21.08.25 um 14:08:
Wie's aussieht, bist Du erstmal mit Deiner Masterarbeit beschäftigt, während mir noch nichts Zündendes eingefallen ist.

 Saudade meinte dazu am 21.08.25 um 14:56:
Ich gehe durch das Tal der Tränen...
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