Stratford-upon-Avon / Shakespeare kommt heim

Text

von  Saudade

Der Bentley fuhr nach Mitternacht mit einer sehr langsamen Geschwindigkeit in die Gegend von Stratford-upon-Avon ein. Shakespeare saß neben Mary Shelley, sie sah ihn von der Seite an und bemerkte ein Lächeln in seinen Zügen. 

"Gefällt Ihnen, was Sie so sehen?" fragte sie ihn.

Er nickte.

"Es sieht noch ein wenig wie früher aus. Die Häuser sehen aus wie neu gebaut," sagte er.

"Das kommt davon, dass Sie nie gestorben sind für die Leute hier in der Gegend. Sie verdienen an Ihnen ein Vermögen, jeder einzelne Bürger."

"Ernsthaft," sagte Shakespeare, "ich dachte, Mr. Greedy übertreibt." 

"Nein, das tat er nicht, Sir." Mary legte ihm die Hand auf seine. "Beruhigen Sie sich erst einmal, wenn wir angekommen sind, es wird Ihnen gefallen. Sie können sogar durch die Gegend wandern, das fällt nicht auf. Viele sehen so aus wie Sie. Die Touristen mögen das. Aber, besser wäre, wenn Sie sich an unsere Kleidung aus der modernen Zeit gewöhnen würden, das ist alltagstauglicher, wahrlich."

Shakespeare zog die Hand zurück. Mary machte ihn etwas nervös. Irgendetwas war seltsam an ihr. Aber, vielleicht war er es nicht gewöhnt, dass Frauen den Ton so angaben, wie sie es tat, der Gedanke beruhigte ihn momentan. 

"Meine Güte, die Häuser. Tut das gut, wieder hier zu sein. Die letzten 24 Stunden waren die Hölle für mich," murmelte er.

"Da! Sehen Sie, das ist doch nett!" Mary lachte. 

"Sie meinen "Die finstere Seite von Shakespeares Stratford - Tour"? Das machen wir!" 

Beide lachten.

"Sie sehen, Sie werden nicht auffallen." 


Der Bentley fuhr aus Stratford-upon-Avon hinaus und bog in einen Seitenweg ab. 

"Wissen Sie," fuhr Shakespeare ernst fort, "ich muss so viel verdauen, zuerst, dass ich eine Kopie bin, von einem Menschen, der schon ewig lang tot ist, der einmal ich war, dann wie sich alles verändert hat, die Trennung von meiner geliebten Anne und meinen Kindern, überhaupt, dass ich weltberühmt sein soll und schließlich, dass mein geliebtes Städtchen zur Attraktion verkommen ist."

"Ich verstehe Sie, nur zu gut." Mary seufzte.

"Nicht einmal annähernd," antwortete Shakespeare. 

Mary wollte schon ansetzen, etwas zu entgegnen, da drehte sich der Fahrer um und sah sah sie streng an. Sie schwieg eine Weile.

"Wissen Sie was, Mr. Shakespeare? Der Doktor aus Oxford kommt erst übermorgen, morgen machen wir beide eine Stadtbesichtigung und gehen in Ihr altes Theater, ja?"

Shakespeares Augen begannen im Dunklen zu leuchten.

"Sie benötigen eine Ablenkung. Das wird Sie amüsieren, Sir," sagte Mary.

"Ich hoffe es." Shakespeare bezweifelte es.

Der Bentley bremste zu stark und kam etwas aus der Spur. Ein Touristenbus kam ihnen zu schnell auf der Landstraße entgegen. 

Shakespeare schrie auf: "Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hier!"1 

Mary nickte. 

Einmal noch bogen sie ab, dann fuhren sie zu einem alten Fachwerkhaus. Der Bentley blieb stehen. 

"Willkommen in Ihrem neuen Heim, Sir," sagte Mary entzückt.

Shakespeare staunte nicht schlecht.





Anmerkung von Saudade:

1 "Der Sturm" - 1. Aufzug, 3. Szene.

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Kommentare zu diesem Text


 tueichler (27.08.25, 08:57)
Tja, ist Prospoero gestürzt, hat er überlebt als Kopie seiner selbst - und was/wer ist er dann? 😂

 Saudade meinte dazu am 27.08.25 um 16:55:
Vielleicht kommt der Sturm noch zu heftig?

 J.B.W (27.08.25, 15:36)
Mein Favorit aus deinen Texten dieser "Reihe" bisher aus mehreren Gründen, aber hauptsächlich, weil er, in seiner Kürze, eine Tür zu so unglaublich viele Alternativen für weitere Entwicklungen und mögliche Hintergründe aufstößt und du bewerkstelligst das in der äußeren Geschichte, indem du den Fokus auf sein Dasein als Kopie legst, was den selben Zweck, nebst der Option einer amorösen Beziehung zu Shelley, für die innere Geschichte erfüllt 🤔...
Ein aufrichtiges Bravo meinerseits 🙂✌🏻

LG
Janosch

 Saudade antwortete darauf am 27.08.25 um 16:57:
Du verkennst Mary, die ist nicht aus auf eine Liebesbeziehung, eher etwas anderes... weißt du, wer ihre Mutter und ihr Vater war? Holla, die Waldfee!

 J.B.W schrieb daraufhin am 27.08.25 um 17:07:
Psssst, und wer sagt denn, dass ich darauf angespielt habe, dass Mary da irgendein Interesse hätte... 😉

 J.B.W äußerte darauf am 27.08.25 um 17:12:
Wobei ich nicht genau weiß, wie du "Holla, die Waldfee" genau meinst... Ich meine so skandalöse Äußerungen o. Ä. haben da ja jetzt nicht stattgefunden, oder beziehst du das, wie ich meinte, auf die Fülle an Potenzial?

LG
Janosch

 Saudade ergänzte dazu am 27.08.25 um 17:14:
Das bezog ich auf das Großkaliber an Prominenz und streitbaren Geistern.

Antwort geändert am 27.08.2025 um 17:15 Uhr

 J.B.W meinte dazu am 27.08.25 um 17:16:
☝🏻👍🏻

 Graeculus (27.08.25, 16:44)
Die Spannung liegt auch darin, daß man immer noch nicht weiß, worauf es letztlich hinausläuft.

Die Geschichte trägt, die Figuren sind lebendig ... auch wenn Mary Shelley ein bißchen so spricht wie eine gewisse Saudade, wahrlich.

Kommentar geändert am 27.08.2025 um 16:54 Uhr

 Saudade meinte dazu am 27.08.25 um 16:58:
Jaaaa, schwierig, schwierig... das rauszukriegen.
Danke!

 Graeculus meinte dazu am 27.08.25 um 17:11:
Stört nicht. Eher nett.

 Saudade meinte dazu am 27.08.25 um 17:18:
Lieb. Aber, im Ernst, wie kriegt man sowas raus?

 Graeculus meinte dazu am 27.08.25 um 17:29:
Ich selbst kann das nicht, schreiben wie ein anderer, und bewundere, wie Du schreibend manchmal zu Thomas Bernhard wirst.

Wohl kann man, meine ich, die eigenen Spracheigentümlichkeiten meiden, sobald man sich ihrer bewußt wird; in Deinem Falle bezieht sich das auf eine bestimmte Wortwahl und eine typische Zeichensetzung. Vereinfacht gesagt: Mary Shelley spricht nicht in Austriazismen.
Das Resultat einer solchen Subtraktion wäre dann allerdings immer noch eine "neutrale" Sprache, kein Shakespeare und keine Mary Shelley.

Mir fällt gerade auf & ein, daß schon die Schreibweise des Namens als Shakespeare modern ist. Meine Ausgabe von 1896 nennt sich: "Shakspere's Works". Wirklich: Shakspere!
Wie genau Shakspere alias Shakespeare sich selbst geschrieben hat, ist m.W. unbekannt.

Solange sie sich unterhalten, also im Bereich des Mündlichen bleiben, fällt das wohl gar nicht auf. Aber vielleicht kannst Du es einbauen, sobald der Name einmal geschrieben wird.

 Graeculus meinte dazu am 27.08.25 um 17:32:
Deine Zeichensetzung orientiert sich immer an der gesprochenen Sprache, d.h. wo Du beim Sprechen eine kleine Pause machst, setzt Du ein Komma. Öfters stimmt das nicht mit den Regeln der Schriftsprache überein.

 Graeculus meinte dazu am 27.08.25 um 17:35:
Man glaubt es nur schwer, aber es ist so:


 DanceWith1Life meinte dazu am 27.08.25 um 17:41:
@Sa

Lieb. Aber, im Ernst, wie kriegt man sowas raus?
Hm , da du ein musikalisches Gehör hast, ein paar Dialoge lesen oder einen Film mit solchen einverleiben, und darauf rumklimpern, iukwim

 Saudade meinte dazu am 27.08.25 um 19:55:
@Graeculus: Männer kann ich besser schreiben, weil ich nicht "so rede". Gut! Danke für den Hinweis, das ist wichtig mit der Schreibweise!
Die Zeichensetzung hab ich nicht gut drauf, das weiß ich. Wird, wird...

 Saudade meinte dazu am 27.08.25 um 19:56:
@Dance: Ja, schwierig, mich aus Mary im Text rauszukriegen. Obwohl ich nix mit Frankenstein am Hut hab.😂😂😂😂

 DanceWith1Life meinte dazu am 27.08.25 um 20:13:
Zur Zeit online: