Shakespeare erfährt, was Sache ist

Text

von  Saudade

Der Bentley blieb vor einem, der großen Hochhäuser aus Glas und Stahlkonstruktion stehen. Davor wartete bereits eine Dame. Der Fahrer stieg aus, um Shakespeare die Tür zu öffnen. Er blieb allerdings im Auto sitzen. Der Fahrer wartete geduldig. Da trat die Dame, die vor dem Eingang gewartet hatte, zu ihm, beugte sich zu Shakespeare in den Wagen und sagte: "Mr.Shakespeare, ich bin Mrs. Shelley, wir hatten schon am Telefon das Vergnügen. Wenn Sie so freundlich wären und ausstiegen, das wäre gut." Sie reichte ihm die Hand. Er nahm sie zögernd und stieg aus, sah auf das Hochhaus und fragte unglaubwürdig: "Das ist ein Haus?" Mrs. Shelley lächelte, sagte: "Das nennt sich Hochhaus und ist ein Bürogebäude, hier arbeiten Menschen. Lassen Sie sich nicht von der Größe irritieren, drinnen wird es Ihnen gefallen."

Shakespeare murmelte: "Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt."1


Zunächst saß Shakespeare alleine im großen Besprechungszimmer. Mrs. Shelley hatte ihm noch einen Tee gebracht und empfahl sich dann, um Mr. Greedy zu holen.

Nach einer Weile trat Mr. Greedy mit anderen Herren, ein paar Juristen und sonstigen Herren, ein. Er begrüßte Shakespeare und dann setzten sie sich alle um den großen Besprechungstisch. 

"Mr.Shakespeare," begann Mr.Greedy, "ich bin Verlagsleiter von Walrus-Books, einer, der größten Verlagshäuser der Welt. Sie wundern sich sicher, warum Sie hier sind. Das hat kreative Gründe. Uns sind nämlich mit den Jahren die guten Autoren weggestorben und nun haben wir all unsere Sponsoren mobilisiert, um ein einzigartiges Projekt ins Leben zu rufen, das sind Sie." Er räusperte sich, trank einen Schluck aus seinem Espresso, redete weiter, "Der Buchmarkt steckt in der Krise, glauben Sie mir, so auch, durch guten Autorenschwund, das Theater. Wissenschaftler konnten einen Apparat erfinden, der verstorbene Menschen, falsch, schon sehr lang verstorbene Menschen, wieder herholen kann, ohne die Geschichte zu verändern. Was bedeutet, Sie lebten damals ganz normal weiter und vollbrachten ihr Meisterwerk weiterhin, aber sind hier nun auch als Kopie hier."

Shakespeare, der gerade an dem Tee nippte, verschluckte sich vor Schreck und hustete. Als er sich beruhigt hatte, fragte er: "Das bedeutet, ich lebte damals unwissend weiter, bin jedoch schon Jahrhunderte tot, aber sitze hier als Kopie meiner selbst?"

"So kann man es sagen, werter Meister der Künste. Sie sind eine Kopie eines lebenden Menschen, der schon lange tot ist." 

"Und wieso haben Sie mich nicht als Original geholt?" fragte Shakespeare.

"Weil die Geschichte zu verändern ein gefährliches Ding ist und das hätte uns außerdem die Ethikkommission - das Wort braucht sie nicht zu irritieren - verboten. Abgesehen davon, der Apparat kann nur Kopien erzeugen."

Shakespeare sprang auf, sagte erregt: "Aber, das ist doch ein Höllending, Maschine, was auch immer das ist, mich jucken Eure Ausdrücke langsam nicht mehr, ich verstehe sowieso nichts, aber, wenn ich etwas verstehe, dann, dass dieses Ding die ärgsten Barbaren wieder aufleben lassen kann!"

"Beruhigen Sie sich, Sir!" beschwichtigte ihn Mr.Greedy, "Wir haben die Sache im Griff. Und Sie sind wichtig, deshalb holten wir Sie. Sie sollen unsere Welt retten!"

"Da ist etwas faul im Staate Dänemark!"², murmelte Shakespeare in seinen Bart, setzte sich jedoch wieder.

"Wie soll ich die Welt retten? Ich bin ein Dichter aus der Provinz Stratford!? Wie ich sehe, hat Ihre Welt schon alles. Selbst Fliegendes über meinem Kopf." Er sah zum Fenster hinaus, entdeckte ein Flugzeug. 

"Das ist es eben, Mr.Shakespeare. Wir haben fast alles, nur geht uns die Poesie abhanden, das, was der Mensch zum Leben braucht, was Wärme schafft, Lust erzeugt, Liebe zum Strahlen bringt. Tagein, tagaus schreiben dutzende Stereotype in ihren Texten, phantasielose Zeilen, schreiben nur noch, der Bewunderung willen, aber nicht mehr aus Leidenschaft. Wir brauchen wieder das Feuer in den Zeilen! Wir brauchen Sie!"

Shakespeare sagte: "Fürchte dich nicht vor Größe. Manche werden groß geboren, manche erreichen Größe und manchen wird Größe aufgezwungen."³

"Aber , Aber, Mr. Shakespeare! Sie haben die Größe! Sie sind weltweit der größte Dichter! Jeder kennt Sie, einfach jeder! Aber, das ist eben auch der Haken an der Geschichte: Es darf keiner wissen, dass Sie da sind. Das Projekt ist streng geheim."

Shakespeare überlegte kurz, dann sagte er: "Ich soll für Sie dichten, aber geheim?"

"Richtig." 

"Unter fremden Namen?"

"Nein. Wir werden sagen, es sind alte Schriften aufgetaucht."

"Was springt für mich raus?"

"Da übergebe ich das Wort an Phil Phobes, unseren Juristen."

Phil räusperte sich. "Mr. Shakespeare, Sie können natürlich nicht in London bleiben, das würde Sie nur verwirren und wir haben auch nicht die Zeit, Ihnen jedes Ding - es hat sich bis auf den Blecheimer alles verändert- zu erklären. Sie gehen in die Nähe von Stratford-upon-Avon zurück, dort haben wir ein altes Haus für Sie renovieren lassen, mit allen Bequemlichkeiten versteht sich, dort unterliegen Sie wenig Ablenkungen, sind in der Landschaft, die Sie kennen, bekommen Mrs. Shelley zu Ihrer Hand, die sie Tag und Nacht unterrichtet, falls Sie das wünschen, Sie faktisch einführt in unsere Zeit, haben eine umfangreiche Bibliothek mit Werken der letzten Jahrhunderte, zusätzlich bekommen Sie ein Taschengeld über 8000 Pfund im Monat, das ist sehr viel Geld und Dr. James Wilford aus Oxford, ein Literatur- und Sprachwissenschaftler, wird Ihnen zur Seite stehen." Er räusperte sich kurz, dann sagte er leiser: "Für das männliche Wohl ist, bei Bedarf, auch gesorgt, falls Sie es benötigen."

"Was wollen Sie dafür genau?"

"Ein Meisterwerk, wie alles von Ihnen."

"Was bekomme ich dafür?" wiederholte Shakespeare ernst.

"Ja, ist denn das nicht genug?" sagte Phil erstaunt.

"Das ist zu meinem Wohle, aber nicht für meinen Gewinn!" sagte Shakespeare.

"Oh, ich vergaß, dass Sie nicht nur ein Mann des Theaters sind, sondern auch ein Geschäftsmann." Er beugte sich zu Mr. Greedy und sie tauschten sich kurz flüsternd aus, dann sagte er: "20 Prozent.100 ist ein Ganzes oder 20 Teile von 100."

Shakespeare wusste über Teile Bescheid, wie es hieß, das wusste er noch nicht, er starb anscheinend davor, sagte jedoch: "50 Teile von 100."

Ein Raunen ging durch die Herrenrunde. Da sagte Mr.Greedy: "Mr.Shakespeare! Wir haben schon so viel Geld in das Projekt investiert und werden es noch tun, haben Sie erbarmen."

"50 oder gar nicht." Shakespeare wurde schlagartig bewusst, dass nun er die Fäden in der Hand hatte.

Mr. Greedy startete einen letzten Versuch: "45%?"

Shakespeare nickte, fügte hinzu: "Vom Gewinn. Verluste überlasse ich Ihnen."

"So ein Fuchs!" sagte Phil laut.

Das verstand Shakespeare und grinste.






Anmerkung von Saudade:

1 Hamlet, 1. Akt, 5. Szene. 
² Hamlet, 1. Akt, 4. Szene.
³ Was ihr wollt, 2. Akt, 5. Szene.

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Kommentare zu diesem Text


 J.B.W (25.08.25, 22:23)
Ein paar kleine Überarbeitungen was Wortwiederholungen und Ähnliches angeht, aber ansonsten, inhaltlich wieder ein amüsanter, schöner Text... Ich liebe die vollkommen unterschiedliche Art der Umsetzung der selben Grundidee, ohne, dass es irgendwie prätentiös wird 🙂Shakespeare... dieser Fuchs! 😅😊

LG
Janosch

 Saudade meinte dazu am 25.08.25 um 22:29:
Ich bin am feilen. 
Ich mag den Fuchs. Selbst Jahrhunderte können Geschäftstüchtige nicht ändern. :-D
Danke.
Aber, im Grunde ist es ein ganz anderes "Projekt". Mich reizt es sehr.

Antwort geändert am 25.08.2025 um 22:29 Uhr

 J.B.W antwortete darauf am 25.08.25 um 22:39:
Welches "Projekt", Vorhaben oder Umsetzung einer Idee auch immer: weiter machen 😉✌🏻

LG

 Saudade schrieb daraufhin am 25.08.25 um 22:45:
Ey, Ey, Sir!

 Graeculus (25.08.25, 23:33)
Guter Einfall. Shakespeare bzw. ein neuentdecktes Drama von ihm ist sicherlich der Traum jedes Verlegers.

Wenn ich die Verleger einmal kritisieren darf: Sie werden auch heute noch geschrieben, diese tollen Bücher; aber man muß sie finden und dann damit verlegerisch etwas riskieren - während Shakespeare redivivus risikofrei ist ... etwa so wie Hitlers Tagebücher, wenn es sie denn tatsächlich gegeben hätte.

Bin gespannt, welche Rolle Du Mary Shelley (die ist es doch, oder?) geben wirst.

Wir haben ja schonmal über Deine niedrige Einschätzung der Gegenwartsliteratur gestritten, und ich kann nur wiederholen, daß ich Deinen Pessimismus nicht teile.
Kürzlich habe ich "Permafrost" von Viktor Remizov (geb. 1958) gelesen - der braucht sich vor Tolstoij nicht zu verstecken! Da ist alles drin, was große Literatur ausmacht.

 Saudade äußerte darauf am 25.08.25 um 23:37:
Nun, ich habe übertrieben, wie alles. Ich mag die Sargnagel ebenso wie andere eben auch. Aber, wo du mir vielleicht recht gibst, so können wenige gute Dialoge schreiben. Wirklich gute, nämlich realistische.

 Graeculus ergänzte dazu am 26.08.25 um 00:07:
Da habe ich mich mal erregt. 

Wenige? Nun, wenn ein Promille aller neue erschienenen Romane in jeder Hinsicht, auch bei den Dialogen, gelungen ist, dann ist das doch schon was. Man muß sie nur finden.
Vermutlich nimmt der Anteil des Mülls zu ... wie auch sonst in unserer Welt.

 Saudade meinte dazu am 26.08.25 um 00:09:
Auf den letzten Satz können wir uns gut einigen. Im Übrigen, Romane aus dem Jahr 1958 meinte ich sicher NIEMALS. Eher 2025.

 Graeculus meinte dazu am 26.08.25 um 00:13:
Falls Du mit 1958 auf Viktor Remizov anspielst: der ist 1958 geb. = geboren. Der Roman ist dann doch ein wenig später erschienen: 2022.

Es ist in der Literatur so schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen. Wie machst Du das?

 Saudade meinte dazu am 26.08.25 um 00:20:
Gespür. Rein subjektiv, hat keinen allgemeinen Charakter. Ich lese mich durch die Jahrzehnte und bemerke eine Verschlechterung. Viele Junge schreiben noch sehr universitär. Gut,... das entwickelt sich noch, das denke ich dann, konstatiere jedoch, dass es so ist. Auch bei Juli Zeh, die ich grundsätzlich mag, mittlerweile ein alter Hase im Schreiben, leuchtet die Juristin zu stark durch. Das dürfte auch nicht sein. Wo ich wirklich begeistert war und bin, das ist bei Anna Baar. Eine Ausnahmeerscheinung.

 Graeculus meinte dazu am 26.08.25 um 00:30:
Man steht in der Buchhandlung vor 1000 Büchern (zugegeben: sowas gibt es hier nicht) oder liest in der Zeitung das Feuilleton ... und ich kratze mir den Kopf. Aber es stimmt schon, was Nietzsche mal über Schopenhauers "Die Welt als Wille und Vorstellung" geschrieben hat: Er habe eine innere Stimme vernommen, die ihm sagte: Nimm dieses Buch und lies es!
Geheimnisvoll.

 Saudade meinte dazu am 26.08.25 um 00:38:
Ja, ja, im Grunde entscheidet der Bauch. Aber, ernsthaft, bei Neuerscheinungen bevorzuge ich die Bibliothek. Ich will nicht alles bezahlen.

 Saudade meinte dazu am 26.08.25 um 03:11:
Nachtrag... es gibt auch umgekehrt den Fall. Habe den Roman "Die Liebenden vom Place d'Arezzo" von Eric-Emmanuel Schmitt gelesen, da sind manche Figuren totales Klischee, dass es schon trieft, aber der Mann kann fabelhafte Dialoge schreiben. Man merkt, dass sein erstes Buch bereits mit Omar Sharif verfilmt wurde. Er schreibt definitiv Filmdialoge.

 Graeculus meinte dazu am 26.08.25 um 16:14:
Mir ist das bei Schmitt noch nicht aufgefallen, kann aber gut sein. Bücher können ganz verschiedene Vorzüge haben, bei gleichzeitigen Nachteilen.

 Saudade meinte dazu am 26.08.25 um 17:21:
Stimmt. Das Buch lebt von Dialogen, daher fällt es nicht gleich auf, aber liest du es genauer, ist übrigens echt "herzig", siehst du es als Cineast sofort.
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