Liter

Erzählung

von  minze

Einmal waren wir im Gewitter und du konntest nicht ausweichen, das war zwei Jahre nachdem wir zusammen waren. Wir sind zurück auf das Festival gekehrt, für mich schien der Ort ein geschlossenes System, weil das Sziget auf der Donauinsel in Budapest ist, sie wird also links und rechts von dem Fluss umarmt, umspült und wir sind als ein Volk aus Festivalbesuchern gestrandet. Es gibt viele, große Konzertzelte, die meisten sind wie bei den Festivals bei uns mit Plastikplatten in Form eines Oktagons ausgelegt. Wir halten uns von Zelt zu Zelt auf und es ist am Tag, du vibrierst ein bisschen in der Ablenkung und wir trinken etwas, wir halten unsere Hände. Es gibt einige Konzertpausen während des Unwetters, aber viele Menschen sind unterwegs, schauen sich an, lassen ihren Gang schweifen, ihren Blick, sind in der Community verbunden. Es ist nicht sehr voll in den Zelten und Unterständen, kein Drängen und keine Panik, ein Zeitvertreiben ist es, ein hin und her Streunen, bis es vorbei ist. Das ist das Mal, wo du kaum Angst hast bei einem Gewitter. Du hast weniger Angst, weil du sie nicht zeigen kannst. Du kannst dich auch nirgends zurückziehen, du bist den Leuten und dem Unwetter und der Natur ausgesetzt, geschützt durch die Planen, die über uns gespannt sind und geschützt durch die Ablenkung.


Viele Male, wenn es nachts kommt, das tut es auch regelmäßig in unserem gewählten zu Hause, dann will ich hinausgehen und es ansehen, ein Glas Milch trinken, in einer Decke auf der Terrasse sein. Manchmal auch, weil ich dir keine Hilfe bin, wenn du dich im Bett einigelst und abwartest und nicht mehr reden willst. Aber vor allem, weil ich es schön finde. Weil ich auf jedes Donnern warte, wie das Krachen in mir detoniert. Als wir zwei Kinder bekommen, sind sie von uns beiden eine Verlängerung, es ist unklar, wie viel sie von deinen und meinen Anteilen tragen und ich vermute, dass sie anteilig deine Furcht haben, auf einmal gehe ich auch davon aus, dass viele Kinder die Furcht vor dem Gewitter in sich tragen. Das ist nicht logisch, weil ich es immer toll fand. Die Unsicherheit, wieviel sie von deiner Furcht haben, die Suche, das Aufspüren danach, wühlt sich durch mich, wenn nun ein Unwetter in der Nacht kommt. Und sie ist von der zweiten, davor stehenden Unsicherheit gedoppelt, nicht einmal zu wissen, wie tief sie schlafen, wie leicht der Donner sie mit seinem Lärm wecken könnte. Es ist eigentlich nie der Lärm, der die Kinder weckt, sie schlafen tief, nur ihre Träume, ihre Schübe machen sie wach.

So verlängert sich deine Angst über die Kinder in mich hinein.


Wir fahren ohne dich zum Campen, weil du keinen Urlaub hast. Anders als erwartet gibt es wenig Gäste Ende August auf dem Platz, wir sind alleine in einer Allee, ich weiß, es wird wechselhaft und suche die Stelle unter einem Baum aus, ich denke, dass die Blätter etwas den Regen abhalten werden.


Das Zelt ist auf einmal alt geworden, weil die letzten zehn Jahre so schnell umgegangen sind. Bislang habe ich gedacht, wenn ich sage, ich habe es gekauft, als ich mit Joscha schwanger war, das war erst vor kurzem. Als wir das Zelt aufbauen, bricht die zweite Stange in diesem Sommer. Der Bruch klingt furchtbar, ich lege meine Hände vors Gesicht, will weinen, dann sehe ich das Mitgefühl in den Gesichtern der Kinder und beschließe, dass wir das defekte Zwischenteil herausnehmen und die Stange mit weniger Gliedern bauen. Es wird schon halten für die Woche. Es gibt noch eine Plane im Auto. Anders als beim letzten Mal helfen Joscha und Mara beim Zeltaufbauen. Ich weiß nicht, ob sie und die Stangen die Spannung gut halten können, als wir alles durchfädeln, wenn wir ihre Tunnel in die Haltestäbe an den Bodenlaschen drücken, ich hoffe, es wird sie nicht treffen, sie würden sich nicht schuldig fühlen, wenn doch noch mehr kaputt ginge. Es hält, sie hauen die Heringe fest in die Erde, das Zelt ist sehr schief, das können sie nicht sehen, aber ich. Im Gesamten sind wir stolz und zufrieden. Ich bin gerührt, weil es in zehn Jahren als wohl letztes Mal unser Urlaub zu dritt ist, in dem wir dieses Zelt schief aufbauen und bewohnen.


Die erste Nacht ist sehr kalt, Joscha braucht viel Kontakt, um sich zu wärmen. Die zweite wird das Gewitter bringen. Ich fädele die Plane am Tag nachträglich durch die Schnüre, versuche das Schlafzelt zu schützen, wo alles abhängt wegen des fehlenden Stangenteils.


Ich wache auf und zähle die Entfernung, als es blitzt, halte instinktiv die Hand von Joscha, es scheinen drei, vier Kilometer zu sein, immer wieder, andauernd. Es kracht treppenartig herunter, das ist schön und brachial, es fühlt sich anders an, im Zelt zu sein, die Dauer vor allem, mit den Kindern im Zelt zu sein. Ich lauere aufs Näherkommen, das passiert auch und ein Bild wird klarer, leuchtet mich aus: der Baum neben unserem Zelt. Das Auto steht auf der anderen Seite, es regnet sehr stark und noch schlafen die Kinder, ich verwerfe sofort den klugen Gedanken, hinein zu gehen. Sie da hinein zu tragen. Ich spiele mit dem Gedanken, dass es irgendwann herkommt und dann wieder gehen muss, dass das logisch sei, es ist auch zweimal unmittelbar hier und dann fühle ich das Umringtsein von Bäumen, überall. Ich lenke meine Aufmerksamkeit auf das feste Prasseln auf der Plane, die uns vor dem Wasser schützt und streichle Joscha, sein Bein war kurz an meinem und ich bin erstaunt, vom Glück angefasst, wie ruhig sie bleiben, immer wieder checke ich sein Gesicht, drehe mich dann vorsichtig auf dem Feldbett um und Mara, die sonst bewegungslos schläft, nicht einmal die Liegeposition im Schlafsack verändert, sie hat sich vergraben in ihrem Schlafsack, die Hände vor dem Gesicht, sie sind unter Spannung, es ist ganz deutlich, dass sie diejenige ist, die wach ist und die Angst hat.


Erst als ich erschrocken ihre Hände streichle, wimmert sie und weint vor Furcht und spricht es aus, ich hab so Angst vorm Gewitter. Wir sind nun ganz nah aneinander und ich küsse sie und flüstere an ihrer Wange. Wie spät hab ich mich zu ihr gedreht. Als ich dann ruhig bin und ihr sage, es sei bald vorbei, kommt es mit ihrem Nein wieder näher und geht erst dann. Ich leg mich auf den Rücken, halte beide, bin noch starr, Mara ist schließlich eingeschlafen. Nach zwanzig Minuten löse ich mich etwas. Durch das ganze Regnen muss ich pissen. Je mehr ich mich löse, desto deutlicher, ich will weiter schlafen, wieder schlafen, das Regnen lässt auch kaum nach, ich würde nass werden und das zweite Bild schiebt sich deutlich vor mich: wie ich in den Topf pinkle und alles ausschütte, dabei noch im Vorzelt etwas sauber mache, ich glaube, es muss halb überflutet sein.

Der andere Teil will einfach schlafen und später aufs Klo laufen, erst einmal Schlaf nachholen, aber dann muss ich lachen, vor Erleichterung lachen und es unbedingt machen, unbedingt in den Topf machen.


Es ist fast ein Liter, das kann ich jetzt mit dem ganzen Camping abschätzen, es war richtig, nicht zu warten, ich schütte es vom Seiteneingang raus, stelle ihn quer zwischen Bodenteil und Seitenteil, als ich die Regenpfütze auch nach draußen gespült habe. Den anderen See am vorderen Eingang bekomme ich auch raus, ich baue Schutzpfeiler aus PET Flaschen und fühle mich geborgen mit Joscha und Mara.








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