warmth

Erzählung

von  minze

Ich stelle die Box auf die kleine Bank neben der Badewanne und suche die Lavendeltropfen, Mara holt aus ihrem Zimmer die Mädchensachen, sie legt neben die Musikbox die Glitzerkarten aus der Ponyzeitschrift, die verschiedenen Kämme und ein paar Klämmerchen, die sie von ihren großen Cousinen bekommen hat. Sie haben viel Kram übrig für Mara, jetzt, da sie jugendlich werden. Ich finde durchgängig haben sie immer mehr Kram als die Jungen in der Familie. Auch Mara sammelt, sie wollte schon mit vier Jahren einen Schreibtisch. Er hat sehr viele Fächer, Schubladen, Boxen, sie sind voller Postkarten, Bilder, Aufkleber, Fotos, Buntpapiere, Steine, Eicheln, Klebetattoos und anderem. Mara schafft es, ihr 50-Cent-Taschengeld zu sparen und häuft trotzdem Ding um Ding an.

Über ihrem Schreibtisch hängt die Discokugel mit ganz kleinen Spiegelchen, die ihren Krimskrams miniklein widerspiegeln und wenn sie sich zu drehen scheint oder Sonnenstrahlen wandern, eigentlich kann ich den Motor nicht genau benennen, denn es passiert so selten, dann besprenkelt die Kugel den Marakosmos leicht und bezaubernd.


Ich möchte heute den Abend bewusst nehmen, anstelle der langen Verhandlungen zum Schlafengehen. Sie ist sehr ernsthaft in ihren Vorbereitungen und ich suche auf dem Smartphone mit Stichworten nach dem Mantra, was ich verinnerlicht hatte, nach der Musik, die ich mit ihr gehört habe im Schwangerschafts- und Rückbildungsyoga. Ich kriege es nicht mehr zusammen. Obwohl ich es dringend finden will, ich will es aktualisieren, was ich damals mit ihr in mir gespürt hab, lass ich die Idee bald los, mache die Entspannungsmusik mit Meer an, die sie gut findet. Als wir im Wasser sind, geht sie an meine Haare, ihre will sie nicht waschen, sie geht nach dem Einshampoonieren mit der kleinen Gießkanne immer wieder über meinen Kopf und irgendwas will ich mit ihr besprechen, etwas, was kritisch war, wo nachzuhaken wäre, auch wenn jetzt alles ruhig ist. Oder deswegen. Ich weiß nicht mehr was. Ich frage nach, weil ich möchte, dass sie etwas überlegt. Mara wird still.


Sie setzt sich auf, mir gegenüber, und zieht die Augenbrauen zusammen, schaut empört, tadelnd. Mama, wirklich. Merkst du denn nicht, das kleine Wir. Es wird immer kleiner, wenn wir uns blöde Sachen sagen. Mir ist nicht bewusst, dass ich blöde Sachen sage, ich habe von Joscha von dem kleinen Wir gehört, er hat mir gesagt, es wird groß, wenn man miteinander schöne Sachen macht, ich meine, es wird klein, wenn man streitet. Mara ist so genau. Oder noch genauer. Sie sieht, glaube ich, dass anstelle des weichen nur-so-seins ein ernstes Gespräch reinkommt. Mama, es gab heute nur das jetzt, nur sowas und sowas reden. Das kleine Wir ist schon fast weg, fast gibt es es nicht mehr.


Ich fürchte mich kurz vor ihren Worten. Wie schnell es weg sein kann, wie verschwindend da es ist, an diesem Tag, auch wird mir warm und ich spür die Chance des Abends für unser Wir. Wie entscheidend er sein kann.


Ich gebe klein bei, lasse das ernste Gespräch vollends, ich spüle meine Haare nicht nach, lasse sie alles machen mit meinen Haaren, auch das Kämmen. Später, als wir durchgeweicht sind und es fast neun Uhr ist, will ich, dass wir Zähne putzen, Mara lässt schließlich das Wasser aus der Wanne und sitzt mit überschlagenen Beinen an der Wanne, sie hat Creme im Gesicht.


Danach denke ich immer wieder an die Geschichte mit dem Wir, da es ständig in den Grundschulen und Kindergärten besprochen wird, finde ich sofort eine Onlineversion. Auch wenn Mara Recht zu haben scheint, habe ich den Eindruck, nicht die ganze Geschichte zu kennen. Dass sich noch ein paar wichtige Hinweise darin verbergen. Zuerst laufe ich am Wochenende, dann bearbeite ich mit Joscha den Füllerführerschein und bastele mit Mara eine neue Natursachendekoration für ihren Schreibtisch. Als sie damit weiter beschäftigt ist, lese ich die Geschichte und finde es.

Das kleine Wir versteckt sich im hintersten Eck des Herzens, wenn es zu klein geworden ist. Zuvor steht, dass es immer dann entsteht, wenn sich zwei Menschen mögen und dass es deswegen viele verschiedene kleine Wirs gibt, jedes ist ganz eigen. In dem Buch suchen der Junge und das Mädchen selbst, alleine für sich je das Wir, als es verschwunden scheint. Beide vermissen etwas. Aber sie können es nur gemeinsam finden. Als sie es finden, pflegen sie es gemeinsam mit guten Geschichten und Tee.



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (20.05.25, 17:13)

Rückbildungsyoga



Was ist denn das?

 minze meinte dazu am 21.05.25 um 06:34:
Nachdem Frauen Kinder gebärt haben, sollten sie unbedingt Sport machen, weil u.a. die Beckenbodenmuskulatur lädiert ist. Es gibt eine klassische Rückbildungsgymnastik mit entsprechenden stärkenden Übungen, aber auch spezielles Rückbildungsyoga oder Pilates.

Antwort geändert am 21.05.2025 um 06:35 Uhr

Antwort geändert am 21.05.2025 um 06:35 Uhr
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