Rendezvous mit der Literatur
Groteske zum Thema Geister
von Wastl
Es war ein eigenartiges Erlebnis. Zuvor hatte sich jemand bei mir gemeldet. Ich dachte: Was für eine seltsame Person muss das sein, die sich „Literatur“ nennt – also die Literatur selbst –, und was will sie ausgerechnet von mir, der selbst kaum etwas Vernünftiges zu Papier bringt? Ich war misstrauisch und hielt das Ganze zuerst für einen üblen Scherz. Trotzdem ließ ich mich auf das seltsame Abenteuer ein.
Um das Ganze auf die Spitze zu treiben, verabredete ich mich nicht an meinem Wohnort, sondern im Café Bazár in Salzburg, wo es den von mir so geschätzten Illy-Kaffee gibt und die Kaffeemaschine laut Beteuerung des Kellners täglich gereinigt wird. Also machte ich mich zwei Stunden vor dem Treffpunkt mit der Bahn auf den Weg nach Salzburg. Am Bahnhof winkte ich mir ein Taxi und war nach fünf Minuten in meinem Lieblingscafé, dem Bazár, das sich direkt an der Salzach gegenüber der Festung befindet. Ich saß wie verabredet auf der Westseite mit dem Rücken zur Wand.
Dabei beobachtete ich die Eingangstür und überlegte, wie sie wohl aussehen würde und ob die Literatur menschlich sei oder gar als Bücherschrank auftreten würde. Meine Fantasie machte Burzelbäume. Die Aufregung wuchs. Dann öffnete sich die Tür und da war sie – die Literatur. Ich hatte sie sofort erkannt. Wer sonst müsste so eigenartig aussehen? Nicht nur ich staunte, sondern auch die anderen Gäste im Café, die diese seltsame Erscheinung sahen.
Langsam kam sie näher, lächelte mich an und brachte mich damit völlig aus dem Gleichgewicht. Da kam mir Hemingways Tipps für besseres Schreiben in den Sinn – und genau in diesem Moment saß er neben mir, Hemingway selbst, auferstanden aus dem Reich der Toten. Doch diesmal sah man ihn nicht alt, sondern wie einen äußerst attraktiven Dreißigjährigen. Einige Frauen im Café erröteten.
Dann fiel mir Shakespeare ein, und Hoppla, da sitzt der Große Alte Meister selbst auf der anderen Seite neben der Literatur, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Ich konnte es kaum fassen, war wie gebannt und blieb vor Staunen stumm. Plötzlich bemerkte ich, dass Shakespeare und Hemingway tief im Gespräch versunken waren. Ich lauschte angestrengt und versuchte herauszufinden, worüber sich die beiden unterhielten. Sie diskutierten über Lord Byron, Goethe und Victor Hugo, als hätten sie die drei gerade erst getroffen. So stelle ich mir das Jenseits vor. Schriftsteller unterhalten sich über andere Schriftsteller. Komisch, dachte ich.
Fortsetzung folgt ...