Der goldene Preis

Essay zum Thema Gewalt

von  Jack

Dieser Text ist Teil der Serie  Versuche und Irrtümer

Wer kein Geld zum Leben hat, ist unglücklich. Das sage nicht ich, das sagen zahlreiche Studien. Die sagen aber auch, dass der Peak der Glücklichkeit bei einem hohen fünfstelligen Jahreseinkommen erreicht ist, danach wird man wieder unglücklicher. Der Geldbetrag auf dem Konto steigt, die Zufriedenheit fällt. Man erreicht schließlich ein „uncanny valley“, ein unheimliches Tal der Unzufriedenheit, und mit mehr Geld steigt wieder das Glücksempfinden.

Ein solider Millionär erreicht wiederum einen Gipfel der Reichseins-Zufriedenheit. Das Geld ist nicht mehr Geld, sondern bei diesen Beträgen das Äquivalent von Status. Doch auch hier gilt das Gesetz der Unzufriedenheit bei zu viel Geld. Madonna, Angelina Jolie, Leonardo di Caprio, Donald Trump: Künstler mit Top-Status und Businessleute mit einem dem Top-Status entsprechenden Geldäquivalent müssen sich unbedingt politisch austoben, im Ideallfall Staatschef werden. Warum?

Es gibt offenbar einen Geldbetrag, der zu hoch ist, um einfach nur reich zu sein, und es gibt eine Quantität von Ruhm bzw. einen Geldäquivalent von Ruhm, wo nicht mehr das Zuviel an Status, sondern das Zuwenig an Macht empfunden wird. Egal, wie Trump an sein Geld gekommen ist: es wurde so viel, dass es zu wenig wurde. Und er ist keine Ausnahme: überall auf der Welt tendieren Superreiche dazu, Staatschef werden zu wollen.

Es gibt, verlassen wir die Beobachtungsebene und steigen wir zum Theoretischen, einen chthonisch-tellurischen und einen lunaren Peak der Zufriedenheit mit Geld. Das Geld als Geld, als Mittel, Güter und Dienstleistungen zu erwerben, wird schnell genug. Der gemeine Mensch, der chthonische Tellurist, ist mit einem Jahreseinkommen von 80000 Euro voll zufrieden. Doch das Element des Lunaristen ist nicht Geld, sondern Ruhm. Darum ist der unbegabte Lunarist erst mit dem Geldäquivalent eines sozialen Top-Status zufrieden. Es geht nicht um den Reichtum an sich, sondern um die Fähigkeit zum Statuskonsum, um die Augenhöhe mit Reichen und Berühmten.

Der finanziell zu erfolgreiche Künstler geht in die gleiche Falle wie der zu wohlhabende bodenständige Bourgeois: das Geld, das er hat, ist nicht mehr nur Geld, bzw. der Status ist mehr als bloß Status. Ab einem bestimmten Geldbetrag bedeutet Status die Fähigkeit, politische Macht auszuüben. Der Superstar konzentriert sich nicht mehr auf seinen nächsten Film, sondern will die Welt retten, engagiert sich politisch, führt soziale und asoziale (shitstormische) Bewegungen an. Oder er wird gleich Chef seines Landes. Die erdverbunden-bodenständigen russischen Ölmilliardäre sind zu reich, um bloß reich zu sein; hat der Chthoniker sehr viel Geld, nimmt auch er politisch Einfluss und wird Oligarch.

Nun strebt der begabte Lunarist nicht nach der Hauptrolle im nächsten Blockbuster, um reich zu werden. Er will ein vortrefflicher Schauspieler sein; der Hauptpreis der Filmakademie ist das Symbol für verdienten künstlerischen Ruhm. Der politische Mensch verachtet Geld und Ruhm und strebt direkt nach Macht. Putins Kritiker behaupten, er hätte sich schon vor Jahren ein Vermögen zusammengeklaut, das ihn zu einem der reichsten Menschen der Welt macht. Das ist durchaus möglich: wer Macht hat, kann sich Geld einfach nehmen. Stalin lebte asketisch und hatte eine megalomanische Machtfülle. Auch dem Unbestechlichen, dem strahlenden Helden der Endphase der Französischen Revolution, war Geld egal. Diese Männer zahlten den eisernen Preis, nicht den goldenen.

In der 2. Staffel von Game of Thrones fragt der Piratenkönig seinen zurückgekehrten Sohn, wie dieser seinen teuren Umhang bezahlt hatte: „Hast du den eisernen Preis bezahlt oder den goldenen?“ Gesenkten Hauptes antwortet der Sohn: „Den goldenen“. Er hat also Geld bezahlt, anstatt den Besitzer zu töten, und ihm den Umhang wegzunehmen. Die pure, unbestechliche Macht, lässt sich mit Geld nicht kaufen. Darum verachten Machtmenschen den Kaufmannsstand. Verhandelt wird mit dem Schwert, bezahlt mit dem Tod. Ein bloßer Millionär, der sich zur High Society zählt, aber eben nur Geld hat, ist ein Hochstapler. Ein Milliardär, der sich zum Oligarchen macht, ist ein Hochstapler. Ein echter Machtmensch als Staatsschef kann den reichsten Milliardär des Landes ohne große Gerichtsverfahren einkerkern, und ist im Recht, insofern sich dieser Mann mit Geld Macht erkaufen wollte.

In der modernen Gesellschaft der Dekadenz entsteht die Anmaßung, alles mit Geld kaufen zu wollen. In der postmodernen Gesellschaft der Ultradekadenz setzt sich diese Anmaßung durch und Status und Macht werden nur noch als Geldäquivalent verstanden. Status als Status anzustreben, ist ein Rätsel, darum gilt der Schauspieler, der sich für eine Rolle im Film kaputt macht, als Freak. Auch Macht als Macht wird nicht mehr verstanden, und jemand wie Putin erscheint nicht mehr als normaler Mensch, sondern als eine KI oder Alien-I vom Mars. Dabei ist Macht als Macht der solare und Status als Status der lunare modus operandi in der anthropologischen Trias.



Anmerkung von Jack:

Montag, 27. Juli 2020


Dieser Essay markiert den Endpunkt meines Putinverstehertums im positiven Sinne (nicht in dem Sinne, in dem es Idioten Idioten unterstellen und Idioten mir unterstellt haben).

Ich kam im Winter 2020/21 zum Schluss, dass selbst wenn Nawalny durch den "Westen" instrumentalisierBAR ist, er trotzdem fast in allem Recht hat, und Putin kein notwendiges Gegengewicht zur Hegemonie des ultradekadenten "Westens" ist, sondern der wohl mächtigste Drittweltautokrat aller Zeiten.

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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (01.10.25, 15:06)
Bereits im römischen Reich wurden Reiche als Senatoren ausgewählt, die Rom lenken sollten. 
Der Hintergrund ist der, man traut erfolgreichen Menschen, die durch ihre Taten reich geworden sind, dasselbe mit einem Staat anstellen zu können. Trump macht es gerade vor. Staat als Firma

Langzeit-Bürgergeldempfänger werden wohl weniger tauglich sein, einem Staat Reichtum und Erfolg zubringen. Wenn aber Diebe und Halunken durch dubiose  Machenschaften reich werden und dies als Erfolg feiern, den dubiosen Machenschaften öffentlich ein anderes Kleid geben, wird der Staat in Wahrheit von Dieben und Halunken durch dubiose Machenschaften gelenkt. 

Die Frage ist, wie erkennt man staatsmännische Solaristen? Ein Ceaser ist keinem Kampf gewichen, ein Alexander Große noch weniger, und ein Putin versteckt sich im Kreml hinter verschlossenen Türen. 

Im Epos von Homer die Ilias treten Hector und Achilles gegeneinander an. Hiernach wäre es die beste Lösung im Ring „Selensky gegen Putin“ antreten zu lassen. Das Völkerrecht müsste demnach erweitert werden: Bei Konflikten treten Staatschef gegen Staatschef an. Das würde auch erlauben, dass nicht nur alte Säcke an der Macht kleben, sondern auch immer jüngere, stärkere, kampferprobte Kerle nachrückten, für den Fall der Fälle, wenn der Konflikt nur gewaltsam auszutragen wäre. 

Was hätte die Welt sich erspart, wenn Hitler und Stalin in den Ring gestiegen wären, und um Leben und Tod gekämpft hätten und Stalin den Hitler erschlagen hätte. 

Wenn beide das nicht wollen, warum dann Feiglingen folgen? Wenn nur einer wollte, warum dann dem anderen Feigling folgen? 

Es steckt aber mehr dahinter; mit der mächtigen Person werden etliche andere Personen privilegiert; diese kämpfen für ihre Privilegien; denn mit dem Tod des Mächtigen haben sie zu befürchten, dass ihre Privilegien wegfallen. Also spannen sie die unteren Ebenen an sich, die wiederum von der oberen Ebene Privilegien erhält usw… und über allem - wie man nun erkennt - schwebt das Geld, als Macjtinstrument, das Privilegien schafft. 

 Jack meinte dazu am 01.10.25 um 23:48:
Für Putin gilt wie für Cersei:
„Macht ist Macht“, aber es handelt sich um usurpierte Macht. Das ist nicht besser, als wenn Beresowskij oder Kolomojskij oder Oligarchinskij sich in eine Machtposition einkauft, wobei das sogar humaner ist als Machtusurpation durch kriminelle Gewalt.

Shudras oder Vaishyas, die Macht an sich reißen, sind keine Kshatriyas; ihre Macht stützt das Land ins Verderben.

 Saudade (01.10.25, 15:17)
Ich kann dir ein Zitat aus direkter, sehr sehr reicher Quelle geben: "Es bedeutet Freiheit." Von Glück redete er nicht. Ich gestehe, dagegen kann man heutzutage nichts mehr sagen. 
Spitzer meinte auch, dass Geld nicht glücklich macht, das ist schon gehirntechnisch so. Hast du es, hast du Sorgen, dass es nur mehr, nicht weniger wird, und hast du es nicht, hast du Sorgen, dass du auf der Straße landest. Was ist die goldene Mitte? Ich kann dir nur von mir antworten:"Wichtig, dass ich genug habe, um kaputte Geräte wie Kühlschrank, dgl. rasch und ohne Sorgen zu ersetzen, vielleicht hie und da sich einen Urlaub leisten können und auch sonstige Freuden wie Bücher, Mädikram. Ich brauche keine 1500 Euro Taschen oder sonstigen Klimbim. Und was übrig bleibt am Ende des Monats wird entweder gespart oder auch ein Teil gespendet. Ich empfinde da eine soziale Verantwortung. 
Der reiche reiche Freund erzählte mir nie dergleichen, jedoch seine Firma sponsert um die 50 gemeinnützige Projekte, schlussendlich kann man das ja von der Steuer absetzen, was den Organisationen aber powidl sein kann.
Und das ist, was mich an "Reicher als reich"-Diskussionen oft stört, dass sie einseitig geführt werden. Die karitativen Projekte so gut wie nie erwähnt werden, Arbeitsplatzbeschaffung und Wirtschaftsbedeutung, Stiftungen für gemeinnützige Zwecke usw. In Österreich kannst du eine Stiftung erst ab 70.000 gründen, das macht fast keiner, zumeist sind es über eine Million. Das muss man erst einmal haben. Selbstredend gibt es Reiche, die nur in Monaco anlegen oder in Dubai im Pool liegen, auch welche, die nur ausbeuten, aber eben, es gibt diese und jene.

Kommentar geändert am 01.10.2025 um 15:37 Uhr

 Jack antwortete darauf am 01.10.25 um 23:51:
Die Zeit, in der ich mehr als 1000-1500 € im Monat brauchte, neigt sich ihrem Ende zu. Es waren nicht einmal zwei Jahre mit Sonderausgaben, und selbst diese wahren eine Investition. Glück hängt für mich allein von der Transzendenz ab, Geld spielt keine Rolle.

 Graeculus schrieb daraufhin am 02.10.25 um 00:39:
Geld bedeutet nur so lange Freiheit, wie es nicht mit der Macht kollidiert. Davon kann so mancher Superreiche - von Seneca bis Beresowskij und Chodorkowskij - ein Lied singen.
Und dann wäre da noch der Tod, wie es Hofmansthal in seinem "Jedermann" vor Augen führt. Ihm gegenüber muß sogar die Macht die Segel streichen.
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