Machtstrategien: vergiftete Komplimente

Betrachtung zum Thema Schwäche

von  dubdidu

Vergiftete Komplimente, auch Negging genannt, sind geschickt verpackte Abwertungen. Sie treten in allen möglichen zwischenmenschlichen Beziehungen auf: Vorgesetzte, Kollegen, Freunde, Verwandte und so weiter können diese Strategie nutzen, um die Machtverhältnisse in der Beziehung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Vergiftete Komplimente sind widersprüchliche doppelte Botschaften:


Ich bewundere deinen Mut, so dick aufzutragen. Ehrlich. Ich selbst bin so ein Feigling, dass ich immer der Regel weniger ist mehr folge.


Tolle Hose, wie gut sie deinen Bauchansatz kaschiert!


Die Ernsthaftigkeit, mit der du durchgehend sprichst, ist beeindruckend; ich selbst kann mir meinen Humor nicht so gut verkneifen.


Du bist wirklich ein geschickter Redner, die kleinen Ungereimtheiten sind sicher niemandem aufgefallen.


Der Empfänger fühlt sich ob solcher vergifteten Komplimente verwirrt und weiß nicht, wie er darauf reagieren soll. Dies ist machtstrategisch beabsichtigt. Wer vergiftete Komplimente verteilt, will den anderen verunsichern und in seinem Selbstbewusstsein schwächen. Statt es auf eine Konfrontation ankommen zu lassen, in der er seine Abwertungen offen ausspricht, sodass der Empfänger ebenso offen widersprechen könnte, verdeckt er sie mit Jovialität und scheinbarem Gut-Meinen.


Die wahre Schwäche liegt selbstverständlich bei der Person, die vergiftete Komplimente verteilt. Ohne Machtposition fühlt sie sich unaushaltbar klein. Indem sie andere kleinmacht, macht sie sich selbst größer. Soviel ist klar. Fraglich ist, ob sich die Person dessen bewusst ist, dass sie sich machtstrategisch verhält. Handelt es sich um kühle Manipulation oder einen verzweifelten Versuch, den Kopf über Wasser zu halten?


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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (24.07.25, 12:43)
hm. Ich verstehe die Argumentation. Ich kann mir jedoch Situationen vorstellen, in dem beide Personen sich der ironischen Bedeutungsebene solcher Sätze bewusst sind. Beide würden wahrscheinlich darüber lachen. Der eine weil er eine ironische Spitzfindigkeit losgeworden ist, der andere der sie aufgenommen hat, diese seine Schwächen kennt und deshalb über sich selbst lachen kann - würde wohl mitlachen. Voraussetzung ist hier das Verständnis von der Handhabe der Ironie als führende Feder des ausgesprochenen Gedanken. 

Abgesehen von diesem Ausnahmefall stellt deine Beobachtung die Regel, die, wenn die Person schon Belohnungen verteilt in Form von Komplimenten, möchte sie sich durch den hinzugefügten Stich, der unterschwellig schwingt, im Rahmen der Schadensfreude sich selbst belohnen. Dies muss nicht bewusst erfolgen, sondern erfolgt oft arbiträr; der Einfluss auf die Gedanken und damit auf das beobachtbare und die entsprechende Interaktion mit dem Beobachteten - kann auch auf ein insgesamt gesellschaftliches Problem hin deuten, wenn dies in vielen Haushalten oder unter Freunden vermehrt auftritt und nicht in Einzelfällen. 

 dubdidu meinte dazu am 24.07.25 um 12:54:
Ich glaube, es ist nicht so schwierig, Ironie von Machtgehabe zu unterscheiden, auch wenn es einigermaßen üblich ist, Machtgehabe unter einer scheinbaren Ironie zu verdecken.

 Graeculus antwortete darauf am 24.07.25 um 13:05:
Das sehe ich nicht so. In Deiner Deutung kann man jede Kritik als Sich-über-jemanden-Stellen und Machtgehabe verstehen. Was in einem gewissen Sinne sogar zutreffen mag.

Das vergiftete Kompliment ist eine geistreiche, ironische Form von Kritik. Nicht so plump.

Die Grenze zur Beleidigung ist fließend, und in manchen Fällen ist die Beleidigung auch gar nicht mehr verdeckt. So etwa in diesem, den ich einmal gehört habe: "Gut siehst du aus! Bist du schon lange tot?"

Kommunikation ist so herrlich vielfältig, und wenn sie Machtstrukturen spiegelt, dann ist das so, weil es diese gibt. Schade, richtig schade ist es um die Sprache selbst vor allem dann, wenn sie zu keiner Verständigung führt, wenn man aneinander vorbeiredet. Beim vergifteten Kompliment ist das nicht der Fall.

Übrigens: Guter Text! Jedenfalls der Teil, den ich verständlich fand.

No hard feelings!

Antwort geändert am 24.07.2025 um 13:14 Uhr

 dubdidu schrieb daraufhin am 24.07.25 um 13:19:
So tolerant, dass ich vergiftete Komplimente für geistreich hielte, wäre ich auch gerne! Es muss an meiner eigenen Leichtgewichtigkeit liegen, dass mir Abwertungen als Mittel der Selbstaufwertung stets plump und durchschaubar erscheinen.

 Graeculus äußerte darauf am 24.07.25 um 13:28:
Siehst Du, das war doch schon ein vergiftetes Kompliment! Geht doch. Dabei habe ich nichtmal den Eindruck, daß hier eine Machtstruktur im Spiel ist.

Aber nochmal, und das ist mir wichtig: "Abwertung als Mittel der Selbstaufwertung", das kann man jeder Art von Kritik attestieren.
Selbstverständlich ist das vergiftete Kompliment eine Art von Kritik. Aber was jeder Kritik eigen ist, kann ja nun nicht das speziell Schlimme an ihr sein. 
Ich ziehe es vor, sie als geistreiches (weil doppelbödiges) Spiel anzusehen. Im Idealfall - ich meine mich an literarische Schilderungen zu erinnern - findet sie sogar als gepflegte Bosheit unter Gleichgestellten statt

 DanceWith1Life ergänzte dazu am 24.07.25 um 13:51:
Lach usw ich bin auch erst sehr wenigen Menschen begegnet, denen das bewusst genug ist. Weil einfach mal per se davon auszugehen, dass Graeculus‘ Antwort frei davon ist, nun ja, wäre ganz im Sinne des Textes oder? Lach, es gab Zeiten, da nannte man sowas Teufelskreis, lustiger Tag heute mit durchwachsenen Texten

 dubdidu meinte dazu am 24.07.25 um 15:24:
das kann man jeder Art von Kritik attestieren.
Nein.

 dubdidu meinte dazu am 24.07.25 um 15:38:
Dance, ich finde, Graeculus hat ja hier keine vergifteten Komplimente gemacht, er hat sie exemplifiziert. Dadurch fehlt die manipulative Qualität.

 DanceWith1Life meinte dazu am 24.07.25 um 15:47:
Verstehe, ich ging mehr von Kommunikation im allgemeinen aus, dir ging es mehr um eine spezifische Form derselben.

 dubdidu meinte dazu am 24.07.25 um 16:01:
Ah, ok, danke für die Klärung!

 LotharAtzert (24.07.25, 15:43)
Fraglich ist, ob sich die Person dessen bewusst ist, dass sie sich machtstrategisch verhält. Handelt es sich um kühle Manipulation oder einen verzweifelten Versuch, den Kopf über Wasser zu halten?
Ja, aber wenn man auch nur etwas gegenwärtig ist, empfindet man den Unterschied zwischen Not und Manipulation. Bei Not läßt sich vielleicht helfen, bei Manipulation kann ich die eigene Schwächen erkennen - sofern vorhanden, versteht sich. Sonst genügt es, autenthisch zu bleiben, dann strahlt die üble Absicht auf den Adressaten zurück. Odr?

 dubdidu meinte dazu am 24.07.25 um 15:59:
Sonst genügt es, autenthisch zu bleiben, dann strahlt die üble Absicht auf den Adressaten zurück. Odr?
Jepp.


Ich nehme es so wahr, dass Manipulation ein Ausdruck von Entfremdung von der Fähigkeit ist, die eigene Not als solche spüren zu können.
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