Reinheit ist Quatsch und Kitsch - eine Binse, die aus Illusionslust abgelehnt wird

Betrachtung zum Thema Denken und Fühlen

von  dubdidu

Trotz aller Binsigkeit ergeht sich mancher Mensch in der Illusion unterschiedlichster Reinheiten; Hirngespinste, durch Märchen tradiert.


Stellen wir uns vor, der eine Mensch trifft in der U-Bahn auf einen anderen Menschen. Der andere Mensch ist arm und bettelt. Er hat schmutzige Füße und Hände. Er riecht schlecht. Er bittet um Geld. Beim einen Menschen dürften verschiedene Gefühle in einem individuellen Mischverhältnis auftreten. Die Mehrheit der Menschen wird Ekel empfinden, bei einigen von Angst begleitet, aber nur manche Menschen werden zusätzlich Verachtung empfinden, andere dagegen Traurer. Jetzt kommt es darauf an, was der eine Mensch aus seinem jeweiligen Gefühlsgemisch macht. Er hat z.B. folgende Möglichkeiten:


1. die Gefühle (wie sie sind) hinnehmen

2. innerlich gegen die Gefühle vorgehen, indem er

a) an etwas anderes denkt

b) sie dekonstruiert

3. die Gefühle innerlich rechtfertigen


Alle drei genannten Möglichkeiten inklusive a) und b) können sogar in rascher Abfolge, ja, beinahe gleichzeitig von einem Menschen genutzt werden.


Auch kann der eine Mensch unterschiedliche Taten daraus folgen lassen, z.B., dem bettelnden Menschen ein Geldstück geben, dem bettelnden Menschen ins Gesicht sehen, um ihm einen Funken Zwischenmenschlichkeit zukommen zu lassen, wieder zu Hause, eine größere Summe spenden, in den nächsten Tagen eine ehrenamtliche Tätigkeit aufnehmen, bei der nächsten Wahl eine Partei wählen, die sich für bettelnde Menschen einsetzt, mit Freunden und Bekannten sprechen und auf die Lage dieser Menschen aufmerksam machen. Alle diese Handlungen können auf ihre jeweilige Weise hilfreich sein.


Der eine Mensch kann natürlich auch einen Text in einem Literaturforum veröffentlichen, in welchem er sich über den bettelnden Menschen beklagt. Dies wäre eine Veräußerlichung von Möglichkeit 3, der innerlichen Rechtfertigung. Dies ist eine Tat, die überhaupt nicht hilfreich ist. Außer natürlich für die Person, die es tut.


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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (17.06.25, 18:09)
Praktisch, aber nicht kantisch. Deine Argumentation basiert auf posteriori Urteilen. Dagegen basiert eine metaphysische Reinheit auf a priori Urteil, weil diese Welt, was wir unsere Erde nennen, die wir - übrigens ekelhaft behandeln, überwiegend unreine, selbstsüchtige  Menschen herumlaufen, die wie Parasiten agieren, mit wenig Aufwand den größtmöglichen Erfolg wünschen. 
Es wird von reinen Menschen auf Grund einer Erkenntnis ein a priori Urteil gefällt - dass es eine Welt voller Reinheit/Schönheit geben muss, wenn nicht der Nihilismus gilt - die außerhalb dieses Universums liegen sollte. 

Die in unserer Welt (unrein besudelten), rein handelnden Menschen (die wohl aller wenigsten) - können ausschließlich durch moralische Prinzipien den Zauberschlüssel zu dieser höheren Welt schmieden - und gelangen demnach in diese a priori erkannte reine Welt.  

Kommentar geändert am 17.06.2025 um 18:10 Uhr

Kommentar geändert am 17.06.2025 um 18:17 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 17.06.25 um 18:15:
Mit Kants Konzept von synthetischen Urteilen a priori hat das m.E. nichts zu tun, zumal die Aussage, die Welt sei überwiegend unrein und ekelhaft (nach der Änderung nur noch als Stümmelsatz erhalten), wohl kaum ein Urteil a priori ist.
Aus der erfahrenen Unreinheit eine a priori-Aussage abzuleiten, erinnert mich aus der Ferne an Kants praktische Postulate, die allerdings keine Existenz-Behauptungen darstellen.

Antwort geändert am 17.06.2025 um 18:16 Uhr

 Augustus antwortete darauf am 17.06.25 um 18:21:
@Graeculus 
Wenn ein Wilder zum ersten Mal ein Haus sieht, und diese Erfahrung macht, dass der Mensch nicht nur unter freiem Himmel schlafen kann, sondern auch unter einem Hausdach; kann er über diese praktische Erfahrung ein Urteil fällen, dass außerhalb seiner Erfahrung liegt, dass ein Architekt das Haus konstruiert haben muss.  

Antwort geändert am 17.06.2025 um 18:21 Uhr

 Graeculus schrieb daraufhin am 17.06.25 um 18:57:
Ohne daß er - als Wilder - etwas von einem Architekten weiß? Dazu gibt es ja, vor allem im magischen Denken, andere Erklärungen.

Schon aus der Existenz des Unvollkommenen (wie gemessen?) auf die Existenz des Vollkommenen zu schließen, halte ich für fragwürdig ... und ohne Bezug zu Kants synthetischen Urteilen a priori. Wie gesagt, eher eine Ähnlichkeit mit seinen praktischen Postulaten.

 S4SCH4 äußerte darauf am 17.06.25 um 19:11:
Schon sehr aufreibend, dass Kant a priori Urteile für eine Metaphysik der Reinheit benutzt werden, die auf einem vorher begründeten Ekel basiert! Dieser Ekel füttert doch gerade die metaphysischen Anhänger dieser angeblichen Reinheit, der Nihilismus scheint da eine nächste Zuflucht zu sein, um damit nichts, ja ich betone: NICHTS, mehr zu tun haben zu wollen. So geht das nicht! Bitte mal auf dem Boden bleiben und das Leiden nicht als Anlasse nehmen und dreißig kilometer über einen see of sorrow in etwas zu fliegen, dass körperlich wie geistig umbringt. Sorry, aber es musste mal raus. Und ja, viele Wege führen nach Rom.

PS. Achja: Diese Metaschau von "Menschen" ist einfach nur schlecht, auch die Trennung in hinnehmen, angehen und rechtfertigen erschließt sich mir nicht. Wozu diese Trennung, die einen Satz später, sowieso wieder zusammeführt? Ich kann "Ja" sagen, "Nein" sagen und sagen Warum, WIe etc (W-Fragen Katalog), so what?

PPS. Sorry,first things first eigentlich, also willkommen im Forum.

Antwort geändert am 17.06.2025 um 19:17 Uhr

Antwort geändert am 17.06.2025 um 19:18 Uhr

 dubdidu ergänzte dazu am 17.06.25 um 21:29:
Sorry, Themaverfehlung. Das ist keine philosophische, sondern eine psychologische Alltagsbeobachtung zum Umgang von Menschen mit ihren (gemischten) Gefühlen.

Ekel oder Verachtung fühlen ist eine Sache, die andere ist: welche Möglichkeiten hat ein Mensch, mit diesen Gefühlen umzugehen und welche wendet ein beliebiger Mensch tatsächlich an.

Trennen und dann wieder Zusammenführen ist eine sehr gewöhnliche, verbreitete Vorgehensweise zur Auseinandersetzung. Wenn sich dir das nicht erschließt, dürften sich dir auch zahlreiche andere Darlegungen nicht erschließen.

Ach so, ja. In meinem anderen Text steht ja ausdrücklich, dass die Gleichsetzung von (Mit)gefühl und Moral eher wenig Sinn ergibt und zu großen Missverständnissen führt. So wenig Mitgefühl moralisch verordnet werden kann, so wenig kann eignet sich eine moralische Bewertung des Mitgefühls.

Gerade deshalb ist es enorm hilfreich, Vermischtes aufzudröseln und dann benannt und geordnet wieder zusammenzusetzen.

Antwort geändert am 17.06.2025 um 21:40 Uhr

 S4SCH4 meinte dazu am 17.06.25 um 21:40:
Dieses Trennen und wieder zusammenführen, kommt mir doch sehr wie hausgemachte Küchenpsychologie vor. Ala ich hätte gerne, ich wäre, wenn..., wie... usw. Hättest du Quellen (Lehrmeinungen, o.ä.) oder sind es persönliche Alltagsbeobachtungen? 

PS. Diese NLP Sachen sind nicht (mehr) meins.

PPS. Zur GLeichsetzung von Mit(gefühl) und Moral: es ergibt vielleicht keinen Sinn, ist aber Gefühl. Moralische (Hoheit) subventioniert m.E. oft ein Gefühl. Das ist auch okay, solange der Rahmen stimmt, wenn nicht hat man halt Gegenwind zu erwarten, im besten Fall.

Antwort geändert am 17.06.2025 um 21:44 Uhr

 dubdidu meinte dazu am 17.06.25 um 21:50:
Natürlich sind es persönliche Alltagsbeobachtungen.

Deine Frage nach Quellen weist für mich darauf hin, dass du wenig Erfahrung mit dem Lesen und Verfassen von Texten außerhalb des Internets hast, da die Vorgehensweise des Trennens und Zusammenführens dort frequent genutzt wird.

NLP ist eine noch gröbere Themaverfehlung als Philosophie.

 S4SCH4 meinte dazu am 17.06.25 um 21:51:
ALles klar. Viel spaß beim köcheln noch...

 dubdidu meinte dazu am 17.06.25 um 22:03:
Dein Selbstbewusstsein bei gleichzeitig durchgängiger Unstrukturiertheit ist wirklich enorm beeindruckend. Ich beneide niemanden, der je eine Arbeit von dir hat bewerten müssen, die über bloße Wissenabfrage hinausging.

 S4SCH4 meinte dazu am 17.06.25 um 22:12:
Man nehme den Maßstab zur "Strukturiertheit" (andere mögen dierekter die Moral nehmen), leite Werte ab und erhielte dadurch (d)ein Gefühl ("des nicht beneidens"). Was du mir, dem Leser und Kommentator, dagegen mitteilst ist dürftig. 
Der/die Autor:in möge seinen Text selbst nochmal lesen und dann einmal ganz praktisch darüber resümieren.

Antwort geändert am 17.06.2025 um 22:13 Uhr

 dubdidu meinte dazu am 17.06.25 um 22:32:
An keiner Bildungsinstitution, die ich je besucht habe, und das waren einige, gab es eine grundsätzlich andere Auffassung dessen, wie eine strukturierte Darlegung von Gedanken aussieht.

Strukturiertheit hat weder mit Moral noch mit Werten etwas zu tun. Allein diese deine Vorstellung ist schon wieder sehr beeindruckend.

Unfreiwilliger Dadaismus hat sich als Sachprosaform noch nicht durchgesetzt. Aber du kannst daran ja arbeiten. Bei deinem Selbstbewusstsein hast du die Möglichkeit, Pionier auf diesem Gebiet zu werden.

 S4SCH4 meinte dazu am 17.06.25 um 22:43:
Ich glaube dir, dass es „einige“ Bildungsinstitutionen waren, die du besucht hast. Ach ja, dass mit dem „freiwillig und unfreiwillig“ ist bisweilen vielleicht ebenso umstrukturiert, wie deine Gedanken zu meinem Selbstbewusstsein. Aber lassen wir das.

Gute Nacht und willkommen nochmal.

 dubdidu meinte dazu am 18.06.25 um 01:05:
Ich gebe dir ein Beispiel aus der Musik. Ein beliebiges Musikstück besteht aus vielen verschiedenen Einheiten, die miteinander interagieren. Der Hörer kann ausschließlich das Gesamtstück wahrnehmen und in der Stimmung schwingen, die es bei ihm erzeugt, er kann sich aber auch auf einen einzelnen Aspekt konzentrieren, z.B. eine Harmonie eines bestimmten Instruments, er kann alle Einzelaspekte getrennt und im Verhältnis zueinander in diesem spezifischen Musikstück hören und er kann die Einzelaspekte in den Kontext zu anderen Musikstücken setzen, z.B. er kann feststellen, dass diese Harmonie auch in den Stücken A, F, L, O und X prägend ist, usw.usf. Ich gehe jetzt nicht weiter ins Detail. Recht ähnlich kann ein Mensch auch mit seinen Gefühlen umgehen. Er muss es allerdings wollen.
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