OP - brutal!
Short Story zum Thema Traum/ Träume
von tastifix
Am anderen Ende der Leitung hängt ein total verzweifeltes Etwas:
"Mama, schluchz!", piepst es mir entgegen.
Schlagartig wird mir klar, wer da offensichtlich in Not ist: Dieses zittrige, dünne Stimmchen gehört meiner Ältesten und das ´Schluchz` bedeutet, es geht um Leben oder Tod.
"Kleines, was ist denn passiert?"
"Püchen ist, heul, vom Schrank geplumpst, schnief, und jetzt hat er nur noch ein Auge. - Mamaa...?!!!!"
Es klingt wie das SOS in Erwartung des drohenden Weltunterganges. Schließlich ist meine Tochter ja erst 27 Jahre jung und der gefallene Unglücksrabe ihr Teddybär, der früher einmal meiner war.
"Mama", tönt es schon wieder. "Hilfst du ihm? Es ist ja soo fuurchtbar, heuul...?!"
"Nooch schlimmer kann der Weltuntergang auch nicht werden!", stelle ich fest, natürlich nur leise für mich, bin ja keine gemeine Mutter. Laut versichere ihr:
"Schwing Dich ins Auto und bring mir den kleinen Patienten. Haste das Auge denn wieder gefunden?"
"D.. das ist untern Schrank gekullert. Ich bin drunter gekrabbelt und hab es mit der Krücke vom Regenschirm hervor gefischt, schnief."
„Des Regenschirmes!“, korrigiere ich im Stillen.
In Anbetracht der bedrohlichen Lage schweige ich jedoch dazu.
Eine kurze Pause, dann spricht sie ein bisschen munterer:
"Püchens anderes Auge hat bei dessen Anblick richtig gestrahlt!"
Für ihre Fantasie kann meine Tochter nichts. Die hat sie von mir, Sie verstehen?
Eine halbe Stunde später klingelt es, mein Töchterchen mit dem bedauernswerten Teddy auf dem Arm steht vor mir und bemüht sich um tapferes Tränenunterdrücken, was ihr erstaunlich gut gelingt. Na ja, seit dem Unfall sind ja immerhin mehr als dreißig Minuten vergangen. Auch Teddy Püchen wirkt auf mich nicht mehr so ganz frustriert. Vielleicht dominiert in diesem Augenblick auch nur die Wiedersehensfreude mit seinem Ex-Frauchen.
Sein linkes Auge blitzt mich schelmisch an. Das andere kann das nicht. Es ist ja nicht mehr da, wo es hin gehört, bleibt also unsichtbar. Was ich stattdessen sofort bemerke, ist der kleine Rucksack, den das Kerlchen auf dem Rücken trägt.
"Weshalb bringt er den denn mit?", frage ich meine Tochter verblüfft.
"Da ist sein zweites Auge drin. So geht es wenigstens nicht verloren!"
Ich fass es einfach nicht!!
Vorsichtshalber geleite ich die Zwei erst einmal in die Küche und krame den Cappuchino und die Büchsenmilch aus dem Schrank. Den Kaffee für meine Kleine, damit sie vielleicht wieder in die Realität zurückfindet und die Büchsenmilch für Püchen als Trostleckerei. Beide schlürfen mit Begeisterung und beide beruhigen sich langsam.
Als der Puls meiner Tochter wieder normal geht, schicke ich sie gen Heimat:
"Aber, Mama, du sagst mir doch sofort Bescheid, falls...!"
"Ja ja, natürlich, Kind!", entgegne ich, schiebe sie zur Türe raus und schließe diese schleunigst wieder. Die Augen zur Decke verdrehend pruste ich los. Irgendwie erscheint mir das Ganze so verrückt...
Doch genauso fix, wie mich das Lachen übermannt hat, werde ich wieder ernst und finde alles überhaupt nicht mehr komisch, sondern äußerst tragisch. Ich eile besorgten Gesichtes zurück in die Küche, in der Püchen inzwischen vor dem Kühlschrank hockt und sich mit seiner Zunge übers Mäulchen leckt. Wahrscheinlich denkt er, macht er das nur lange genug, dann regnet es Büchsenmilchdosen.
Aber dummerweise steht ihm eine Operation bevor und da muss er zumindest einigermaßen nüchtern bleiben. Erklären Sie dies aber mal einem Teddybären! Da das relativ blödsinnig wäre, spare ich mir diesbezügliche Bemühungen und bereite stattdessen alles für den komplizierten Eingriff vor.
Der Küchentisch avanciert zum OP-Tisch. Püchen verschwindet, wie es sich bei einer anständigen Operation während der Adventszeit gehört, unter riesigen, grünen Weihnachtsservierten, die nur noch die leere Augenhöhle frei lassen. Das allerdings ist unumgänglich und äußerst wichtig, denn wo sonst soll ich, bitteschön, das arme Guckinstrument implantieren? Unter der Hinterpfote wirkte es doch reichlich deplaziert. Schließlich ist es kein Hühnerauge.
Erschüttert starre ich einen Moment lang auf jenes traurige Loch dort.
„Keine Angst, das haben wir gleich!“, suggeriere ich dem vor Panik wie gelähmt da liegenden Bären.
Es kommt keine Antwort. Hat er bereits mit seinem Leben abgeschlossen? Da keine zeit zu verlieren ist, ziehe ich mir meine Gartenhandschuhe an (von wegen der Sterilität!) und stülpe mir noch den größten meiner Fingerhüte über den Zeigefinger der rechten Hand. Teddys Haut ist schließlich dick und eine Ledernadel piekt nicht nur am unteren Ende.
Einen Moment noch, ich habe doch etwas Wesentliches vergessen...Was war das denn noch? Ach ja, richtig, nooch ist der Bär bei vollem Bewusstsein.
„Ne, das geht ja nun wirklich nicht!“, sage ich mir.
„Entschuldige, Püchen, aber das muss jetzt sein...!“, flüstere ich dem armen Kerl zu, hole aus und verpasse ihm eine gehörige Backpfeife. Sein linkes Auge sieht mich für einen Sekundenbruchteil überrascht an. Dann kippt sein Kopf zur Seite und mein Patient befindet sich im Traumland. Diese äußerst liebevolle Art und Weise, ihn zu narkotisieren, ist einfach umwerfend gewesen.
„Garantiert schluckert der dort jetzt eimerweise Büchsenmilch, während ich mich hier abmühe!“, grummele ich.
Mit ein paar Stichen nähe ich das Auge wieder fest. Hoffentlich habe ich ihn mit meiner Aktion nicht dazu verdonnert, in Zukunft schielend durchs Leben zu traben. Ich hebe vorsichtig die Serviette ein wenig an. Nein, die Operation ist geglückt, das Auge sitzt. Mir fällt ein Stein vom Herzen.
Die nachlassende Anspannung führt dazu, dass ich urplötzlich stutze. Für einen kurzen Augenblick überfällt mich ein zweites Mal die Realität und damit zugleich eine schockierende Erkenntnis.
„Ich habe soeben einem Stück Stoff mit Sägespänenfüllung eine runter gehauen!“, murmele ich entsetzt vor mich hin und beginne, an meinem Verstand zu zweifeln.
Doch bevor ich mich noch selbst für irrenhausreif erklären kann, verwischt ein mitleidiger Blick auf Püchen denselbigen für die Wirklichkeit. Ob Bärchen wohl Wundschmerzen kriegen wird?
Pflichtbewusst rufe ich meine Tochter an. Anscheinend hat sie sich vor lauter Sorge um Püchen die ganze Zeit keinen Millimeter weit vom Telefon weg gerührt. Wieder höre ich die ängstliche Stimme:
„Mama, ist alles okay?“
Ich versichere ihr, ihrem Bären geht es gut. Ich spüre durchs Telefon, da liegt noch eine Frage in der Luft und richtig, da kommt sie auch schon:
„Mama. Du hast ihn aber doch hoffentlich nicht ohne Betäub...!!?“
„Für wen hältst du mich eigentlich...?!“, entrüste ich mich.
Stille in der Leitung. Es bleibt so still, dass ich davon ausgehe, es ist gut, dass ich nicht erfahre, was sie da denkt.
Um allen ungerechtfertigten Zweifeln an meinem Charakter vorzubeugen, schleudere ich ihr, vielleicht ein wenig zu heftig, entgegen:
„Ich habe ihm natürlich vorher eine geklebt!“
Hätte ich das besser anders formulieren sollen??
Wiederum herrscht Stille. Diesmal ist es eisige Stille.
Dann ein unkontrollierter, irre wütender Wahnsinnsaufschrei:
„Also wirklich, Mamaa...!!!
Das Gespräch ist beendet. Klatsch, der Hörer liegt.
Neben meinem rechten Ohr bimmelt es schrill und hartnäckig. Ich greife hinüber. Zu meinem Glück entpuppt sich der Störenfried als mein Wecker, der mir das Ende der Nacht ansagt.
Es ist alles nur ein Traum gewesen.
"Mama, schluchz!", piepst es mir entgegen.
Schlagartig wird mir klar, wer da offensichtlich in Not ist: Dieses zittrige, dünne Stimmchen gehört meiner Ältesten und das ´Schluchz` bedeutet, es geht um Leben oder Tod.
"Kleines, was ist denn passiert?"
"Püchen ist, heul, vom Schrank geplumpst, schnief, und jetzt hat er nur noch ein Auge. - Mamaa...?!!!!"
Es klingt wie das SOS in Erwartung des drohenden Weltunterganges. Schließlich ist meine Tochter ja erst 27 Jahre jung und der gefallene Unglücksrabe ihr Teddybär, der früher einmal meiner war.
"Mama", tönt es schon wieder. "Hilfst du ihm? Es ist ja soo fuurchtbar, heuul...?!"
"Nooch schlimmer kann der Weltuntergang auch nicht werden!", stelle ich fest, natürlich nur leise für mich, bin ja keine gemeine Mutter. Laut versichere ihr:
"Schwing Dich ins Auto und bring mir den kleinen Patienten. Haste das Auge denn wieder gefunden?"
"D.. das ist untern Schrank gekullert. Ich bin drunter gekrabbelt und hab es mit der Krücke vom Regenschirm hervor gefischt, schnief."
„Des Regenschirmes!“, korrigiere ich im Stillen.
In Anbetracht der bedrohlichen Lage schweige ich jedoch dazu.
Eine kurze Pause, dann spricht sie ein bisschen munterer:
"Püchens anderes Auge hat bei dessen Anblick richtig gestrahlt!"
Für ihre Fantasie kann meine Tochter nichts. Die hat sie von mir, Sie verstehen?
Eine halbe Stunde später klingelt es, mein Töchterchen mit dem bedauernswerten Teddy auf dem Arm steht vor mir und bemüht sich um tapferes Tränenunterdrücken, was ihr erstaunlich gut gelingt. Na ja, seit dem Unfall sind ja immerhin mehr als dreißig Minuten vergangen. Auch Teddy Püchen wirkt auf mich nicht mehr so ganz frustriert. Vielleicht dominiert in diesem Augenblick auch nur die Wiedersehensfreude mit seinem Ex-Frauchen.
Sein linkes Auge blitzt mich schelmisch an. Das andere kann das nicht. Es ist ja nicht mehr da, wo es hin gehört, bleibt also unsichtbar. Was ich stattdessen sofort bemerke, ist der kleine Rucksack, den das Kerlchen auf dem Rücken trägt.
"Weshalb bringt er den denn mit?", frage ich meine Tochter verblüfft.
"Da ist sein zweites Auge drin. So geht es wenigstens nicht verloren!"
Ich fass es einfach nicht!!
Vorsichtshalber geleite ich die Zwei erst einmal in die Küche und krame den Cappuchino und die Büchsenmilch aus dem Schrank. Den Kaffee für meine Kleine, damit sie vielleicht wieder in die Realität zurückfindet und die Büchsenmilch für Püchen als Trostleckerei. Beide schlürfen mit Begeisterung und beide beruhigen sich langsam.
Als der Puls meiner Tochter wieder normal geht, schicke ich sie gen Heimat:
"Aber, Mama, du sagst mir doch sofort Bescheid, falls...!"
"Ja ja, natürlich, Kind!", entgegne ich, schiebe sie zur Türe raus und schließe diese schleunigst wieder. Die Augen zur Decke verdrehend pruste ich los. Irgendwie erscheint mir das Ganze so verrückt...
Doch genauso fix, wie mich das Lachen übermannt hat, werde ich wieder ernst und finde alles überhaupt nicht mehr komisch, sondern äußerst tragisch. Ich eile besorgten Gesichtes zurück in die Küche, in der Püchen inzwischen vor dem Kühlschrank hockt und sich mit seiner Zunge übers Mäulchen leckt. Wahrscheinlich denkt er, macht er das nur lange genug, dann regnet es Büchsenmilchdosen.
Aber dummerweise steht ihm eine Operation bevor und da muss er zumindest einigermaßen nüchtern bleiben. Erklären Sie dies aber mal einem Teddybären! Da das relativ blödsinnig wäre, spare ich mir diesbezügliche Bemühungen und bereite stattdessen alles für den komplizierten Eingriff vor.
Der Küchentisch avanciert zum OP-Tisch. Püchen verschwindet, wie es sich bei einer anständigen Operation während der Adventszeit gehört, unter riesigen, grünen Weihnachtsservierten, die nur noch die leere Augenhöhle frei lassen. Das allerdings ist unumgänglich und äußerst wichtig, denn wo sonst soll ich, bitteschön, das arme Guckinstrument implantieren? Unter der Hinterpfote wirkte es doch reichlich deplaziert. Schließlich ist es kein Hühnerauge.
Erschüttert starre ich einen Moment lang auf jenes traurige Loch dort.
„Keine Angst, das haben wir gleich!“, suggeriere ich dem vor Panik wie gelähmt da liegenden Bären.
Es kommt keine Antwort. Hat er bereits mit seinem Leben abgeschlossen? Da keine zeit zu verlieren ist, ziehe ich mir meine Gartenhandschuhe an (von wegen der Sterilität!) und stülpe mir noch den größten meiner Fingerhüte über den Zeigefinger der rechten Hand. Teddys Haut ist schließlich dick und eine Ledernadel piekt nicht nur am unteren Ende.
Einen Moment noch, ich habe doch etwas Wesentliches vergessen...Was war das denn noch? Ach ja, richtig, nooch ist der Bär bei vollem Bewusstsein.
„Ne, das geht ja nun wirklich nicht!“, sage ich mir.
„Entschuldige, Püchen, aber das muss jetzt sein...!“, flüstere ich dem armen Kerl zu, hole aus und verpasse ihm eine gehörige Backpfeife. Sein linkes Auge sieht mich für einen Sekundenbruchteil überrascht an. Dann kippt sein Kopf zur Seite und mein Patient befindet sich im Traumland. Diese äußerst liebevolle Art und Weise, ihn zu narkotisieren, ist einfach umwerfend gewesen.
„Garantiert schluckert der dort jetzt eimerweise Büchsenmilch, während ich mich hier abmühe!“, grummele ich.
Mit ein paar Stichen nähe ich das Auge wieder fest. Hoffentlich habe ich ihn mit meiner Aktion nicht dazu verdonnert, in Zukunft schielend durchs Leben zu traben. Ich hebe vorsichtig die Serviette ein wenig an. Nein, die Operation ist geglückt, das Auge sitzt. Mir fällt ein Stein vom Herzen.
Die nachlassende Anspannung führt dazu, dass ich urplötzlich stutze. Für einen kurzen Augenblick überfällt mich ein zweites Mal die Realität und damit zugleich eine schockierende Erkenntnis.
„Ich habe soeben einem Stück Stoff mit Sägespänenfüllung eine runter gehauen!“, murmele ich entsetzt vor mich hin und beginne, an meinem Verstand zu zweifeln.
Doch bevor ich mich noch selbst für irrenhausreif erklären kann, verwischt ein mitleidiger Blick auf Püchen denselbigen für die Wirklichkeit. Ob Bärchen wohl Wundschmerzen kriegen wird?
Pflichtbewusst rufe ich meine Tochter an. Anscheinend hat sie sich vor lauter Sorge um Püchen die ganze Zeit keinen Millimeter weit vom Telefon weg gerührt. Wieder höre ich die ängstliche Stimme:
„Mama, ist alles okay?“
Ich versichere ihr, ihrem Bären geht es gut. Ich spüre durchs Telefon, da liegt noch eine Frage in der Luft und richtig, da kommt sie auch schon:
„Mama. Du hast ihn aber doch hoffentlich nicht ohne Betäub...!!?“
„Für wen hältst du mich eigentlich...?!“, entrüste ich mich.
Stille in der Leitung. Es bleibt so still, dass ich davon ausgehe, es ist gut, dass ich nicht erfahre, was sie da denkt.
Um allen ungerechtfertigten Zweifeln an meinem Charakter vorzubeugen, schleudere ich ihr, vielleicht ein wenig zu heftig, entgegen:
„Ich habe ihm natürlich vorher eine geklebt!“
Hätte ich das besser anders formulieren sollen??
Wiederum herrscht Stille. Diesmal ist es eisige Stille.
Dann ein unkontrollierter, irre wütender Wahnsinnsaufschrei:
„Also wirklich, Mamaa...!!!
Das Gespräch ist beendet. Klatsch, der Hörer liegt.
Neben meinem rechten Ohr bimmelt es schrill und hartnäckig. Ich greife hinüber. Zu meinem Glück entpuppt sich der Störenfried als mein Wecker, der mir das Ende der Nacht ansagt.
Es ist alles nur ein Traum gewesen.