Faust und Stein in meiner Tasche

Predigt zum Thema Vergebung/ Versöhnung

von  tulpenrot

Illustration zum Text
Stein in meiner Hand?
(von tulpenrot)
Für den Lesungstext des heutigen Sonntags stecke ich meine Faust in die Tasche.
Vielleicht aber umgreife ich einen unsichtbaren Stein mit meiner Hand. Und wehe, wenn ich die Hand wieder herausnehme, es könnte also sein, dass ich nicht nur die Faust geballt habe, sondern einen Stein in der Hand halte.

Sie wissen, was es bedeutet, die Faust in der Tasche zu haben? Sie wissen, was es bedeutet, einen Stein in der Hand zu haben? Vor allem, wenn ich den Stein eigentlich nicht in der Tasche halten will, sondern ihn werfen will? Steine zu werfen ist kein harmloser Spaß, es bedeutet: Tod, ein Todesurteil: „Du, auf den ich den Stein werfe, musst sterben!“ Wenn ich also einen Stein werfe, fühle ich mich im Recht – ich habe ein Urteil gefällt: „Du bist zum Tode verurteilt. Du hast kein Recht zu leben. Dein Verhalten ist todeswürdig. Ich verurteile dich zum Tod.“

Im Johannesevangelium Kap. 8,1-11 wird erzählt, man habe eine Frau ertappt beim Ehebruch. Und nun soll sie gesteinigt werden. Und in dieser Geschichte kommt der Satz vor, der zum geflügelten Wort wurde: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie.“

Ich also werfe den ersten Stein, ich habe meinen Stein schon in der Tasche – und meine Faust.

Da stehen also die Richter um diese Frau herum und haben ihre Steine zurechtgelegt. Aber es geht ihnen gar nicht um die Frau, nicht um ihren Tod, den sie verdient zu haben scheint, sondern sie wollen eigentlich irgendetwas Verdächtiges aus Jesu Mund hören, damit sie ihn zum Tode verurteilen könnten. Sie wollen ihn enttarnen, wollen sehen, wie er zu den Gesetzen ihrer Religion steht. Erfüllt er sie? Dann ist er ihr Mann. Missachtet er sie? Dann maßt er sich zuviel an und ist des Todes schuldig. So entlocken sie ihm mit ihrer Frage eine Antwort, die für ihn vielleicht den Tod bedeuten könnte. „Wir haben diese Frau beim Ehebruch ertappt. Nach dem Gesetz des Mose muss sie zu Tode gesteinigt werden. Wie stehst du dazu?“

Jesus aber schweigt, schaut die Fragenden noch nicht einmal an und schreibt etwas in den Sand. Was? Der Text gibt darüber keine Auskunft. Die Spannung steigt. Er hebt nach einer Weile den Kopf nur kurz. „Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“, sagt er und schreibt weiter in den Sand.

Die Umstehenden schweigen nun auch. Keiner fragt mehr, keiner wirft den ersten Stein. Die Steine fallen ihnen aus der Hand und sie gehen, einer nach dem anderen.

Jesus ist mit der Ehebrecherin allein. „Hat dich jemand verurteilt?“ fragt er. „Nein, niemand“, antwortet sie. „So verurteile ich dich auch nicht. Geh hin und sündige nicht mehr.“

Wer darf urteilen und verurteilen? Dürfen wir Menschen es tun? Wenn Menschen mit ihrem Urteil die Würde eines anderen Menschen um des eigenen Vorteils willen angreifen, setzen sie sich ins Unrecht. Wenn sie verurteilen, um nur selber gut da zu stehen, als Verfechter der Gesetze ohne sich selbst den Gesetzen zu stellen, oder sogar ihre eigene Gesetzlosigkeit zu verbergen, hat kein Recht dazu, sich als Richter aufzuspielen. Und ein Todesurteil ist erst recht nicht zu vertreten. Es könnte ja sein, dass der von Menschen Verurteilte längst ein Gnadengesuch bei Gott eingelegt hat – und er ihm vergeben hat. Welches Recht haben wir Menschen, einen anderen zum Tode zu verurteilen, wenn Gott doch vergibt?

Jesus spricht die Ehebrecherin frei. Er zeigt: Bei Gott herrscht Gnade, wo Menschen vorschnell und aus unlauteren Motiven jemanden verurteilen. Jesus zeigt, dass er vergibt, wo Menschen herzlos sein können.

So lasse ich auch meinen Stein fallen, öffne meine Faust. Was sollte ich anderes tun?


Anmerkung von tulpenrot:

Ansprache vom 4.2.2007
anlässlich eines Gottesdienstes in der Kirche in Buchenberg/Schwarzwald

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Kommentare zu diesem Text

Jonathan (59)
(16.03.07)
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 tulpenrot meinte dazu am 17.03.07:
Lieber Jonathan,

da frage ich genauso provokant zurück:

was ist das für ein Mensch, der sich keinen Gesetzen beugen will?
Was ist das für ein Mensch, der sich selbst zum Gott macht? Der weiser und überlegener daherkommt?
Grundsätzlich: Nicht das Gesetz ist schlecht, sondern der Mensch.
Und außerdem ist der Sohn nicht ungehorsam, sondenr im Gegenteil: gehorsam bis zum Tod.

Also zurück zum Text:
hier geht es ja darum, die Fragwürdigkeit der Auslegung dieses Gesetzes vor Augen zu stellen. Und vor allem zu zeigen, was Gnade bedeutet.

Menschen fragen nach Gerechtigkeit, Gott allerdings ist ein Gott der Gnade. Das hier ist in der Geschichte der springende Punkt.

Man kann an einer Geschichte nicht alle theologischen/ethischen Probleme zeigen oder diskutieren. Bleiben wir bei der Aussage, die dieser Text zulässt - nicht mehr und nicht weniger.

Angelika
Jonathan (59) antwortete darauf am 18.03.07:
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