Grotescia lateinica!

Kurzgeschichte zum Thema Schule/ Studium

von  tastifix

Die reine Wahrheit, so wahr ich T. heiße...


Nicht allein in der Feuerzangenbowle findet man Lehrer- Originale, sondern auch unter den ehemaligen, eigenen Paukern. Stolz kann ich mich damit brüsten, dass an unserem Lyzeum mehrere solcher Unikate herum liefen, unbeabsichtigt für so manchen Gaudi und damit gleichzeitig überaus heitere Schülerseelen sorgten.

Eine Extra-Ausgabe dieser Spezies war unser Lateinlehrer. Bei der beachtlichen Länge von fast zwei Metern extrem dünn geraten, hatte er es aber im Gegenteil fasutdick hinter den relativ großen Ohren. Manchmal jagte uns deren Anblick einen Angstschauer über den Rücken. Was wäre, wenn deren Optik nicht nur Fassade spielte, sondern das Hörvermögen der in etwa entsprach?
"Dann können wir uns warm anziehen!", stellte unsere Klasse einstimmig fest.

Unser Lehrer, so treffend ´Gräte` mit Namen, war gottlob nicht in der Nähe und so durften wir bierruhig in Ehrlichkeit schwelgen, was unser nicht immer so ganz faires Benehmen diesem Lehrer gegenüber anging. Waren wir sogar noch ehrlicher als ehrlich, hieß es dann:
"Wir haben es faustdick hinter den Ohren!"

Doch damit, deswegen Gewissensbisse zu kriegen, hielten wir uns nicht lange auf, gaben allerdings ein ganz klein wenig zerknirscht zu:
"Gut nur, dass sich bisher noch niemand eingehendere Gedanken wegen unserer Gesichtssegel gemacht hat!"
Aber für echte Schüler bedeutete das eigentlich schon zuviel des dann doch recht gefährlichen Eingeständnisses. Flugs hatten wir die passende Ausrede parat:
"Die Dinger haben wir geerbt. Das ´Gräte-Faustdick-Gen` hat gründlichste Arbeit geleistet und uns eigentlich engelsgleiche Wesen in ausgesprochene Bengel verwandelt."

Obwohl Gräte und wir uns diesbezüglich ähnelten wie ein Ei dem anderen, mochten wir diesen langen Lulatsch besonders gern. Er unterrichtete mit viel Humor und es gab immer etwas zu lachen. Nichtsdestotrotz war auch Gräte an den Lehrplan gebunden und der sah von Zeit zu Zeit so fiese Klausuren vor, die wir dann am liebsten zum Teufel gewünscht hätten.


Klar gab es so einige Tricks, sich total oder wenigstens für Minuten diesem Streß zu entziehen.

Einige von uns entschieden sich für einen ausgiebigen Stadtbummel. Der mußte dann mindestens zwei Stunden dauern, damit die kecken Sünder nicht etwa zu früh wieder in die Klasse platzten. Das wäre nämlich äußerst peinlich gewesen und sie hätten sich in dem von uns allen so innigst geliebten Klassenbuch wiedergefunden: Tadel und/oder Benachrichtigung der bislang ahnungslosen Mütter und Väter, die dann aus sämtlichen Wolken fielen... und selbstverständlich unser Kinobesuch flach.

Andere waren nicht ganz so mutig und wählten den Gang aufs Klo, um dort im Zeitraffertempo den Knie-Spickzettel nach einer bestimmten Konjugationsform eines vermaledeiten Verbes zu durchforsten. Da nur eine sehr begrenzte Zeitdauer für den Besuch des stillen Örtchens eingeplant werden durfte, erwies es sich als unumgänglich, so ungefähr alle zwanzig Minuten ein gewisses Bedürfnis anzumelden:
"Herr Lehrer - ich muss mal!"
Treuherziger Blick, der nicht darüber im Unklaren ließ, wie unaufschiebbar das wiederholte Bedürfnis war.
"Aber du warst doch...?"
So langsam zeigte Grätes Stirn Sorgenfalten:
"Haste soviel getrunken oder biste am Ende krank?"

Nein, eine Krankheit vorzutäuschen... das wollte mein Klassenkamerad unserem Lehrer denn doch nicht antun:
"I... Ich hab`ne schwache Blase!", stammelte er mit einem denn noch treuherzigeren Blick.
Der war so treuherzig, dass er Grätes Herz erweichte:
"Na, dann aber ganz fix, bevor du noch...!"
Schleunigst verschwand der Bengel, nicht ohne uns noch schnell zuzugrinsen. Bestimmt tat er das, damit wir, seine Freunde, uns nicht etwa noch Sorgen um ihn machten. Es dauerte dann etwa zwei Klobesuche lang, bis er wieder aufkreuzte, sichtlich zweifach erleichtert und so bester Laune. Er verkroch sich in seine Bank und in der nächsten Viertelstunde flitzte sein Füller nur so übers Papier.
"Was das ausmacht...!", dachte ich und grübelte: "Ob ich auch mal...?"
Doch dazu war ich zu feige. Außerdem standen meine Notizen vom Ärmel verdeckt auf meinem Unterarm. Ab und an kratzte ich mich sehr ausgiebig am Hals. Diese Mücken aber auch...! Über deren vermehrtes Auftauchen in unserem Klassenraum wunderte ich mich natürlich kein bisschen. Würde Gräte mißtrauisch, bekäme er von mir den Hinweis:
" Nebenan läuft gerade die Biostunde. Die nehmen Frösche durch und füttern die mit diesen Biestern. Wahrscheinlich haben die Viecher ein paarmal daneben geschnappt."

Falls wir allerdings dachten, allein wir hätten Tricks auf Lager, sollten wir uns gründlichst täuschen. Unser Lehrer war ja nicht von gestern und bewies uns, was eine Harke ist. Er setzte sich ans Pult, kramte eine schöne, große Zeitung aus seiner Mappe und fing an zu lesen. Das verunsicherte uns, seine Schüler, doch immens. Irgendetwas stimmte da nicht. Aber was...?

Da wir so etwas von Gräte nicht kannten, wurden wir übervorsichtig. Mein Klassenkamerad vergaß sogar seinen eigentlich längst fälligen Klo-Besuch und ich meinen Krabbelzoo am Hals. Ratlos saßen wir dort, gaben keinen Mucks mehr von uns und stierten fassungslos auf die Zeitung und unseren Pauker dahinter.
"Anstatt mich anzustarren, solltet ihr besser die Zeit nutzen!", meinte der doch trocken zu uns, lehnte sich ostentativ nochmals zurück und hielt seine Lektüre ein wenig höher.

Im nächsten Moment klapperten so manche Füller und Spickzettel zu Boden. Geschlossen machte die ganze Klasse Klausur-Erholungs-Gymnastikübungen und sammelte hastig die Idizien unserer Unverschämtheit wieder auf. Dabei schielten wir wieder und wieder zu Gräte, der aber überhaupt nicht reagierte, sondern stattdessen eifrigst weiter las.

Auf Grund dieses Umstandes kehrte unser Selbstbewusstsein zurück, wuchs ganz beträchtlich zu einem mehr als unverfrorenen Selbstbewusstsein. Unsere Gehirnwindungen arbeiteten auf Hochtouren und entschieden:
"Einmalige Chance, jetzt oder nie!"

Wir erwachtem zu erstaunlicher Lebendigkeit und anschließender Geschäftigkeit. Es wurde wie verrückt gemogelt. Halbe Klassenarbeiten unternahmen einen überaus interessanten Rundgang durch den Raum, ließen sich ohne Protest von den Lateinassen korrigieren und ergänzen und dann zurück zu ihrem überglücklichen Besitzer reichen. Der wußte dann gar nicht, wie ihm geschehen war und strahlte übers ganze Gesicht.

Manchmal bleibt ein Sprachtalent sehr lange im Verborgenen. Da muss doch tatsächlich erst ein Pauker auf solch originelle Weise nachhelfen, damit es seine Schüchternheit verliert und sich in seiner ganzen Pracht entfaltet.
"Haste denn jetzt alles?", erkundigte ich mich nach rückwärts. Da hockte unser Lateinkamel erster Güte und kapierte gar nichts mehr.
"Wie heißt der letzte Satz bloß? Übersetz`mal, schnell!"
Dummerweise war der recht kompliziert und ich kriegte das so fix auch nicht auf die Reihe.
"Uund...?", hakte es ängstlich nach.
"Mensch, ist doch immer das Gleiche. Schreib`einfach, der metzelte die nieder. Vom Inhalt her stimmt das garantiert und die Formulierung ist dichterische Freiheit - falls Gräte was sagen sollte!"
Da das Kamel soviel Ahnung von Latein wie ´ne Kuh vom Eierlegen hatte, beherzigte es denn doch meinen Vorschlag. So stand da wenigstens etwas, eigentlich für seine Null-Ahnung schon ausgesprochen viel. Ich war`s zufrieden. Ich hatte meinen Klassenkameraden vorm grammatikalischen und auch sonstigen Untergang gerettet.

So dachte ich und auch die Anderen...

Gegen Ende der Stunde faltete Gräte seinen Politartikel vor unseren Augen langsam und sorgfältig zusammen. Wir erstarrten ein zweites Mal, diesmal zur Salzsäure. In der Klasse vernahm man keinen Laut mehr, weder einen Kommentar noch ein verzweifeltes Füßescharren.

Da, in Grätes Augenhöhe, klaffte in der Zeitung eine viereckige Wunde. Es war ein Loch, gerade groß genug, um durchschielen zu können.
"Ihr müßt mich nicht für so blöd halten!", erklärte uns da unser geliebter Lehrer gar nicht mehr so lieb, sondern stattdessen recht energisch. "Schließlich war ich auch mal Schüler!"

Uns fiel es wie Schuppen von den Augen. Der hatte all unsere Freveltaten beobachtet, wir uns bis auf die Knochen blamiert. Doch selbst zum Schämen schämten wir uns zu sehr.

Das dicke Ende sah dann so aus:
Wir ernteten nicht etwa alle eine Sechs, sondern kamen in den Genuss des sehr zweifelhaften Vergnügens, die Klausur wiederholen zu dürfen.

Dann allerdings... ohne Zeitung!!

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Kommentare zu diesem Text

Fonz (29)
(11.03.07)
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 tastifix meinte dazu am 12.03.07:
Hallo Fonz!

Danke für Deinen netten Kommentar.
Ja, wir mochten ihn sehr und haben ´ne Menge bei ihm gelernt.

Lieben Gruß
tastifix
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