Eine ganz normale Routineuntersuchung war es gewesen, wie ich sie einmal im Jahr machen ließ. Nun saß ich bei Christian, meinem Arzt im Sprechzimmer, um meine Ergebnisse zu besprechen, wie sonst auch, wobei es ja sonst noch nie wirklich etwas zu besprechen gab.
„Nun, ich habe leider eine schlechte Nachricht für dich“, fing er zögernd an. Er hatte auch schon so einen ernsten Blick drauf, als ich das Sprechzimmer betreten hatte, so ganz anders als sonst, fiel mir plötzlich auf. Ich erschrak und hatte sofort eine Befürchtung, was er meinte.
„Du hast einen Tumor“, fuhr er nach einem kurzen Zögern fort. Kaum hatte er es ausgesprochen, traf es mich wie ein Blitz, ich zuckte zusammen. Bis ich das Sprechzimmer betreten hatte, hätte ich niemals damit gerechnet. Obwohl ich mich selbst nicht sehen konnte, spürte ich, wie kreidebleich ich wurde. Aber es gab doch sicher noch Hoffnung für mich, versuchte ich mich zu beruhigen. Ich fühlte mich schließlich noch gesund, da würde man mir doch noch helfen können.
„Und…äh…was heißt das jetzt, kann man da noch etwas machen?“, fragte ich schließlich. Er sah mich an, dann schüttelte er langsam den Kopf.
„Ich wünschte, ich könnte dir Hoffnung machen, aber das kann ich nicht. Der Tumor befindet sich bereits im fortgeschrittenen Stadium, eine Behandlung wäre völlig zwecklos und ohne Erfolg.“
Ich wurde noch blasser. Das bedeutete, ich müsse sterben. Aber das war doch nicht möglich. Doch er hatte es so gesagt, und er war Arzt, es gab also keinen Zweifel. Plötzlich wurde ich von einer Todesangst befallen und begann zu zittern. Er sah mich nachdenklich an.
„Wie lange hab ich noch?“, fragte ich schließlich. Er nahm seine Brille ab, sah sie kurz an, als wollte er sich vergewissern, ob die Gläser sauber waren, dann setzte er sie sofort wieder auf, sah nach unten und sprach: „Jeder Tag ist kostbar.“
Ich hatte es gehört, alles klar und deutlich, aber dennoch machte ich mir im nächsten Moment wieder Hoffnung, dass man noch etwas tun könnte, um dann sofort wieder zu begreifen, dass es doch keine Hoffnung mehr gab. Er war Arzt und er musste es wissen. Aber dennoch wollte ich es nicht akzeptieren.
Plötzlich sah ich mein Leben an mir vorbeiziehen. Wir waren seit der Schulzeit Freunde und hatten viel gemeinsam erlebt. Wir waren gemeinsam um die Häuser gezogen, hatten gefeiert, was das Zeug hielt, und vor allem hatten wir uns immer alles anvertraut. Doch ich war oft unzufrieden und besonders über die Trennung von meiner letzten Freundin kam ich einfach nicht weg, ständig hatte ich betont, wie beschissen das Leben doch sei. Vergeblich hatte er immer versucht mich aufzubauen. Ein paar Wochen zuvor ging es mir sogar so schlecht, dass ich ihn darum gebeten hatte, mir Schlafmittel zu verschreiben, und zwar solche, von denen ich nie wieder aufwachen konnte. Daraufhin hatte er mich fast zwangseinweisen wollen. Und jetzt sollte ich an dieser Krankheit zugrunde gehen. Er musste sich irren, es musste doch noch eine Möglichkeit geben, mich zu heilen.
„Jetzt pass mal auf, ich will, dass du alles versuchst und alles tust. Wofür hast du sonst Medizin studiert? Wenn du mir nicht helfen kannst, dann muss es doch irgendwo noch einen Spezialisten geben, der mir helfen kann“, sprach ich hektisch auf ihn ein.
„Du willst also leben?“, fragte er mich darauf.
„Was ist das für eine Frage, natürlich will ich leben“, antwortete ich, noch genauso hektisch.
„Soll ich dir was sagen?“, fragte er dann. „Du hast gar nichts, du bist kerngesund. Ich hab dir das nur erzählt, damit du dich mal in die Lage versetzt, wie das ist, wenn du wirklich sterben müsstest.“
In dem Moment fiel mir ein Stein vom Herzen. Zuerst wurde ich wütend, dass er mich mit so einem „Scherz“ geschockt hatte. Aber dann wurde mir einiges klar.
„Vielleicht lernst du jetzt, dein Leben mal mehr zu schätzen“, sagte er schließlich.