Man kann doch sowieso nichts machen

Kurzprosa zum Thema Ansichtssache

von  NormanM.

„Man kann doch sowieso nichts machen“, meinte die Dame neben mir.
Wir hatten soeben, nachdem wir schon etwa zehn Minuten standen, die Durchsage vom Schaffner erhalten, dass sich die Weiterfahrt verzögere, da sich Personen auf dem Gleis befänden. Einer der Gründe, die man ständig zu hören bekam. Auffällig war es, dass der Zeitrahmen, der benötigt wurde, um die Personen einzufangen, immer derselbe war: 45 Minuten. Zumindest, wenn ich mich in dem entsprechenden Zug befand. Ich schloss eine Wette ab, dass die Verzögerung nun auch wieder 45 Minuten dauerte.
Ich war sauer. Ich befand mich gerade auf der Rückreise aus Hamburg, wo ich die Woche über dienstlich gewesen war. Planmäßig sollte ich um 22 Uhr zu Hause eintreffen, was sich aber nun um diese vermutlich 45 Minuten verzögerte, wodurch mir noch weniger vom Abend blieb.
Was mich aber erst richtig verärgerte, war es, dass, obwohl wir überhaupt nicht fuhren, sondern der ICE inzwischen seit 30 Minuten wie festgewachsen stand, der Schaffner munter durchs Abteil spazierte und die Fahrkarten kontrollierte. Wer nun letztendlich die Schuld an diesem außerplanmäßigem Halt trug, spielte keine Rolle, irgendeine Form von Entschädigung sollte trotzdem drin sein, anstatt zu kontrollieren, ob bloß niemand schwarz fuhr.
„Also, ich muss wirklich sagen, ich finde schon, dass es eine Unverschämtheit ist, dass von uns allen erwartet wird, dass wir ordnungsgemäß für die Fahrt bezahlen, aber uns an keiner Stelle entgegen gekommen wird“, sagte ich offen zum Schaffner, als er meinen Platz erreichte. Ich sah, wie er zusammen zuckte, da er vermutlich, nachdem alle anderen Fahrgäste brav ihre Tickets vorgezeigt hatten, nicht mit so einer Äußerung gerechnet hatte.
„Ja, aber was soll ich denn machen, ich muss hier trotzdem meine Arbeit machen“, antwortete er mit einer erschrocken klingenden Stimme. Natürlich hatte er keine Schuld an der Verzögerung, aber ein Kellner kann auch nichts dafür, wenn das Essen nicht schmeckt und trotzdem ist er derjenige, der das, was der Koch verpatzt hat, letztendlich ausbadet.
Da ich von den anderen Leuten im Abteil, die sich alle zu mir umdrehten, nur blöde und verständnislose Blicke erntete, verzichtete ich auf eine weitere Bemerkung und zeigte widerwillig mein Ticket. Sonst beschweren sich doch auch alle pausenlos über die Bahn, aber dann, wenn es darauf ankommt, heißt es nur „Man kann doch sowieso nichts machen.“ Doch, man könnte etwas machen, aber wenn alle im richtigen Moment kneifen, kann auch nichts passieren.
Eine erneute Ansage vom Zugpersonal ertönte: „Meine Damen und Herren, ich möchte Sie kurz darüber informieren, dass wir nun Helikopter einsetzen, um die Personen zu suchen, so dass wir unsere Fahrt in etwa 15 Minuten wieder fortsetzen können.“
Bis jetzt waren 30 Minuten vergangen, zusammen mit den jetzt angekündigten 15 Minuten  kamen wir auf 45 Minuten – so wie ich es vorher schon vermutet hatte. Vor allem fragte ich mich, woher die Deutsche Bahn, obwohl die Gesuchten noch gar nicht gefunden waren, wusste, dass es nun noch 15 Minuten dauerte. Es hätte doch auch sein können, dass man diejenigen auch schon in fünf Minuten findet oder sie schon längst über alle Berge waren und man am nächsten Tag noch nach ihnen suchte. Jedenfalls fuhr der Zug tatsächlich 15 Minuten nach der letzten Ansage weiter, nach also insgesamt 45 Minuten Standzeit.
„Was habe ich Ihnen gesagt? 45 Minuten!“, meinte ich zu meiner Sitznachbarin.

„Guten Tag, möchte jemand einen Kaffee oder ein kaltes Getränk“, ertönte die Stimme einer Angestellten des Bahnbistros, die mit einem Getränkewagen durchs Abteil wanderte. Im ersten Moment dachte ich, dass die Getränke auf Kosten der Bahn serviert wurden, aber da lag ich falsch. Meine Sitznachbarin nahm einen Kaffee, für den sie 2,80 EUR bezahlte. Selbst bei einer störfreien Bahnfahrt hätte ich nie so viel Geld für einen Becher Kaffee ausgegeben, den man woanders für die Hälfte bekommt. Ich fragte mich, was einen so hohen Preis rechtfertigte.
„Der ist aber ganz schön dünn, der Kaffee“, meinte sie zu mir, nachdem sie einen Schluck getrunken hatte.
„Und das bei so einem Preis“, antwortete ich. Sie nickte.
„Aber man kann doch sowieso nichts machen“, hätte ich sie beinahe noch zitiert, aber ich ließ die Bemerkung lieber sein.

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Kommentare zu diesem Text

chichi† (80)
(14.04.13)
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 AZU20 meinte dazu am 14.04.13:
So etwas erlebt leider jeder mal. LG

 Omnahmashivaya antwortete darauf am 14.04.13:
Das stimmt, mal mehr, mal weniger.

 NormanM. schrieb daraufhin am 15.04.13:
4 Stunden? Dann sollte man eigentlich nicht nur den vollen Fahrtpreis zurückerstattet bekommen, sondern noch etwas oben drauf.
In der freien Wirtschaft könnte sich kein Unternehmen so etwas erlauben.

 Omnahmashivaya (14.04.13)
Ein guter Text und so wahr. Schade, dass du nicht zitiert hast. Das mit der Deutschen Bahn klingt auch oft immer nach fauler Ausrede. "Schwarzbuch Deutsche Bahn" empfehle ich da nur. Natürlich können viele Angestellte nichts dafür, dennoch ist es oft eine Frechheit, was da passiert und immer und immer wieder...
Würde unsereins ständig auf der Arbeit zu spät kommen, würden auch Niemand sagen "Man kann ja nichts machen..."!

 NormanM. äußerte darauf am 15.04.13:
Eben, dann interessiert es auch niemand, warum wir zu spät kommen und wessen Verschulden es ist. Warum sollen wir also immer nur Rücksicht nehmen.
Dieses Schwarzbuch muss ich auch unbedingt lesen.

 Alias (06.05.13)
vielleicht ist das ein rein deutscher akt, dieses: ach, da kann man doch sowieso nichts machen. und so torkeln wir nichtsmachend in eine geile zukunft... wunderbar geschildert hast du das!
lieben gruß von ingrid

 NormanM. ergänzte dazu am 06.05.13:
Ob es jetzt eine reine deutsche Einstellung ist, weiß ich nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass man es in Frankreich nicht so einfach hinnehmen würde. Die Franzosen haben uns, was das Wehren betrifft, da schon einiges voraus. Die würden auf jeden Fall zusammen halten.

 Judas (06.05.13)
Und die Preise werden auch immer teurer... mit welcher Rechtfertigung, frage ich mich. Besser wird nichts und die Schaffner und Lokführer streiken immer noch wegen zu niedrigem Lohn.

 NormanM. meinte dazu am 06.05.13:
Das frage ich mich auch immer wieder. Was die Spritpreise betrifft, habe ich mir sagen lassen, dass die Bahn von der Erhöhung nicht wirklich berührt ist.

Das Gehalt eines Schaffners ist zwar natürlich nicht sehr hoch, aber auch nicht schlecht und garantiert höher als mein Gehalt.
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