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Wenn ich fliegen mag, meint sie. Das war das letzte was sie gesagt hat. Für heute. Sie liegt ausgestreckt, bekleidet, beturnschuht auf ihrem Bett und heilt sich am Schlaf aus, oder an der Betäubung; atmet leise eine bessere Welt, - und wieder aus. Um ihren Mund spielt ein Lächeln, kaum merklich. Atmet sich fern, während ich mich enthalte. Warum eigentlich?, das frage ich mich. Ich muss noch Mutter anrufen. Und, während ich hier in mein Tagebuch schreibe, muss ich immer wieder aufblicken, auf ihren Brustkorb sehen, der sich zögernd hebt, senkt, dann wieder eine Kunstpause einlegt, - muss sie ansehen, um festzustellen, dass sie bleiben wird, dass wir bleiben werden.
Die Welt ist eine dunkle Fratze aus Pappmaschee
wir haben kein Recht auf Zeit
wir haben kein Recht auf Glück
und wir haben - weil wir am Ende alle was haben wollen -
eine Handvoll Shit im Hosensack:
besser als der restliche Dreck einer Welt
sagt Tom
Jedem würde ich den Auszug aus diesem sogenannten Leben wünschen, ich. Und ich kann doch selbst nicht anders, als nur ans Ende zu denken. TagNacht. Sie darf nicht, schon der Gedanke daran, diese Scheißwelt allein auslatschen zu müssen, macht mich unruhig. Deshalb pass ich auf. Auf sie. - Wenn wir genug Kohle für die ersten fünf Semester auf der Kante haben, werden wir studieren gehen. Nach Wien. Das Leben wird besser. Sie Geschichte, Physik und ich Germanistik, im Nebenfach ebenfalls Geschichte. Ich mag Geschichte. Leicht zu merken, wiederholt sich immer, nur die Namen muss man austauschen.
Sie solle sich zusammenreißen sagte ich ihr; und, dass ich sie kaum ansehen könne. Dieser Zustand. - Ihre Lippen liegen aufgesprungen im Sparlicht, die Lider zittern, erahnen ein vielleicht besseres Morgen: ausverkauft. Man hat sich nichts mehr zu sagen. Als sie gestern Nacht nachhause kam, stolperte sie über den Regenschirm, krachte mit dem Rücken gegen den Kleiderschrank. Es war mein Fehler. Ich hätte ihn an die Gardarobe stellen sollen, den Schirm, so wie ich es immer mache. Es regnet seit Tagen. Wie sie am Bett liegt: ihr nasses Haar, der Kupferstich zieht glatt über den Schädel, diese schütteren Strähnen. Unter ihren Augen springen dunkle Ringe aus der Haut, gerade so, als würde der Schlaf lauter klagen wollen als ein Wort es jemals vermag. Es muss etwas geschehen, sage ich. Zum Teufel. Ich schrie sie an, packte sie am Hemd und schleifte sie ins Bad vor den Spiegel. Sie solle sich doch ansehen, meingott, dieses elende Gesicht, diese Schlüsselbeine, die unter einem letzten Hautfetzen ausscheren und den Bogen scharf ins Schulterblatt ziehen. Dass ich das nicht mehr ertragen würde, sage ich, ihre ewigen Hurerein, das Gift, ihre besoffene Stimme, alles an ihr befremdet mich. Und dann lächelt sie und streicht mir mit ihren Handrücken, mit ihren kalten Händen über die Wange, schlurft ohne ein Wort zu sagen an ihren Platz zurück, wie ein dreibeiniger Hund mit rheumatischen Hüften und sinkt ins schuldige Bettzeug.
Immer lächelt sie, als hätte sie nie etwas andere gelernt auf dieser Welt; legt sich hin und sagt nichts; legt sich in diese grindigen Laken, mit ihren Schuhen und nasse Kleidern und ich sage auch nichts und denke nichts. Weil wir kein Recht haben; ich hab sie gern, auch wenn und obwohl sie jeden Abend breit ist wie. Und ich versuche zu lächeln, so wie sie lächelt und verziehe mein Gesicht zu einer schmerzhaften Fratze. Im abgestumpften Dämmerlicht, in diesem namenlosen Zimmer, in dieser namenlosen Stadt. Und ich ziehe ihr die Schuhe aus, und die Socken-
und:
wahrscheinlich werden wir nicht studieren
nur manchmal ein wenig fliegen
liebes Tagebuch
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