23. Jättitenjagd - Endlich eine Spur [23]

Schundroman zum Thema Mord/Mörder

von  DIE7

Sonntag, 07.Dezember, 16.30 Uhr

"Gute Nacht, ihr zwei Süßen, seid brav. Mama kommt bald wieder nach Hause!", säuselte der nette Mann im bunten Kostüm, zog die Tür hinter sich zu und schloss ab. Zurück blieben ein weißes Fellknäuel und ein mysteriöses Ei, die einander - wenigstens einseitig - spinnefeind waren. Der Malteserhündin Fufu war nicht entgangen, wie liebevoll sich ihr Herrchen um dieses nutzlose Ding kümmerte, dessen einziger Daseinszweck darin bestand, umhergetragen und gehätschelt zu werden, ohne etwas dafür tun zu müssen. Fufu hingegen war ständig damit beschäftigt, zu bellen, zu fressen, niedlich auszusehen, nicht in die Wohnung zu kacken und auf Kommando Männchen zu machen, obwohl sie ein Weibchen war. Fufu hatte Stil. Das Ei nicht. Es war einfach nur da. Außerdem roch es schlecht. Es hatte kein Recht auf die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde. Es hatte kein Recht, zu existieren. Fufu sprang kurzentschlossen aus ihrem Körbchen und fixierte das Ei, das so widerlich kokett auf seiner Anrichte lag, als wolle es alle mobilen, alle aktiven Wesen dieser Welt verhöhnen. Das Hündchen stieß ein drohendes Knurren aus, während es sich sprungbereit machte. Der Sieg war sicher. Wenn nur die albernen rosa Schühchen den Sprung nicht behinderten. Fufu stieß sich ab. Noch im Flug stellte sie fest, dass sie sich verschätzt hatte. Mit dem Kopf knallte sie gegen die Anrichte.

Die Malteserhündin war robust genug, um trotz des heftigen Aufpralls bei Besinnung zu bleiben. So bekam sie mit, wie ein dicker Mann unter ohrenbetäubendem Lärm mit der Tür in die Wohnung fiel, sich hustend aufrappelte, kurz die Wohnung musterte und hervorstieß: "Was für ein Schandfleck."
Fufu verstand kein Wort. Sie wusste nur, dass sie jetzt eigentlich den hässlichen Fremden in die Flucht schlagen musste, dazu jedoch nicht in der Lage war, weil ihr der Aufprall zu sehr zugesetzt hatte. Fufu hatte versagt, und Schuld daran hatte das Ei. Dafür würde es büßen!

Eugen Kaufmann würdigte die verletzte Hündin keines Blickes. Stattdessen begann er sofort damit, die Wohnung auf den Kopf zu stellen. Schuldbewusstsein empfand er dabei nicht, schließlich standen Menschenleben auf dem Spiel - möglicherweise. Immerhin deutete vieles darauf hin. Auf die Empfindlichkeiten eines eigenwilligen Pathologen durfte er in diesem Fall keine Rücksicht nehmen. Als Kaufmann endlich fand, wonach er suchte - einen Aktenordner mit der Aufschrift "Obduktiönchen" -, stand er bereits knöcheltief in Wäsche.
"Sauladen!", schimpfte er. "Und ungemütlich!"
Kaufmann wischte mit den Füßen etwas Wäsche zur Seite und setzte sich im Schneidersitz auf den purpurnen Teppich. Nun endlich fühlte er sich wohl genug, um den Ordner näher in Augenschein zu nehmen. Von bisher sechs ermordeten Personen waren nur vier untersucht worden. Drei davon hatte Kaufmann selbst entdeckt. Das vierte Mordopfer hörte seit Tagen nicht mehr auf den Namen Euphrosine Gartenstein und hatte, wie Kaufmann bereits von einem Hirnström unterstellten Pathologen namens Bob (der eigentlich Benjamin Otto Brühschwein hieß, was außer ihm und Kaufmann kaum ein Mensch wusste) erfahren hatte, einen Herzinfarkt mit folgender Kopfhautablösung erlitten.
Was aber war den beiden übrigen Mordopfern widerfahren? Die Akten gaben keine Auskunft, kein Wort erwähnte die beiden fehlenden Leichen. Kaufmann geriet in Wut über den vermeintlichen Fehlschlag. Dann bemerkte er den Brief, der unscheinbar in einer Klarsichthülle hinter dem Obduktionsbericht der Euphrosine Gartenstein steckte:

PRIVAT BRIEF AN F.L.HIRNSTROM
Bitte nehmen Sie zur Kenntniß, das zwei von den Toden undypisch ausschauen. Die sind nicht so zerfezt wie die andern, die haben Schusslocher im Kopf und überm Nabel ein Brandzeigen in Form von nem Tannenbuam. Mir kommt das verdechtig vor, ist fieleicht doch kein so dummer Mörderer, auch wenn die Scheffin sagt, das ist nicht so wichtig weil die Uhrsache anders ist. Hier mein Bericht: Urban Gellert, Kraftfarer, Kopfschuss. Tobias Flatury, Obdachloser, Kopfshuss. Beide mit Branding.
Freundliche Grüse,
M. Petroff


Also doch! Kaufmann zerknüllte lächelnd den Brief. Tannenbaumförmige Brandzeichen über dem Bauchnabel waren das Kennzeichen der Jättiten-Sekte, einer blutrünstigen Vereinigung unverbesserlicher Dummköpfe, deren Anliegen es war, möglichst viele Menschen an den Weihnachtsfeiertagen zu töten, um dadurch einen Gott zu beschwören, den sie als "Jätti" bezeichneten. Die Jättiten hielten diesen Gott für den eigentlichen Weihnachtsmann und wollten ihm zum Sieg gegen den falschen Weihnachtsmann der Neuzeit verhelfen. Dies war die Kurzfassung einer mehrere Bücher umfassenden Ideologie, mit welcher Kaufmann sich gut auskannte, einer Ideologie gleichsam, die hartnäckige Gegner hatte. Auch diese hielten sich offensichtlich in Jesterfield auf. Mit Sicherheit hatten sie nichts gegen etwas Unterstützung durch einen Spezialisten vom Format eines Eugen Kaufmann. Er erhob sich ruckartig und verließ die Wohnung.
Zurück blieben ein erschöpftes Hündchen und ein Ei.

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Kommentare zu diesem Text

KeinB (29)
(14.12.08)
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LudwigJanssen (54)
(14.12.08)
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LudwigJanssen (54)
(15.12.08)
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