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Erzählung zum Thema Zukunft

von  bluedotexec

Damit verließ er, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, den Tunnel auf der anderen Seite wieder. Gee folgte ihm.
Die Luft auf der anderen Seite des Stahlschotts fühlte sich unangenehm kalt, unbewegt und starr an. Es war, als würde sie die relative Leichtigkeit des warmen Winds gegen die absolute Substanz gefrorenen Wassers eintauschen.
"Wir sind jetzt in den Quartieren."
Gee stockte der Atem. Der Raum, den sie betraten, war ebenfalls eine Halle. Das Licht war auf ein Minimum reduziert, die Halogenröhren glimmten nur noch. Außerdem strahlten sie ein angenehmes, gelbes Licht aus statt des kalten, anstrengend hellen weißen Lichts. Dreistöckige Betten aus Edelstahl waren in konzentrischen Kreisen angeordnet worden, etwa ein Fünftel von ihnen war mit Menschen gefüllt. Einige von ihnen schliefen, andere lasen mit kleinen Lampen noch in Büchern.
"Tja, wir haben nicht genug Platz und Material, um jedem eine eigene Wohnung zu bauen. Komm mit, du schläfst in einem der äußeren Ringe."
"Wie viele Ringe sind es denn?"
"Neun Stück." Cab ging zwischen den Betten hindurch. "Du wirst feststellen, dass es nicht ganz einfach ist, mit so vielen Menschen in einem Raum zu schlafen. Aber du wirst auch lernen, dich wohlzufühlen. Hey!" Er wurde unterbrochen, als ein kleiner Junge ihm direkt vor die Füße lief. "Kleiner, du musst die Augen benutzen, dafür sind sie da."
Ja, dachte Gee. Dafür sind sie da.
"Also, wo waren wir? Ach ja. Du wirst feststellen, dass es dir ein Gefühl von Geborgenheit gibt, unter Menschen zu sein, die dich akzeptieren." Cab stoppte. "Du schläfst im Mittelgeschoss dieses Bettes." Er nahm einen Filzstift aus der Tasche.
"Du wirst 'Gee Pax' heißen? Dies ist der Punkt, an dem dein Name feststehen wird. So wie die PKZ, mit dem Unterschied, dass dein Name dir gehört, während die PKZ vom System geborgt ist."
"Ja. Gee Pax." Gee nickte bekräftigend.
"Gut." Cab schrieb ihren Namen auf den Bettrand.
"Das ist, damit sich niemand in dein Bett legt, weil er es verwechselt hat. Glaub mir, das wird dir noch oft passieren. Jetzt besorgen wir dir noch Schlafanzug, Bettwäsche und eine Flasche Wasser, und dann lasse ich dich schlafen." Cab eilte weiter zwischen den Betten hin und her, schlug Haken um Menschen, die scheinbar aus dem Nichts vor ihm auftauchten.
"Es ist schwierig, sich hier unten zu bewegen, aber du gewöhnst dich daran. Du wirst dich an alles gewöhnen. Morgen dann zeige ich dir den Marktplatz und dann, wie du dich nützlich machen kannst."
"Du meinst, einen Job?"
Cab kicherte. "Ja, aber nicht so, wie es bei euch oben läuft. Okay, ich kann es dir auch jetzt schon erklären. In der Lebenssituation, in der wir stecken, kann man sich nicht festlegen. Du wirst mal heute, mal morgen andere Aufgaben erledigen. Heute zum Beispiel war meine Aufgabe, dich von dort oben zu holen. Gestern hingegen habe ich im Rechenzentrum, das ich dir auch morgen zeige, gesessen und einen gewissen Orga-Bot gehackt. Morgen werde ich vielleicht nach oben gehen, um die tägliche Lieferung Lebensmittel an den Supermarkt zu überfallen. Vorgestern habe ich den Mechanikern geholfen, Werkzeug und Material zu den Generatoren und zu beschädigten Kabeln zu schleppen. Verstehst du? Es gibt hier unten keine Menschen für bestimmte Jobs, es gibt bestimmte Jobs für alle Menschen. Am beliebtesten sind übrigens die Rettungsmissionen. So heißt es, wenn man hoch geht, um jemanden aus dem System auszuklinken. Das, was ich heute gemacht habe. Denn das sind, wie wir es nennen, 'Alles-oder-nichts-Geschichten'. Die sind am einfachsten - Du schaffst es und wir haben ein neues Mitglied, oder du schaffst es nicht und stürzt neunzig Meter in die Tiefe. Keine Alternativen, keine unkalkulierten Ausgänge. Bei Überfällen auf Lebensmitteltransporte können viele Dinge schief gehen. Du könntest von der M-Rail überfahren werden oder von der Polizei aufgegriffen werden. Ich erinnere mich daran, dass das System vor einigen Monaten eine M-Rail umgeleitet hat. Weißt du eigentlich, wie die Lebensmittel in den Supermarkt... ach, wozu frage ich überhaupt." Cab brach ab, denn Gee schüttelte bereits den Kopf. "Schau, Gee. Der erste Zug der M-Rails ist nicht betretbar, denn er ist voller Transportgüter. Meistens Lebensmittel oder Abfall, manchmal sind auch Computer drin. Oder Leichen, die auf dem Weg zur Entsorgung sind. Man kann es bei dem Verfahren, mit dem sie beseitigt werden, nunmal nicht anders nennen. Wie auch immer, vor einigen Monaten sollte eine Gruppe von uns einen M-Rail-Transport ausräumen. Dafür hängen sie sich mit speziellen Sauggriffen außen an den Zug, klettern aufs Dach und schneiden sich mit dem Schweißbrenner durch die Decke. Das Ganze wird natürlich genauestens koordiniert. Jede Sekunde ist genau geplant. Jedenfalls hat irgendjemand einen Fehler gemacht, so dass das System die M-Rail umgeleitet hat. Der Tunnel, der nach 48 Sekunden auf der Route lag, wurde umgangen, also hat die Gruppe eine Minute lang untätig flach auf dem Dach gelegen, ohne etwas zu tun, und auf den Tunnel gewartet, der nicht aufgetaucht ist. Die M-Rail passierte einen anderen Tunnel dann auf einer Strecke, die 22 Sekunden lang schnurgerade und ohne Tunnel verlaufen sollte. In der Zeit haben alle gestanden und gearbeitet. Was passiert ist, kannst du dir ja vorstellen."
Gee nickte. "Und woher weiß ich, was ich morgen tun werde?"
"Direkt neben der Ausgabestelle hängt ein Bulletin Board, auf dem verflucht viele Jobs stehen. Außerdem kannst du auf dem Marktplatz fragen, ob ein Händler etwas für dich zu tun hat."
Sie erreichten die Ausgabe. Tatsächlich hin ein großes schwarzes Pinboard daneben, an dem aber noch keine Zettel hingen.
"Die Jobs werden erst morgen dran gehängt."
Die Ausgabe war eine Stahltür wie jede, die sie bisher passiert hatten, mit dem Unterschied, dass von dieser die komplette obere Hälfte abgetrennt war.
"ich brauche Bettwäsche und einen Schlafanzug für diese Junge Dame, Paul."
Gee sah auf. Und sie sah in die Augen des Mannes, der hinter der Tür stand.
"Paul?" Fragte sie zaghaft. Der junge Mann sah sie aus strahlend blauen Augen an.
"Ja?"
"Paul." Sie erkannte ihn wieder. Es war der Mann, der vor einigen Tagen aus seiner Wohnung in Wohnblock 47 abgeholt worden war.
"Gee? Gee! Hey, sie haben dich auch 'rausgeholt."
"Ja. Dieser Mann, Cab, hat mich heute mittag mitgenommen."
"Cab? Da hast du ja eine Arbeit geleistet, alter Junge. He, Gee. Wenn du morgen deinen Job erledigt hast, wollen wir was unternehmen? Ich kenne einen tollen Stand auf dem Marktplatz, der..."
"Paul. Die Frau ist gerade angekommen, beruhige dich. Ich glaube kaum, dass sie morgen in der Lage sein wird, dich zu treffen."
Paul zuckte die Achseln. "Hast Recht. Aber, Gee - wir sehen uns wieder." Er reichte die Wäsche und den Schlafanzug durch die Tür und drückte Gee eine Flasche in die Hand. "Gute Nacht, Gee."
Sie gingen zurück zu ihrem Bett.
"Übrigens - du wirst ihn noch nicht brauchen, aber ich erkläre es dir trotzdem - dieser Kasten hier ist ein Briefkasten. Wenn jemand dir etwas mitteilen will, zum Beispiel Paul, der dir den Marktplatz zeigen will, dann wird er einen Zettel hier hinein stecken. Schau regelmäßig nach. Bevor wir uns verabschieden: Hast du noch irgendwelche Fragen?"
In Gees Kopf schwirrten Millionen Fragen, aber keine konnte sie formulieren, deswegen sagte sie: "Ja, aber nicht im Moment."
"Okay. Bevor wir uns verabschieden, muss ich dir noch sagen: Morgen früh werde ich dich nicht begleiten können. Ich werde einen anderen Job machen. Du wirst morgen zum Bulletin Board gehen und dir irgendetwas Einfaches aussuchen. Am besten, du nimmst den Reparatursupport. Den meiden die meisten immer. Außerdem hast du gute Chancen, Paul wieder zu treffen, der ist nämlich Teil der Mechanikercrew."
"Aber wenn er Mechaniker ist, wieso arbeitet er dann in der Ausgabe?"
"Weil Mechaniker reparieren. Und reparieren kann man nur, was kaputt ist. Wenn heute ein guter Tag war und nichts Gravierendes ausgefallen ist, dann hatte die Mechanikercrew nichts zu tun. Also machen sie andere Jobs. Wir haben mehrere solcher Crews, die Mechaniker, die Feuerwehr, Sanitäter. Sie alle haben nicht immer was zu tun. Wie dem auch sei - ich möchte ins Bett. Du bist morgen auf dich allein gestellt. Wenn du einen Job gefunden hast, dann frag irgendwen, wo du hin musst. Frag' dich einfach durch. Aber nimm den Zettel mit, damit nicht jemand schneller ist als du. Dein Arbeitgeber wird dir ein Frühstück geben und dich dann losschicken. Wenn du alles erledigt hast, geh' wieder dahin, wo du gefrühstückt hast, und wir sehen uns wieder. Wenn du stattdessen schlafen willst, ist das auch in Ordnung. Wir treffen uns schon wieder."
Gee nickte.
"Gute Nacht, kleine Gee. Schlaf so gut du kannst. Und viel Glück morgen. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Tag. Ach, und wenn du nicht sofort einschläfst - mach die Augen zu und denk an alles, was du heute erlebt hast. Und warte." Er kicherte.
"Gute Nacht, Cab." sagte Gee leise. Cab drehte sich um und verschwand in der Dunkelheit. Gee kletterte die Leiter hinauf, zog sich den Schlafanzug an und hängte ihre blütenweißen Klamotten an einen Haken. Dann legte sie sich auf die bezogenen Decken und sah die Matratze des Bettes über ihr an. Sie spürte die Müdigkeit, wie sie sich wie eine unangenehme Art der Wärme in ihren Knochen breit machte. Sie spürte den Druck in ihren Beinen, der die schon bekannte Rastlosigkeit ausstrahlte. Sie spürte, wie ihr Verstand sagte, dass schlafen wohl das Beste war. Also trank sie einen Schluck Wasser und wartete mit geschlossenen Augen auf den Schlaf.
Nach drei Minuten öffnete sie die Augen wieder. Sie schlief nicht ein. Das musste Cab gemeint haben. Also tat sie, was Cab ihr geraten hatte.
Und während der Schlaf langsam die Leiter hinauf kletterte, sich ihrer Glieder bemächtigte und ihre Sinne wohlig vernebelte, begann sie, einige Dinge besser zu verstehen.
Dann schlief sie endlich ein.

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