4
 Inhalt 
6 
 4
6 

5

Erzählung zum Thema Zukunft

von  bluedotexec

Und das tat sie auch. Sie verließ die Wohnung, ihren sicheren Hort. Sie fuhr mit dem Fahrstuhl hinab, ohne es zu bemerken, und trat durch den mit weißem Polymer bedeckten Hausflur hinaus ins Freie.
Es war ein wenig so, als wäre sie ein Delphin, der versehentlich in ein Fischernetz geschwommen ist. Sie ignorierte die sechs in schwarzer Kampfkleidung steckenden Polizisten, weil sie glaubte, sie galten nicht ihr. Erst, als einer von ihnen sie bei ihrem Versuch, den Halbkreis zu durchbrechen, hart an der Schulter prellte und zurück stieß, erkannte sie, wen die Polizei diesmal abholen würde.
Die Männer zogen ihre Schlagstöcke hervor und zogen sie auf die volle Länge aus. Langsam bildeten sie einen Kreis um Gee.
"G33X-P4X!" Rief sie panisch. "Was wird mir vorgeworfen?"
Keine Antwort.
Gee konnte einige Meter entfernt das Scannerterminal der M-Rail erkennen, sah teilnahmslose Gesichter, deren Augen der relativen Monotonie wegen keine Notiz von dem nahmen, was Gee gerade zu widerfahren drohte. Da tauchte ein bekanntes Gesicht aus dem Einheitsbrei unbekämpfter, scheinmilitanter Langeweile auf.
"Cab!" Rief sie. "Cab! Helfen Sie mir!" Doch Cab reagierte nicht, er stand nur da mit dem gleichen Gesichtsausdruck wie alle anderen Menschen. Nur dass er häufiger herüber sah. Plötzlich bewegte er sich. Zog die Hand aus der Manteltasche. Eine schwarze Pistole glänzte in seiner Hand.
"K48-C5. Sechs Polizisten. Sämtliche Bewegungen stoppen, oder ich stoppe eure."
Polizisten trugen routinemäßig keine Dienstwaffen. VLMs hatten keinen Zugang zu Waffen irgendeiner Art, ja sie konnten nichteinmal irgendeinen Gebrauchsgegenstand zweckentfremden. Die stummen schwarzen Figuren drehten sich zu ihm um. Ihre Gesichter waren von verspiegelten Helmen verdeckt, niemand konnte sagen, was sich zwischen Gehirn und Visier gerade abspielte: Angst vor einer altertümlichen Projektilwaffe, Überlebenswille... oder monotone Lethargie.
"G33X-P4X. Kommen Sie hier herüber, na los." Sagte K48-C5 barsch. Gees Beine gehorchten ihm, während ihr Kopf so leergefegt wirkte wie eine frisch formatierte Festplatte.
Cab nahm ihren Arm mit der einen Hand, hielt mit der anderen die Polizisten in Schach. Dieses Bild würde auf ewig in Gees Verstand eingebrannt sein: Polizisten, die nicht wussten, was sie tun sollten, Cab mit einer Pistole, und drumherum ungefähr vierzig Menschen, die die Szene vollkommen ignorierten. Cab ging rückwärts auf den M-Port zu.
"Du musst mir vertrauen." Flüsterte er mit unverändert gelassener Miene.
Er schlug mit der Pistole hart nach rechts aus. Neben ihm stand ein Mann, der sich gerade den Nacken hatte scannen lassen, um eine TKZ zu beantragen. Der Mann stolperte zur Seite weg und verlor den Kontakt zu dem blauen Leuchten des Lesegeräts. Gleichzeitig wirbelte Cab Gee herum und brachte sie so in die Position, in der vorher der Mann gestanden hatte.
Sie spürte das heiße Brennen in ihrem Nacken, als die TKZ, die gar nicht ihr gehörte, an ihren eigenen Strichcode angefügt wurde, und begrüßte es wie noch nie in ihrem Leben.
"Jetzt bist du frei." Murmelte Cab. Er ließ seine eigene PKZ scannen, dann zog er Gee mit sich und ging durch den M-Port.
"M-Port, prüfe Gültigkeit." In Gees Nacken erschien erneut ein kleiner blauer Punkt.
"Gültig bis Wohnblock einhundertsechsunddreißig."
"M-Port, prüfe Gültigkeit."
Seine eigene PKZ wurde gelesen.
"Fehler 1204. Gültigkeit konnte nicht eruiert werden."
"Ausgezeichnet."
"Haben Sie einen schönen Tag."
Gee verstand nichts mehr. Ihr Gehirn war nicht in der Lage, zu verarbeiten, was gerade passierte. Ihre PKZ war nicht ungültig. Sie wurde von der Polizei festgenommen und von einem fremden VLM gerettet. Und jetzt hatte Cab sie in eine M-Rail-Haltestelle geschleust, ohne dass irgendein Computer verzeichnet haben würde, dass sie ihre Wohnung überhaupt verlassen hatte.
Cab sah konzentriert auf seinen PDA.
"136. So weit müssen wir nicht."
Dann schob er Gee in eine Nische zwischen zwei QuickVics.
"Also, Gee. Die nächsten Tage werden für dich ziemlich hart. Ich nehme an, du hast inzwischen begriffen, dass..."
"ich begreife im Moment gar nichts." Sagte sie.
"Ja, ich weiß. Aber das hier sicher schon: Du wirst nie wieder in dein altes Leben zurück kehren."
Ja, in der Tat. Das hatte sie sich gedacht.

Sie stiegen in die M-Rail. Zum ersten Mal empfand sie die mangelnde Stimmung, das Ausbleiben der Wahrnehmung anderer Entitäten auf emotionaler Ebene, als ausgesprochen störend. Unangenehm. Zumindest hinderlich. Cab sprach kein Wort, sah nur immer wieder auf seinen PDA. Dann endlich, nach fast zwanzig Minuten, sagte er:
"Sie suchen dich. Deine PKZ wurde aus dem Register gelöscht. Das ist kein Problem. Wir steigen gleich aus."
Gee dachte nach. Vermutlich war der Schock dafür verantwortlich, aber ihre Gedankenwogen glätteten sich fürs erste.
"Moment. Auf dieser Strecke kommt der nächste M-Port erst in zehn Minuten."
Cab sah sie mit einem äußerst merkwürdigen Gesichtsausdruck an, einem Ausdruck, den sie noch nie gesehen hatte, und sagte:
"Deswegen wird dies auch ein interessanter Tag werden."
Er schlang seinen Arm um ihre Hüfte und zog sie dicht an sich heran. Den anderen Arm schlang er um eine Verstrebung an einer der Sitzbänke. Dann brach die Hölle los.
Die M-Rail schaltete plötzlich in den Rückwärtsgang. Die Polung der Antriebsmagneten wurde umgedreht, so dass die pure Kraft, die glühende Energie der Magneten, die die Bahn in der Schwebe hielten, auf die nicht minder starke Bewegungsenergie der Bahn selbst traf. Einzig die Massenträgheit sorgte jetzt noch dafür, dass die M-Rail nicht auseinander gerissen wurde. In der Bahn flogen Menschen durcheinander. Es ging drunter und drüber, nur Cab und Gee standen noch mehr oder minder aufrecht. Dann war es vorbei. Stille trat ein, aber diesmal kam auch eine Atmosphäre in der Bahn auf. Staub hing in der Luft. Glitzerte. Es gab keine Fenster, durch die sie hätten sehen können, wo sie sich befanden. Ein einziges Stöhnen durchzog die Bahn, VLMs fingen an, sich zu bewegen. Cab löste seinen eisernen Griff um Gee und die Metallstange, dann machte er sich an der Tür zu schaffen. Gee stand da und sah sich um. Es herrschte das Chaos. Außer Cab und ihr stand niemand aufrecht.
Cab öffnete die linke Tür. Sie befanden sich in einem Tunnel, draußen herrschte Dunkelheit.
"Ich glaube nicht, dass hier eine Bahn durch kommt. Wir steigen aus."

 4
 Inhalt 
6 
 4
6 
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text

Elvarryn (36)
(07.05.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 bluedotexec meinte dazu am 07.05.09:
Noch ist Annie mir nicht gefährlich. Gee ist ja nicht tot^^. Aber ich fange an, sie lieb zu gewinnen, das ist bei meinen Romanen immer ein gutes Zeichen, hat die Vergangenheit gezeigt...^^
Elvarryn (36) antwortete darauf am 07.05.09:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 bluedotexec schrieb daraufhin am 07.05.09:
Eddie... ich steh auf'm Schlauch. Aber was Romanfiguren angeht... wieso neigt man als Autor so gern dazu, gerade die liebgewonnenen Helden zu töten?
Elvarryn (36) äußerte darauf am 07.05.09:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter ergänzte dazu am 08.05.09:
Machen ja gar nicht alle Autoren ...
Viele behalten die Charaktere lieber, um sie in unzähligen Fortsetzungen wieder und wieder zu verwursten.

Ich glaube, dass die Autoren, die das machen, versuchen, sich zu emanzipieren. Sich zu lösen, Stärke sich und den Figuren gegenüber zu beweisen. Das im ersten Kommentar zitierte Buch iss ja nun der beste Beweis dafür ... :)

Außerdem kann so was auch ein kleines Machtspielchen mit den Lesern sein - so man denn welche hat ... :D
Immerhin kann man sich vorstellen, dass es eine gewisse Befriedigung bereitet, einen Charakter zu töten, nur um dann dem entsetzen Aufschrei der Leser zu lauschen. Und denen man bewiesen hat: Herr über meine Charaktere bin nur ich!
Gott, quasi ...

Autoren sind halt alles Egomanen ... ;)
Elvarryn (36) meinte dazu am 08.05.09:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 bluedotexec meinte dazu am 08.05.09:
Der einzige, der das m.E. gut hinbekommt, ist Clive Cussler mit seinen Dirk-Pitt-Romanen. Alle anderen sind irgendwann abgeglitten. Jetzt ziehe ich so Sachen wie die drei Fragezeichen oder TKKG nicht mit ein *lach*, weil das ja wieder was völlig anderes ist, aber im Großen und Ganzen kenne ich niemanden, der ganz klar viele Bücher mit den selben Charakteren geschrieben hat und dabei gute Geschichten fabriziert hat.
An dieser Stelle verweise ich auf Isaac Asimov, der mit seiner Susan Calvin in den Robotergeschichten im Gegensatz zu so vielen anderen jedoch großartige Arbeit geleistet hat, zumal mir der Charakter selbst persönlich zusagte^^.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram