Mir ist heut so nach Tamerlan zu Mut

Kurzprosa zum Thema Sehen/ nicht sehen

von  loslosch

"Mir ist heut so nach Tamerlan zu Mut,/ ein kleines bisschen Tamerlan wär gut ..."

Den vollständigen Text kann man leicht googeln. Tuchosky schrieb ihn in den frühen 1920er Jahren. Kabarett-Song 1922, vertont von Rudolf Nelson. Inhalt und Form bieten nichts Außergewöhnliches, jedenfalls nicht für den, der Tucholskys Schriften kennt.

Der unscheinbare Text stieg auf zur Filmmusik von "Schloss Gripsholm" (2000/11), gesungen von Jasmin Tabatabai, einer der beiden Gespielinnen des Gripsholm-Ich-Erzählers. Ging die Faszination vom Namen des Kirgisen-Herzogs aus dem 14. Jh. Tamerlan (auch Timur Lenk, Timur der Lahme) aus? Der hatte in die Familie des berüchtigten Dschingis Khan eingeheiratet und war von äußerster Grausamkeit. Wie sich das für einen Dschingis Khan-Nachfolger gehört.

Wohl kaum. Der Wortklang Tamerlan erzeugt die Wirkung.

Im Nachwendejahr 1990 nahm ich an einer Führung im Potsdamer Neuen Palais teil. In Blickweite die Ruinen des Potsdamer Stadtschlosses (mit fast mannshohem, in luftiger Höhe wurzelndem Gesträuch). Vor einem großflächigen Gemälde (Motiv: Afrikanische Wildnis mit einem Koloss von Elefanten) erläuterte der Fremdenführer mit unüberhörbarem Berliner Akzent: Dieser Elefant sei aufgrund von Skizzen und Beschreibungen eines Afrika-Abenteurers des 16./17. Jhs. von einem zeitgenössischen Künstler gemalt worden. Doch die Abmessungen des Dickhäuters seien out of proportions ausgefallen, was die Besucher früherer Jahre veranlasst habe, auszurufen: Mir ist heut so nach Tamerlan.

Wenn der seinen Elefanten nicht hinbekommt, ist mir das alles sowas von egal.

Mir ist heut so nach Tamerlan ...

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Kommentare zu diesem Text

elvis1951 (59)
(27.08.09)
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 loslosch meinte dazu am 28.08.09:
Da triffst Du mich am schwächsten Punkt, dem Sinn fürs Makabre ...

Sprachwissenschaftler bin ich nicht, aber ich vermute, dass die gleiche Vokalfolge ( Ta-mer-lan / alls-e-gal) so ein Gefühl der Müdigkeit, Gleichgültigkeit erzeugt. Und das bei diesem "Herrn", wie Du richtig hervorgehoben hast, der nur Angst und Schrecken verbreitet hat. Er hat einmal 10.000 Feinde lebendigen Leibes einmauern lassen. Wahrscheinlich hat er stündlich vorbeigeschaut, um die Geräuschkulisse zu "überprüfen".
Lothar

 EkkehartMittelberg (28.09.12)
Arabisch "kiffkiff" ist auch ganz nett, aber Tamerlan ist exotischer.

 loslosch antwortete darauf am 28.09.12:
ich vergesse nie, dass der stark berlinernde schlossführer jeden zweiten satz mit "jedoch" begann, ekki.

jedoch lasse ich es damit genug sein. danke t.t. lo

 harzgebirgler (17.05.16)
Macht paßt gut zu Vermessenheit / ja sozusagen jederzeit / und Macht die jedes Maß vergißt / auch künftig viel an Blut vergießt.

 loslosch schrieb daraufhin am 17.05.16:
schrankenlose macht setzt gewalt frei.
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