An jenem Morgen tauchte ich noch einmal hinab, auf den Meeresgrund, zu den Meerbewohnern. Ich hatte meine Mutter nach ihrem Tod nicht mehr gesehen und in der letzten Zeit öfter an sie gedacht.
Sie schien auf mich gewartet zu haben, denn ich sah sie sofort. Meine erste Frage war, wie es ihr denn ginge, denn darüber hatte ich mir ernsthaft Gedanken gemacht.
Sie antwortete mir ein wenig patzig, es gehe ihr sehr gut, das könnte ich doch wohl sehen und mit diesen Worten ließ sie mich einfach stehen.
Damit hatte ich nicht gerechnet, denn ihr Verhalten widersprach völlig ihrem Naturell. Zu Lebzeiten war sie eine freundliche, zuvorkommende Frau gewesen, die nie unhöflich gewesen war, ihre Launen nicht an andere ausgelassen hatte und nie hatte ich es erlebt, dass sie jemanden absichtlich verletzt hätte. Im Gegenteil, sie war eine der Frauen gewesen, die sich so zurück nehmen, dass von ihrer Persönlichkeit nicht mehr viel zu erkennen ist. Ihr Standartsatz war stets gewesen: „Ist schon gut“, mal beschwichtigend, mal unter den Teppich kehrend oder auch ausdrückend: „Ja, ja, red du nur, du hast deine, ich hab meine Meinung dazu.“
Da stand ich nun auf dem Grunde des Meeres und sinnierte vor mich hin. Es ging ihr gut, das bezweifelte ich nun keine Sekunde mehr. Sie hatte mich einfach stehen lassen und es war ihr völlig egal gewesen, was ich darüber dachte oder wie ich mich fühlen könnte. Für sie war das so in Ordnung und dann war es das auch.
Weil ich noch Zeit hatte, blickte ich mich noch ein wenig um.
In ihrer Küche sah ich einen besonderen Schrank, ein Erbstück, aus dunklem Holz gefertigt mit vielen kunstvoll eingeschnitzten Verzierungen. Die Rückwand bedeckte ein blau glänzender, hochwertiger Stoff, auf dem wunderschöne Malereien zu sehen waren.
Doch als ich neugierig näher trat bemerkte ich, dass der Stoff nur die noch kostbarer gearbeitete Rückwand verdeckte, die ganz aus einem phantastischen Bild bestand, gearbeitet mit vielen bunten Mosaiksteinchen, jedes für sich wieder ein kleines Kunstwerk zeigend. Das obere Drittel bildete den dunkelblau fluoreszierenden Hintergrund eines Raubtierkopfes mit einem Fisch im weit aufgerissen Maul.
Später, während des Tages ging mir durch den Kopf, dass ich diesen kostbaren Schrank auch einmal erben würde, wie meine Mutter ihn vor mir von ihrer Mutter geerbt hatte und diese wieder von ihrer Mutter und in Gedanken suchte ich nach einem Platz für ihn in meiner Wohnung.
Ich bin nicht wohlhabend und vermögend, meine Wohnung ist eher schlicht und zweckmäßig eingerichtet, eigentlich passte das kostbare Stück gar nicht zu mir, aber das würde ich meiner Mutter nicht beibringen können und sowieso, es würde sie nicht überzeugen.
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