Underwater Love

Erzählung zum Thema Besessenheit

von  Mutter

Ich habe Kopfschmerzen, fahre mir mit der Hand durch das Gesicht. Die junge Frau vor mir bereitet mir diese Schmerzen – vielleicht wäre die Idee, sie einfach umzulegen, die einfachere Variante. Langsam lasse ich die Hände sinken, betrachte sie. In der Outline des Goth-Girls erkenne ich Jesse wieder, frage mich, wie sie mich hat täuschen können.
‚Ich habe dich nicht fallen gelassen, Jesse. Wir waren niemals zusammen.‘ Meine Stimme klingt müde.
‚Gevögelt hast du mich – dafür war ich dir gut genug!‘
‚Hast du nicht das Gefühl, dass du für diese Art Drama etwas zu alt bist?‘
‚Fick dich, Corker!‘ Sie sieht als, würde sie gleich auf mich losgehen. ‚Fick dich einfach, okay? Für dich war ich vielleicht nur billiger Sex, aber ich habe dich geliebt.‘
Ich seufze, kratze mir den Nacken, verziehe das Gesicht – Scheiße, ein paar Runden Vollkontakt mit der Maschine wären mir jetzt lieber.
‚Wie bist du mit Bowman zusammen gekommen?‘
‚Reiner Zufall.‘ Sie lächelt, sieht für einen Moment attraktiv aus. ‚Er ist damals in Belfast aufgetaucht, auf der Suche nach einer Spur, die ihn zu den Männern führt, die den Tod seines Bruders zu verantworten hatten.‘
‚Und du hast ihm den Weg gewiesen.‘
Ihr Grinsen wird breiter. ‚Ich habe ihm von Dave erzählt, der kurz vorher in Belfast aufgetaucht war, und ich habe behauptet, du hättest das Geld.‘
‚Und ihn nach Berlin geführt?‘
Sie nickt, beobachtet mich aufmerksam, hungrig. In ihr glimmt ein Feuer, das mich verbrennen will.
‚Wofür der ganze Aufwand? Warum habt ihr mich nach Hamburg geschickt, die Falle mit der Klebe aufgebaut?‘
‚Weil ich ihm erzählt habe, was für ein gefährlicher Profi du bist. Dass du ein Supermann bist, Corker. Nur deswegen. Sein ursprünglicher Plan war, dich einfach auf der Straße einzusacken.‘
‚Warum?‘ Ich versuche, meinen verletzten Stolz beiseite zu schieben, zu ignorieren.
‚Weil ich wollte, dass er mich braucht. Um an dir dran zu bleiben.‘ Sie lehnt sich nach vorne, wie um mich besser betrachten zu können. ‚Ich wollte deinen Fall aus nächster Nähe miterleben.‘
Die kleine Schlampe! Ich unterdrücke den Wunsch, ihr eine zu ballern.
‚Das heißt, die ganze Scheiße, das ganze Gewese um den unbesiegbaren Corker – alles auf deinem Mist gewachsen?‘
Sie bleckt triumphierend die Zähne. ‚The taller they are, the harder they fall. Ja, alles meins. Und Bowman hat mir geglaubt - der war genauso leichtgläubig wie du. Du bist ein eingebildeter Schwachkopf, Corker. Am Ego kann man euch genauso gut packen wie an den Schwänzen!‘
Ich versuche, ihre Sticheleien zu ignorieren, mich auf mein Puzzle zu konzentrieren. ‚Was hat Metriç mit der Geschichte zu tun?‘
Sie schnaubt verächtlich. ‚Der Pisser hat mir dazwischen gefunkt, fast alles über den Haufen geworfen.‘
‚Warum? Was wollte der Albaner?‘
‚Ursprünglich hat er Bowman unterstützt, von Gavin Geld genommen, um ihm Kontakte und Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Irgendwann hat er angefangen, auf eigene Faust zu operieren.‘
‚Und diesen Bockmist mit den Bentos verzapft?‘
Sie lächelt grimmig, nickt. ‚Ja. Fast hätte es dich da erwischt, oder? Hätten wir dich nur noch einsammeln müssen.‘
‚Aber Metriç war schneller.‘
Sie lehnt sich zurück, sucht ihre Zigaretten auf dem Küchenschrank hinter sich, nimmt eine aus der Packung. Steckt sie sich in den Mund, deutet auf einen Aschenbecher und ein Feuerzeug zu meiner Linken.
‚Gib mir Feuer‘, befiehlt sie.
Ich greife nach dem Feuerzeug, halte ihr die Flamme hin. Jesse beugt sich vor, inhaliert, stößt einen langen Zug Rauch zur Seite aus.
‚Warum bist du nie zu mir gekommen?‘, will ich wissen. Betrachte nachdenklich, wie sie raucht.
Sie antwortet nicht sofort, nimmt einen weiteren Zug. Bläst eine Rauchwolke aus, sieht mich mit zusammen gekniffenen Augen an. ‚Du bist abgehauen, Corker. Ich wollte dir nicht hinterher laufen, nur, damit du noch mehr Geschwindigkeit aufnimmst. Du hast mir weh getan.‘
‚Herrgott, Jesse, wir waren kein Paar. Nie! Du hast Dave mit mir betrogen, nichts weiter.‘
Ihre Reaktion kommt sofort – sie packt ihre Teetasse, schüttet mir den Tee ins Gesicht. Gottseidank nur noch lauwarm.
‚Du Schwein!‘, faucht sie, erhebt sich drohend.
Meine Knöchel der rechten Hand verfärben sich weiß – so fest umklammert meine Faust die Mossberg. ‚Du bist verrückt, Jesse – du hast einen echten Knall!‘
Ihre Hand zuckt vor und will mir die scharfen Nägel quer über das Gesicht kratzen. Obwohl mein Kopf zurückzuckt, erwischt sie mich und zieht mir feurige Linien über das Jochbein. Verfehlt das Auge.
Geschmeidig fahre ich aus dem Stuhl hoch, den ich dabei umstoße, und feuere Jesse eine mit der linken Rückhand. Sie fällt zur Seite, hält sich halb am Küchenschrank fest. Kommt wieder hoch, die Haare durcheinander, blitzt mich an.
Für den Bruchteil einer Sekunde stehen wir im Auge des Orkans. ‚Komm runter!‘, grolle ich. Es macht mir keinen Spaß, sie zu schlagen, egal wie groß meine Wut auf sie ist.
Als hätten meine Worte die Luft aus ihr herausgelassen, sinken ihren Schultern nach unten. Sie sieht mich an. ‚Ich muss pinkeln.‘ Es klingt kläglich.
Ich nicke, mache einen Schritt zur Seite. Weise mit ausgestrecktem Arm zur Tür. Als sie an mir vorbeigeht, folge ich ihr. Im Flur, vor der Badezimmertür, dreht sie sich um. ‚Was soll das? Willst du mir dabei zugucken, du dummer Wichser?‘
Ihr Ton lässt mich kalt. ‚Jesse, ich habe deine Pussy gesehen, als du Jesse warst, ich kenne die vom Goth-Girl – da macht es mir nichts aus, auch noch die von Melanie zu sehen. Mach schon – die Spielchen kannst du dir sparen.‘
‚Arschloch!‘ Sie geht rein, zieht sich das Höschen runter. Funkelt mich an, während ich am Türrahmen gelehnt stehe. Ihr zusehe. Der kalte Tee auf meinem Sweater lässt mich schaudern.
‚Dein Badewasser wird kalt‘, sage ich mit einem Lächeln.
‚Mach‘s dir selbst! Weißt du, was dein Problem ist, Corker? Du weißt nicht, wann du den Bogen überspannst. Weißt nicht, wann du endlich mal die Fresse halten solltest.‘
Sie ist fertig, zieht sich den Slip wieder hoch, steht provozierend vor mir. Ich habe das Gefühl, ein Monolith zu sein, an dem sie abgleitet. Erfolglos versucht, ihre Krallen in Risse zu schlagen, die es nicht gibt. Der Gedanke befriedigt mich.
Ein Lächeln zuckt über ihr Gesicht. ‚Weißt du, was wirklich schade an der ganzen Geschichte ist? Dass Brian deine kleine Schlampe auf Rathlin Island nicht gründlich umgelegt hat.‘
Tilt.
Meine Welt kippt, meine ganze verdammte Selbstbeherrschung ist zum Teufel. Die Mossberg fällt aus Fingern, die in der Vorwärtsbewegung nach ihrer Kehle greifen. Für eine Mikrosekunde weiten sich ihre Augen vor Überraschung, dann vor Schmerz. Ich halte sie gepackt, drücke zu.
Ihre Fäuste umfassen meine Handgelenke, mühen sich an Schraubzwingen ab. Langsam biege ich sie nach hinten, auf die Wanne zu. Bekomme Kopfschmerzen, weil meine Kiefermuskeln meine Zähne wie tonnenschwere Stahlpressen aufeinander drücken. Ihre Lippen formen Worte, die ich nicht verstehe. Das Blut rauscht durch meine Ohren, erstickt alles andere.
Mit einem Ruck treibe ich sie nach unten in die Wanne, während sie das Gleichgewicht verliert. Wasser spritzt um uns auf, mit einem Klatschen verschwindet sie unter der Oberfläche.
Mein Oberkörper ruht auf dem Badewannenrand, während meine ausgestreckten Arme sie unter Wasser halten. Ich ignoriere die Schmerzen in meinen Rippen, heiße sie willkommen. Sie machen real, was gerade passiert. Ihre riesigen Augen starren zu mir hoch. Ich versuche mir vorzustellen, wie die Brechung des Lichtes mich aussehen lässt, in diesen Augen.
Inzwischen entweichen ihren geöffneten Lippen keine Luftbläschen mehr, sondern nur noch ein langgezogener, stummer Schrei. Ihr Blick zuckt hin und her, längst haben ihre Hände meine losgelassen. Suchen Halt am glatten Porzellan der Badewanne.
Finden keinen.
Ich werfe einen letzten Blick auf Jesse. Hatte sie damals ohne einen Blick zurück verlassen. Hatte das Goth-Girl auf ihrer Hello-Kitty-Bettwäsche zu Grabe getragen. Und jetzt? Was empfand ich für sie?
Endlos langsam ticken die Sekunden in meinem Hirn weg, Jesses Blick eingefroren in meinen wie in Bernstein.
Mit einem Ruck reiße ich sie wieder nach oben, löse meine Hände von ihrer Kehle. Während ich mich aufrichte, sehe ich zu, wie sie nach Luft schnappt. Hilflos zurück unter Wasser rutscht. Panik lässt sie fahrig werden, ihre langen Finger umklammern den Beckenrand. Sie hievt sich hoch, kommt ins Sitzen. Saugt gierig die Luft ein.
Ich betrachte ihr verlaufenes Make-Up – genau wie damals, unter der Dusche. Versuche, das kleine Goth-Girl zu erkennen. Aber Jesse hat die Kleine wie eine Schwarze Witwe ihr glückloses Männchen verschlungen, nichts mehr von ihr übrig gelassen.
Ich schüttele den Kopf, stehe auf.
Bei manchen Menschen weiß man genau – mit denen gibt es nichts als Ärger. Jesse gehört definitiv dazu.
‚Lebe wohl, Jesse‘, sage ich leise, wende mich zum Gehen.

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(14.12.09)
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 Mutter meinte dazu am 14.12.09:
Voll guter Kommentar, hey ... :)

Danke.
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