Bildung Bolognese
Satire zum Thema Bildung/ Wissen
von JoBo72
2010. Der Bologna-Prozess ist abgeschlossen. Alle Fragen der menschlichen Kultur werden in kurzen Dialogen bearbeitet, um durch sokratische Mäeutik den Lernenden die Antworten zu vermitteln. Beispiel: Theodizee. Während sich Generationen bildungsbeflissener Menschen mit langen Anhandlungen quälten, haben es Schüler und Studenten „nach Bologna“ leichter.
Reporter: Lukas, zwei Tore gemacht, drei Tore vorbereitet. Zufrieden?
Lukas: Ja, sischer. Zwei Tore gemacht, drei Tore vorbereitet. Kann man zufrieden sein.
Reporter: Aber dennoch klappt das Zusammenspiel mit Klose noch nicht optimal.
Lukas: Ja, sischer. Aba is scheißegal.
Reporter: Lukas, hast Du noch Probleme mit der Theodizeefrage?
Lukas: Nö, überhaupt nüsch. Leibniz hat die ja gelöst. Wir leben in der bestmöglichen Welt, die Gott im Zustand der Potentialität als solche erkannt und zur Existenz gebracht hat. Und in der hat das Übel metaphysische Notwendigkeit.
Reporter: Wegen der Freiheit des Menschen?
Lukas: Ja, sischer. Auf dieser Ebene der Modalität geht dem Schöpfungsakt ein Wahlakt voraus, bei dem Gott die beste Welt aus allen möglichen Welten, die sich frei entwickeln, identifiziert, gegründet auf seine unendliche Voraussicht. Also, preavisio und nicht praedeterminatio. Viele tun das durcheinanderbringen.
Reporter: Danke, Lukas.
Lukas: Bidde.
Neben dem Fußball werden auch die ehedem bildungsfernen, gleichwohl aber beliebten Talkshows als Kristallisationspunkte menschlicher Hochkultur fruchtbar gemacht. Die Talkshowfassung der „Antigone“ von Sophokles nutzt das Identifikationspotential der Lernenden mit der aktualisierten Version des klassischen Dramas und erschließt dem Stammpublikum nachmittäglicher Gesprächsrunden dessen Grundproblematik in Bologna-gerechter Weise. Diese Methodik spart das mühsame Erlernen des Altgriechischen und damit das, was im Bologna-Prozess zentral ist: Zeit.
Kreon: Isch bin Kreon, ey. Isch bin der King!
Antigone: Pfff. Alta, Du hast doch keine Ahnung, ey.
Kreon: Was willst Du denn, ey?!
Antigone: Isch will mein’ Bruder!
Kreon: Da kannst Du lange warten, Schlam piep!
Antigone: Piep dich doch, du piep!
Moderatorin (beschwichtigend): Antigone und Kreon! Ist es nicht so, dass es ein Naturrecht gibt, an das Du Dich zu halten hast, Kreon?
Kreon (aggressiv und laut): Was Naturrecht, was Naturrecht?!
Antigone: Ey, das kommt von die Götters, Alta!
Kreon: Ey, was wills’ Du denn, Du piep!
Auch die bisweilen komplizierte Kirchengeschichte lässt sich „mit Bologna“ in eine geeignete Form bringen, wie die Talkshowfassung des Investiturstreits zeigt.
In einem Fernsehstudio sitzen zwei als Papst Gregor VII. und Kaiser Heinrich IV. verkleidete 17jährige männliche Mitbürger mit Migrationshintergrund und werden von einer jungen blonden Moderatorin befragt, die nach drei Semestern Germanistik – „der Praxisbezüge wegen“ – zum Fernsehen wechselte.
Moderatorin (schnell, sicher, souverän): Gregor, Du behauptest, Heinrich mischt sich immer in Deine Angelegenheiten ein. Kannst Du da mal ein Beispiel nennen?
Gregor (mit eigenartig verzogenem Mund): Ja, voll viele, ej!
Moderatorin (freundlich): Eins reicht uns.
Gregor: Ja, ej, zum Beispiel mit die Bischöfe!
Heinrich: Ej, halt’s Maul, piep!
Das Publikum (in der Hauptsache Jugendliche, unter ihnen sind einige als Bischof verkleidet) grölt.
Moderatorin (eindringlich): Heinrich! Das wollen wir hier nicht hören. Also, Gregor. Was war denn mit den Bischöfen?
Gregor: Naja, plötzlich meint der, er kann das regeln...
Moderatorin (eindringlich): Was regeln?
Gregor: Na, mit die Bischöfe...
Heinrich (laut): Ej, was erzählst Du hier für ’ne piep, du piep!
Moderatorin (sehr streng, aber irgendwie nicht ganz verhehlen könnend, dass es genau das ist, was sie und die Regie wollen): Heiiiiiiiinriiiiich! Was sagt du dazu?
Heinrich: Ej, dat war genau umgekehrt. Ej, 500 Jahre ist dat gut jegangen. Ich: gladius materialis und regnum, du: gladius spiritualis und sacerdotium. So, und zwar: beide gleich. So wie Alkuin und Gelasius dat wollten!
Moderatorin (mit gespieltem Interesse): Alkuin? Gelasius?
Gregor (gelangweilt): Sin Kumpels von uns, sin schon lange tot.
Heinrich: Denn kommt er plötzlisch und meint (imitiert Schwuchtel): Ach, Heinrich....
Das Publikum amüsiert sich, einige kichern.
Moderatorin (kann sich selbst kaum halten): Halloooo. Bitte!
Heinrich (ob seiner gelungenen Komik mit sichtlichem Stolz fortfahrend): Ey – un dann meinter, er macht misch fertisch und so. Voll krass, ey.
Moderatorin: Wie jetzt, Gregor: „fertig machen“?
Gregor (grinst schief): Ja, Handy platt machen und so.
Moderatorin: „Handy platt machen“?
Gregor: Excommunicatio. (zu Heinrich) Da haste dann aber die Muffe gekricht, wa?
Heinrich: Ey, Alter, du blödes piep. (zur streng, aber doch irgendwie amüsiert blickenden Moderatorin): Watt soll isch denn mache’, ey?!
Aus dem Publikum kommt eine Wortmeldung.
Bischof: Ich kenn’ Gregor schon lange. Sin’ zusammen zu’ Schule g’’angen un’ so...
Moderatorin (leicht genervt): Deine Frage...
Bischof: Ja, ich wollt ma von Heinrich wissen: Ej, Alter, ej, wie tickst Du eigentlich. Du hast Doch gar keine Ahnung!
Das Publikum johlt.
(Moderatorin, in Reminiszenz an ihre 3 Semester Germanistik): Das war – streng genommen – keine Frage, aber gut. Fragen wir mal unseren Experten Dr. Brechtler. Dr. Brechtler, was sagen Sie zu Gregor und Heinrich?
Dr. Brechtler (ein bärtiger, etwas untersetzter Mittvierziger, der eine besorgte Miene aufsetzt):
So wie ihr euch hier aufführt, ist es kein Wunder, dass immer mehr Menschen das Vertrauen sowohl in die Kirche als auch in die Politik verlieren.
Das Publikum grölt.
Moderatorin: Nach der Werbung machen wir Bekanntschaft mit Hassan und Steffen, die als Heinrich VIII. bzw. Thomas Morus über die Suprematsakte streiten.
Man sieht einen kurzen Ausschnitt.
Thomas Morus: Du kannst doch nur diesen hier (deutet Geschlechtsverkehr an, indem er mit der flachen linken Hand auf die rechte Faust schlägt, im Hintergrund grölt das Publikum)
Heinrich VIII.: Isch mach’ disch kalt!!!
Heinrich (schon in der Abblende, von Erkennungsmelodie der Talkshow überlagert): Wieso jetz’ „VIII.“, Alter? IV.!
Moderatorin (besänftigend): Du bist doch gar nicht gemeint.
Heinrich: Ah, so.
Gregor (grinst schief): Saublöd, ey!
Heinrich: Piep.
Ähnliche Aktualisierungen sind für Themen wie die Völkerschlacht bei Leipzig, die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Händels „Messias“ und das Plancksche Wirkungsquantum vorgesehen. Bologna-Experten arbeiten an einer werktäglichen Seifenoper zur Katholischen Soziallehre. Für die Erläuterung der Begriffe „Hyperbaton“, „Völkerrechtssubjekt“ und „Tragestarre“ konnten Spieler des 1. FC Nürnberg gewonnen werden. Die Bundesregierung („Pisa war gestern. Heute ist Bologna!“) arbeitet unterdessen an einer Imagekampagne unter dem Motto „Bildung Bolognese – mehr brauchst Du nicht zu wissen, Alta“ und stellt Texte mit langen Sätzen unter Strafe. Gemeinsam, so Bundeskanzlerin Merkel, sollte es uns doch gelingen, wieder ein Volk der Dichter zu werden. „Zicke-zacke / Hühnerkacke.“ Geht doch.
Reporter: Lukas, zwei Tore gemacht, drei Tore vorbereitet. Zufrieden?
Lukas: Ja, sischer. Zwei Tore gemacht, drei Tore vorbereitet. Kann man zufrieden sein.
Reporter: Aber dennoch klappt das Zusammenspiel mit Klose noch nicht optimal.
Lukas: Ja, sischer. Aba is scheißegal.
Reporter: Lukas, hast Du noch Probleme mit der Theodizeefrage?
Lukas: Nö, überhaupt nüsch. Leibniz hat die ja gelöst. Wir leben in der bestmöglichen Welt, die Gott im Zustand der Potentialität als solche erkannt und zur Existenz gebracht hat. Und in der hat das Übel metaphysische Notwendigkeit.
Reporter: Wegen der Freiheit des Menschen?
Lukas: Ja, sischer. Auf dieser Ebene der Modalität geht dem Schöpfungsakt ein Wahlakt voraus, bei dem Gott die beste Welt aus allen möglichen Welten, die sich frei entwickeln, identifiziert, gegründet auf seine unendliche Voraussicht. Also, preavisio und nicht praedeterminatio. Viele tun das durcheinanderbringen.
Reporter: Danke, Lukas.
Lukas: Bidde.
Neben dem Fußball werden auch die ehedem bildungsfernen, gleichwohl aber beliebten Talkshows als Kristallisationspunkte menschlicher Hochkultur fruchtbar gemacht. Die Talkshowfassung der „Antigone“ von Sophokles nutzt das Identifikationspotential der Lernenden mit der aktualisierten Version des klassischen Dramas und erschließt dem Stammpublikum nachmittäglicher Gesprächsrunden dessen Grundproblematik in Bologna-gerechter Weise. Diese Methodik spart das mühsame Erlernen des Altgriechischen und damit das, was im Bologna-Prozess zentral ist: Zeit.
Kreon: Isch bin Kreon, ey. Isch bin der King!
Antigone: Pfff. Alta, Du hast doch keine Ahnung, ey.
Kreon: Was willst Du denn, ey?!
Antigone: Isch will mein’ Bruder!
Kreon: Da kannst Du lange warten, Schlam piep!
Antigone: Piep dich doch, du piep!
Moderatorin (beschwichtigend): Antigone und Kreon! Ist es nicht so, dass es ein Naturrecht gibt, an das Du Dich zu halten hast, Kreon?
Kreon (aggressiv und laut): Was Naturrecht, was Naturrecht?!
Antigone: Ey, das kommt von die Götters, Alta!
Kreon: Ey, was wills’ Du denn, Du piep!
Auch die bisweilen komplizierte Kirchengeschichte lässt sich „mit Bologna“ in eine geeignete Form bringen, wie die Talkshowfassung des Investiturstreits zeigt.
In einem Fernsehstudio sitzen zwei als Papst Gregor VII. und Kaiser Heinrich IV. verkleidete 17jährige männliche Mitbürger mit Migrationshintergrund und werden von einer jungen blonden Moderatorin befragt, die nach drei Semestern Germanistik – „der Praxisbezüge wegen“ – zum Fernsehen wechselte.
Moderatorin (schnell, sicher, souverän): Gregor, Du behauptest, Heinrich mischt sich immer in Deine Angelegenheiten ein. Kannst Du da mal ein Beispiel nennen?
Gregor (mit eigenartig verzogenem Mund): Ja, voll viele, ej!
Moderatorin (freundlich): Eins reicht uns.
Gregor: Ja, ej, zum Beispiel mit die Bischöfe!
Heinrich: Ej, halt’s Maul, piep!
Das Publikum (in der Hauptsache Jugendliche, unter ihnen sind einige als Bischof verkleidet) grölt.
Moderatorin (eindringlich): Heinrich! Das wollen wir hier nicht hören. Also, Gregor. Was war denn mit den Bischöfen?
Gregor: Naja, plötzlich meint der, er kann das regeln...
Moderatorin (eindringlich): Was regeln?
Gregor: Na, mit die Bischöfe...
Heinrich (laut): Ej, was erzählst Du hier für ’ne piep, du piep!
Moderatorin (sehr streng, aber irgendwie nicht ganz verhehlen könnend, dass es genau das ist, was sie und die Regie wollen): Heiiiiiiiinriiiiich! Was sagt du dazu?
Heinrich: Ej, dat war genau umgekehrt. Ej, 500 Jahre ist dat gut jegangen. Ich: gladius materialis und regnum, du: gladius spiritualis und sacerdotium. So, und zwar: beide gleich. So wie Alkuin und Gelasius dat wollten!
Moderatorin (mit gespieltem Interesse): Alkuin? Gelasius?
Gregor (gelangweilt): Sin Kumpels von uns, sin schon lange tot.
Heinrich: Denn kommt er plötzlisch und meint (imitiert Schwuchtel): Ach, Heinrich....
Das Publikum amüsiert sich, einige kichern.
Moderatorin (kann sich selbst kaum halten): Halloooo. Bitte!
Heinrich (ob seiner gelungenen Komik mit sichtlichem Stolz fortfahrend): Ey – un dann meinter, er macht misch fertisch und so. Voll krass, ey.
Moderatorin: Wie jetzt, Gregor: „fertig machen“?
Gregor (grinst schief): Ja, Handy platt machen und so.
Moderatorin: „Handy platt machen“?
Gregor: Excommunicatio. (zu Heinrich) Da haste dann aber die Muffe gekricht, wa?
Heinrich: Ey, Alter, du blödes piep. (zur streng, aber doch irgendwie amüsiert blickenden Moderatorin): Watt soll isch denn mache’, ey?!
Aus dem Publikum kommt eine Wortmeldung.
Bischof: Ich kenn’ Gregor schon lange. Sin’ zusammen zu’ Schule g’’angen un’ so...
Moderatorin (leicht genervt): Deine Frage...
Bischof: Ja, ich wollt ma von Heinrich wissen: Ej, Alter, ej, wie tickst Du eigentlich. Du hast Doch gar keine Ahnung!
Das Publikum johlt.
(Moderatorin, in Reminiszenz an ihre 3 Semester Germanistik): Das war – streng genommen – keine Frage, aber gut. Fragen wir mal unseren Experten Dr. Brechtler. Dr. Brechtler, was sagen Sie zu Gregor und Heinrich?
Dr. Brechtler (ein bärtiger, etwas untersetzter Mittvierziger, der eine besorgte Miene aufsetzt):
So wie ihr euch hier aufführt, ist es kein Wunder, dass immer mehr Menschen das Vertrauen sowohl in die Kirche als auch in die Politik verlieren.
Das Publikum grölt.
Moderatorin: Nach der Werbung machen wir Bekanntschaft mit Hassan und Steffen, die als Heinrich VIII. bzw. Thomas Morus über die Suprematsakte streiten.
Man sieht einen kurzen Ausschnitt.
Thomas Morus: Du kannst doch nur diesen hier (deutet Geschlechtsverkehr an, indem er mit der flachen linken Hand auf die rechte Faust schlägt, im Hintergrund grölt das Publikum)
Heinrich VIII.: Isch mach’ disch kalt!!!
Heinrich (schon in der Abblende, von Erkennungsmelodie der Talkshow überlagert): Wieso jetz’ „VIII.“, Alter? IV.!
Moderatorin (besänftigend): Du bist doch gar nicht gemeint.
Heinrich: Ah, so.
Gregor (grinst schief): Saublöd, ey!
Heinrich: Piep.
Ähnliche Aktualisierungen sind für Themen wie die Völkerschlacht bei Leipzig, die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Händels „Messias“ und das Plancksche Wirkungsquantum vorgesehen. Bologna-Experten arbeiten an einer werktäglichen Seifenoper zur Katholischen Soziallehre. Für die Erläuterung der Begriffe „Hyperbaton“, „Völkerrechtssubjekt“ und „Tragestarre“ konnten Spieler des 1. FC Nürnberg gewonnen werden. Die Bundesregierung („Pisa war gestern. Heute ist Bologna!“) arbeitet unterdessen an einer Imagekampagne unter dem Motto „Bildung Bolognese – mehr brauchst Du nicht zu wissen, Alta“ und stellt Texte mit langen Sätzen unter Strafe. Gemeinsam, so Bundeskanzlerin Merkel, sollte es uns doch gelingen, wieder ein Volk der Dichter zu werden. „Zicke-zacke / Hühnerkacke.“ Geht doch.