Natalie

Kurzgeschichte zum Thema Psychologische Phänomene

von  RainerMScholz

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Seine Hand strich nahezu liebevoll über ihre glatten schwarzen Haare, ihre Wangen, ihren Hals, über die schmalen, gewölbten Schultern; ihre Brüste sind so unwahrscheinlich weich und warm und jung, die rötlichen Knospen versteifen zwischen seinen Fingerkuppen.

Es schien Spätnachmittag zu sein. Die Sonne stand bereits tief im Westen. Durch die fast geschlossenen Jalousien warfen die letzten Strahlen ein grelles Gittermuster an die gegenüberliegende Wand auf die vergilbte Tapete, durch welche an manchen Stellen blanke rote Backsteine lugten. Es roch muffig in dem Zimmer, das sie seit Tagen nicht verlassen hatten, nach Schweiß und kaltem Braten, abge­standenem Bier und den Körpersekreten, die beim Geschlechtsverkehr entstehen.

Er betrachtet ihren Körper, den nackten Körper einer jungen Frau.

Er kannte nicht einmal ihren vollen Namen, nur, dass sie Natalie hieß. Oder jedenfalls nennt er sie so. Er hatte sie in einem Tanzlokal kennengelernt. Ungewöhnlich genug, da er zu anderen Menschen nicht so schnell Kontakt fand, schon gar nicht an solchen Orten oberflächlicher Vergnügungen.

Seine Hand gleitet tiefer an ihrem Körper hinab, über die Wölbung ihres Bauches, den Bauchnabel, zu der schwülen gekräuselten Hitze ihres Schoßes. Er streicht über das kurze harte Haar des Venus­hügels, drückt ihre Beine ein wenig auseinander, um ihre rosafarbenen, leicht nach außen gewölbten Lippen zu betasten. Gedankenverloren starrt er auf ihre scheinbar wol­lüstig geöffnete Vagina.

Er stand auf und ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu bereiten. Nackt stand er dort im Dämmerlicht an die Spüle gelehnt und überlegte, wie weiter vorzugehen sei. Der Geruch muss allmählich die Nachbarn auf den Plan rufen. Eine Lösung wird gefunden werden müssen. Ein Orts­wechsel vielleicht, eine andere Stadt, ein anderer Name. Wieder einmal.

Er ging zurück in das Zimmer zur Straße.

Natalie liegt auf dem Boden. Ihr junger Körper bekommt die ersten schwarzen Flecke. Sie ist nicht mehr so verführerisch anzusehen wie am Anfang. So zum Anbeißen. Zum Verschlingen. Appetitlich.

Ihre eingetrockneten Augen starrten leer und ausdruckslos an die Decke. Ihre Haut war verwelkt. Gelb. Wie er nun zu bemerken schien. Süßlicher Verwesungsgeruch ging von ihr aus.

Er hatte keine Lust mehr auf sie. Es war schön, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, aber nun wird es Zeit zu scheiden.

Er kleidet sich an, sucht dann seine Habseligkeiten in dem Tumult des Zimmers von den ihren zu trennen, unter dem umgestürzten Mobiliar, den verschmutzen Decken und Tüchern, mit denen er sich abgewischt hatte. Und sie. Er steckt alles in eine abgenutzte Sporttasche.

Die Sonne war nun untergegangen. Der tote leere Körper Natalies lag entblößt auf dem Boden in der Mitte des Raumes, die Gliedmaßen zu einer grotesken, obszönen Stellung verrenkt. Er zog den Schlüssel aus dem Schloss der Tür und verließ sie. In der Wohnung war es nun still.
Fliegen surrten.


© Rainer M. Scholz



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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (10.02.22, 19:49)
Eine fatale Allianz von Empfindungslosigkeit und Überdruss.
LG
Ekki

 RainerMScholz meinte dazu am 11.02.22 um 14:54:
Auf den Punkt gebracht, in Verbindung mit Femizidität und Egozentrismus.
Gruß + Dank,
R.
Adrian (47)
(12.02.22, 00:56)
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 RainerMScholz antwortete darauf am 15.02.22 um 15:13:
Ja, oder: nicht in jedermanns Hirn läuft alles geradeaus. Aber die Opferauswahl spricht für einen Protagonisten wie bei Ekki beschrieben.
Gruß + Dank,
R.
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