Wendezeiten

Geschichte zum Thema Gut und Böse

von  Lala

Wendezeiten


Es kam die Wende und Oswalds Geschäfte liefen prächtig. Prächtiger als prächtig. Grandios. Heerscharen dümmster Bauern konnten es nicht abwarten, Geld loszuwerden. Egal, unter welches Fenster er sich auch stellte; es regnete Geld. Und dieses Mal war es sogar nahezu legal. Statt Trickbetrügereien und ein bisschen Hehlerei machte der große Oswald nun in Autos.
Als die ersten Knetgummi Karren der Ossis durchs Brandenburger Tor getackert kamen, war Oswald am nächsten Tag schon auf Einkaufstour. Oswald hatte alle Kohle zusammengerafft, Hänger gemietet, Mistkarren aufgemotzt, dass heißt lackiert und startete nach nur drei Wochen Vorbereitung seinen Treck gen Osten. Claims abstecken, nannte er das.
Er schaffte es bis Berlin Marzahn. Die Leute waren so dämlich, dass sie die Wagen sogar noch vom Hänger runterkauften und Oswald genehmigte sich ein „g“ mehr als üblich. Wenn Constantin ihn anrief, pflegte Oswald sich nur noch mit: Master of the Universe  zu melden.
In dieser Zeit rutschte Constantin in der Schule etwas ab, packte aber letztlich doch noch den von Muttern erhofften Realschulabschluss. Nicht zuletzt wegen der Arbeitsdisziplin, die seine Lehrerin Og Ma ihm geduldig eingeimpft hatte. Aber, 1992, mit siebzehn, drei Jahre, nachdem er bei Og Ma in die Lehre gegangen war, verabschiedete er sich von seiner Mutter und ging zu Oswald nach Berlin. Er werde eine Lehre als Autoverkäufer bei ihm machen, log er sie an und sie erwiderte nur: Ach, scheiß ich glaubs. Papa? Papa war immer noch Zimmermann und lebte das Nomadenleben dieser Gesellen. Er war eigentlich schon zu alt, um noch auf den Gerüsten rumzuklettern.

Oswald selber holte ihn vom sagenumwobenen Bahnhof Zoo ab. Es stank wirklich nach Pisse und der Bahnhof war eine Ranzbude wie Oswald zu sagen pflegte. Es ging aber nicht ins Geschäft wie Tino vermutet hatte – da kannste nur den Ossis das Geld aus der Tasche ziehen und depressiv werden -, sondern ins Marcello Inn einer berüchtigten Kneipe zweier stadtbekannter boxender Brüder. Es stellte sich heraus, dass Oswald seine Regel 8 – keine Glückspiele! – gestrichen hatte. Im Hinterraum der kleinen Eckkneipe wurde heftigst gezockt. Die Kneipe befand sich am Savignyplatz – ein Platz wo Studentencafé, Touristenkneipe, Künstlerbar und ein Puff namens Sophie nebeneinanderstanden. Constantin fühlte sich nicht glücklich, auch wenn Oswald sich hervorragend amüsierte. Man, Tino sei doch nicht so verkrampft. Ist ja furchtbar. Geh rüber zu Sophie, Knall die dralle Schwatte mit den dicken Tüten aber um Himmels willen entspann dich. Ent-spann dich! Aber pass beim Knallen auf, dass der Dicken nicht ihr Fiffi vom Kopf fällt. Und dann jubelten sie über Oswalds dumme Sprüche. Tino war genervt. Es war nicht der Ton, es war auch nicht der Umgang – Chinesenkalle und Konsorten kannte er zu genüge aus Hamburg und vom Brillantenbehang auch hochkarätiger. Die Runde hier um Oswald schien ihm vergleichsweise bieder. Da war die Hansestadt der Hauptstadt über. Da hatte Oswald auch nicht so einen auf dicke Hose machen können. Aber für die nächsten Jahre musste sich Tino an dieses Flair gewöhnen und zog mit der Truppe um Oswald und einem der Brüder – dem Ruhigeren und Älteren von beiden – um die Häuser und quer durch Deutschland von Boxevent zu Boxevent, bis es 1995 in Manchester alles endete.
Zwischen den Kämpfen schaute der Master of the Universe zwei-, maximal dreimal die Woche nach seinem Autogeschäft. Javier hielt dort die Stellung, und als Tino und Javier sich wieder sahen, waren sie beide erfreut. Tino hatte in diesem Augenblick das Gefühl gehabt in Javier sei ihm ein Freund erwachsen. Ein seltsames Gefühl. Zu der Zeit, wo Timo bei Oswald in Berlin anheuerte, gingen die Geschäfte noch ganz gut. Der große Geldregen war zwar vorbei, aber es war noch richtig gut, wie Oswald behauptete. Aber mit dem Autogeschäft selbst sollte Tino nichts zu tun haben.
Tino war Oswalds Leibwächter. Der Bodyguard. Und er musste die Negerjobs machen: Hol dies. Mach das. Tino hielt die von Tag zu Tag unerträglicher werdende Art seines Onkels aus, weil die boxenden Brüder – Mario und Marco - wenn sie im Ring standen hervorragende Kämpfer mit großem Herzen waren. Tino studierte ihre Kämpfe. Zum Beispiel die Verbissenheit und die Deckungsarbeit von Mario dem jüngeren von beiden. Er war ein unglaublicher Fighter. Aber unstet im Training. Keine Disziplin. Aber wenn er marschierte, dann war er durch nichts zu bremsen. Er hielt seine Doppeldeckung von der ersten bis zur letzten Runde wie ein Panzer vor sein Gesicht. Die Gegner arbeiteten sich an ihm ab wie an einer Wand. Nur dass die Wand auch noch zurückschlug. Schnelle, die Luft nehmende Haken auf den Körper. Mario war ein Panzer im Ring. Aber nur wenn er selber fit genug war.

Abseits des Rings hielt man sich besser von ihm fern und wie bei einem Silberrückenmännchen vermied jeder den Blickkontakt mit ihm. Abseits des Ringes war er völlig durchgeknallt. Bei Marco schätzte Tino das Auge, das Timing und den stets wachen Verstand. Marco war während eines Kampfes immer voll ansprechbar. Er diskutierte mit seinem Trainer auch noch in der achten Runde. Tino verstand nicht wie jemand, der so unter Adrenalin stand, imstande war, seine Umwelt noch so klar wahrzunehmen. Das sollte Marco auch den WM-Gürtel im Cruisergewicht bringen. Das und seine fürchterliche rechte Kelle. Konsequentes Training war aber auch für ihn ein Fremdwort im Gegensatz zu einem feuchtfröhlichen Abend, gegen den er selten etwas einzuwenden hatte und dieser Laxheit verdankte er es, dass er seinen ersten WM Kampf 1992 sang und klanglos verloren hatte.

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Kommentare zu diesem Text


 Sylvia (20.04.10)
Interessanter Wendepunkt, gut beschrieben, gute Wortwahl und wie aus dem Leben gegriffen.
Es bleibt spannend

LG Sylvia

 Lala meinte dazu am 20.04.10:
Hallo Sylvia,

ja jetzt gehts von Hamburg nach Berlin. Bin gespannt ob's weiterhin gefällt.
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