Og Ma

Geschichte zum Thema Gut und Böse

von  Lala

Og Ma


Og Ma ist die Tochter des südchinesischen Heizers Pai Lee. Pai Lee landete in Hanbao – wie die Chinesen Hamburg nennen - Anfang der zwanziger Jahre und kam schnell als Koch im Chinatown von St. Pauli unter und heiratete auch dort. Das war schon ungewöhnlich, denn viele wollten wieder in die Heimat zurück und vermieden derartige Bindungen. Noch ungewöhnlicher aber war, dass er eine Thai geheiratet hatte. In der Zeit des Naziterrors hatten dann auch Pai und seine Frau vor, es den vielen anderen ihrer Landsleute nachzumachen und in die Heimat zurückzukehren. Aber irgendetwas hatte sie dann doch immer aufgehalten. Und 1940 kam Og Ma zur Welt.
Bei der Geburt starb ihre Mutter. Nun war an eine Überfahrt nicht zu denken.. Immerhin hatte Pai Lee Kontakt zu der deutschen Hebamme Gerda Arens – der Großmutter von Oswald und Anita – die ihm das eine oder andere Mal aus dem schlimmsten Schlamassel herausgeholfen hatte, wenn seine Landsleute oder der Bruder seiner Frau auch nicht mehr helfen konnten. Da Pai Lee hart und lange arbeitete, überließ er Og Ma häufig der deutschen Hebamme, die einen Narren an der Kleinen gefressen hatte. Bevor er die Überfahrt nach China wagen wollte, sollte Og Ma erst noch kräftiger werden. Aber 1941 - mit dem Kriegseintritt Chinas gegen Japan und Deutschland – war die Flucht unmöglich und Hanbao eine Falle geworden.

Es war eigentlich schon ein Wunder, dass sie die Bombenangriffe überlebt hatten, aber der 13.5.1944 sollte für Og Ma und ihren Vater ein noch schwärzerer Tag werden. Die sogenannte Chinesen Aktion fand statt. Mehrere Gestapo Männer mit Maschinenpistolen bewaffnet, trieben im Morgengrauen auf der großen Freiheit, auf ganz St. Pauli, alle chinesisch, asiatisch aussehenden Menschen auf einen Platz. 165 waren es am Ende. Alarmiert durch die Aufregung seiner Freunde und Kollegen hatte Pai es noch geschafft Og Ma zu Frau Arens zu bringen, deren Familie auch auf St. Pauli lebte. Sie verstand gleich, worum es ging, und nahm sich des Mündels an.

Pai Lee aber fand sich kurz darauf im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel und dann im Arbeitslager Wilhelmsburg wieder. Von da aus sollte er nicht mehr zurückkehren. Gerda nahm sich der Kleinen mit Hingabe an auch gegen die massiven Widerstände in ihrer Familie. Es gab so gut wie nichts zu essen und ein vier-, fünfjähriges, fremdes Balg durchzufüttern, hielten viele für bekloppt, wenn nicht lebensbedrohlich. Es gab Momente, da hatte die Ziehmutter Angst, dass die Familie die Kleine aussetzen, oder ihr schlimmeres antun würde.
So war Gerda zum einen froh aber auch traurig, als im Februar 1946 ein asiatisch aussehender Mann an ihre Tür klopfte. Er hatte ein Bild und ein Brief von Pai Lee dabei. In dem Brief bedankte sich Pai Lee für Ihre Hilfe und bat aber darum, Og Ma an den Überbringer des Briefes auszuhändigen. Fast ein Jahrzehnt sollte vergehen, bis sie die beiden wieder treffen sollte. Der Mann hieß Nathakor und hatte das Jahr in der Nazi-Gefangenschaft überlebt und sich nach anfänglichen Schwierigkeiten mit den Briten auf die Suche nach Og Ma gemacht.
Nathakor hatte es Ende der Zwanziger nach Hamburg geschafft und folgte so seiner Schwester, der Frau von Pai Lee. So lernten er und Pai Lee sich kennen und schätzen. Pai Lee vertraute Nathakor und „vermachte“ ihm Og Ma.
Nachdem es Nathakor gelungen war Og Ma zu finden, ging er zurück nach Thailand. Dort aber fand er sich auch nicht mehr zurecht. Das Kind wurde als Wechselbalg geschnitten. Und als er von dem Wirtschaftsboom in Deutschland hörte, machte er sich nach knapp zehn Jahren wieder mit Og Ma nach Hamburg auf. Außer ausdauernd zu arbeiten, hatte Nathakor noch eine Fähigkeit: Er war ein ausgezeichneter Muay Boran Kämpfer. Seine Erziehung an Og Ma lief größtenteils darauf hinaus, ihr diese Kampfkunst einzuimpfen. Nathakor wollte, dass die kleine Tochter seines Freundes lernte, sich wie ein Krieger zu wehren. Und Og Ma lernte
gut und lernte schnell.

In Hamburg sollte neben der kleinen chinesischen und noch viel kleineren thailändischen Gemeinde wieder mal Familie Arens helfen.  Kurzum: Gerda ließ sich gar nicht davon abbringen zu helfen. Nathakor hatte eigentlich nur vorgehabt Og Ma die Frau zu zeigen, die ihr mal das Leben gerettet hatte. Die Spätfolge dieser wiederholten Begegnung der Familien war, dass Enkel Oswald, nachdem er Oma mit ihrer – wie es hieß: „seltsamen“ - Freundin einmal angetroffen hatte, sich magisch zu ihr und ihrem Vater hingezogen fühlte. Das roch und schmeckte Oswald anders, als roter Klinkerputz und Kohlroulade. Das war die weite Welt, das Abenteuer. Auch Og Ma mochte Oswald, denn sie begriff, dass dieses Schlitzohr, dieser Tunichtgut vielleicht ihren Vater bestohlen, aber niemals zu Tode geprügelt hätte. Ihn Dinge zu lehren, die ihm helfen und den Tätern von einst das Leben schwerer machen würde, das bereitete ihr stets etwas Genugtuung. Auch vor dem Hintergrund, dass weder Sie noch irgendein anderer der verfolgten Asiaten – Chinesen zumeist - auch nur einen Pfennig Entschädigung erhalten hatten. Sie galten und gelten als nicht verfolgt.
Nun stand ein neuer Oswald vor ihr. Ein Mischling. Anders als der grobschlächtige Oswald. Drahtiger, femininer, aber nicht so verschlagen. Nein, dieser junge Kerl hatte noch etwas von der Essenz, die bei Oswald restlos aufgebraucht war: Ehrlichkeit. Oswalds Worten war einfach nicht zu trauen. Sie wusste das. Der kleine Constantin aber nicht. Aber seine erste Lektion: Respekt vor dem Lehrer, die hatte er jetzt gelernt.

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Kommentare zu diesem Text


 Sylvia (20.04.10)
Ich bin verblüfft und erfreut, dass du auf die fast verlorengehende Chinatown-Geschichte eingehst.

Meine Oma wohnte in der Talstraße zu diesem Zeitpunkt. Eine kleine Geschichte am Rande? Wenn du magst.

Meine Oma erzählte uns mal, bei einem unserer vielen Planten un Blomen Aufenthalte, dass vor den Übergriffen diese Aktion schon gemunkelt wurde. Viele glaubten nicht daran, weil man sich keinen Grund dafür erklären konnte. Seemannsgarn halt. Naiv manchmal, aber war wohl so.
Die, die daran glaubten wurden gemeinschaftlich versteckt und versorgt, unter anderem sogar in Planten un Blomen. Dafür gibt es keine Bestätigung, lach dich an…ich war zu diesem Zeitpunkt…äh…anderweitig unterwegs….gaaaanz unten noch nicht mal wegs…..um ehrlich zu sein.

lieben Gruß
Sylvia

 Lala meinte dazu am 20.04.10:
Hallo Sylvia,

von dieser Aktion hatte ich auch nie etwas gewusst. Bin bei Recherchen mehr oder weniger drübner gestolpert und dachte mir, es würde sich lohnen davon zu erzählen. Wenn sich das dann noch so halberwegs mit den Erzählungen Deiner Großmuter zusammenpasst, dann ist das eine feine Sache. Ja, ich vermutete schon, dass Du zu dieser Zeit noch anderweitig unterwegs warst.

Gruß

Lala

 styraxx (28.04.10)
Ja, ja, mit der Og Ma hast Du eine interessante Figur ins Leben gerufen - da steckt Recherchearbeit dahinter und dass eine "Chinesen Aktion" damals in Hamburg statt gefunden hat, wusste ich auch nicht.
Gut finde ich in diesem Absatz, wie die verschiedenen Figuren aufgezeigt werden und wie sie in Verbindung zueinander stehen - unaufhaltsam nimmt die Geschichte ihren Lauf. LG
(Kommentar korrigiert am 28.04.2010)

 Lala antwortete darauf am 29.04.10:
Hallo styraxx,

schön dass Du Zeit fandest, auch diesen Teil zu lesen. Das war der Teil, der mich beim Schreiben am meisten überrascht hatte, weil ich nichts geplant hatte, dann stolperte ich über Chinesische Migranten in den zwanziger Jahren und dann kam ich wie von selbst von einem Teil zum Nächsten. Ich hoffe die Geschichte rollt weiterhin und ich danke Dir für den Komm und die Empfehlung(en).

Gruß

Lala
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