Regel Nummer Zwei

Geschichte zum Thema Gut und Böse

von  Lala

Regel Nummer Zwei


Nach einer kurzen Sekunde merkwürdiger Stille in der verrauchten Halle, rastete die Fangemeinde Marcellos völlig aus. Alles lag sich in den Armen. Selbst die einheimischen Fans applaudierten fair und blieben bis zur Gürtelübergabe in der Halle. Nur Javier verließ wie fremdgesteuert den Ort des Geschehens. Constantin hatte sich bewusst den Umarmungsversuchen Oswalds entzogen und sich am anderen Ende des jubelnden Pulks aufgehalten.
Als Oswald den stillen Abgang Javiers bemerkte, hatte er ein vernichtenderes, endgültigeres Gefühl als beim Niederschlag in der fünften Runde. Er sah gerade noch, wie Javier in einem Aufgang verschwand. Erstaunlich geschmeidig löste sich Oswald aus der Gruppe und hastete seinem Geschäftspartner hinterher. Constantin nahm sofort wahr, wie sich sein Onkel entfernte. Er war in den letzten Jahren auf diesen Körper und seine Bewegungen konditioniert worden. Constantin hatte aber in diesem Falle weniger Sorge um Oswald als um den stillen Kubaner. Also versuchte er Oswald hinterherzulaufen, wurde aber im selben Moment heftigst von dem völlig enthemmten Ralf Dubinski umarmt und gedrückt. Er wollte den Kerl am liebsten einfach wegstoßen, aber Ralles Prothese, seine Behinderung machte Tino befangen. Als er Ralf halbwegs gesittet wegschoben bekommen hatte, konnte er gerade noch die Rockschöße Oswalds verschwinden sehen. Als er den Innenraum verließ, sah er weder link noch rechts im Umlauf Anzeichen Oswalds oder Javiers. Von innen hörte er wie der neue Weltmeister verkündet wurde und den Applaus. Er hastete verzweifelt die Gänge entlang und seine Befürchtung wurde größer, dass eine Katastrophe gerade passierte.

Als er am Zugang C zum Innenraum und an einer weiteren Toilettentür vorbeilief, hörte er trotz des allgemeinen Lärms das Aufstöhnen eines Mannes. Javier. Er stürmte hinein. Onkel Oswald schlug zum wiederholten Male den blutüberströmten Kopf gegen die Wand und brüllte immer nur Warum?
Lass ihn los!, schrie Constantin unvermittelt. Oswald schreckte hoch. Den Kopf Javiers nicht loslassend.
Weißt Du, was er gemacht hat? Weißt Du, was er geMACHT HAT?, brüllte Oswald ihn
an und wollte den Kopf wieder gegen die Wand kloppen.
Wenn du seinen Kopf noch mal an die Wand schlägst, bringe ich dich um.
Oswald ließ ab, aber nicht los. Dieser Mistkerl, Tino, dieser kubanische Hurensohn hat nichts gemacht. Gar nichts. Er hat keinen einzigen Pfennig auf Marco gesetzt. Er hat überhaupt nicht gewettet. Noch nicht mal auf diese englische Schwuchtel. Ich habe dir gesagt, dass du niemals ein Wort brechen darfst. Niemals. Das war eine der ersten Regeln, Tino. Erinnere dich.

Weißt du, Oswald, wohin du dir deine Regeln stecken kannst?, Constantin holte ein kleines vergilbtes Oktavheft aus der Innentasche seines Sakkos. Ich habe sie immer aufgeschrieben, deine Scheißregeln. Alle. Für’n Arsch, sag ich dir. Alles für’n Arsch. Du hast alle Regeln gebrochen und du hast alles kaputtgemacht. Friss doch, deine scheiß Regeln, du Wichser, und dann rotzte Tino auf das Heft und schleuderte es achtlos in Richtung seines Onkels. Es schlidderte seinem Onkel bis fast vor seine blutigen Schuhe. Onkel Oswalds Regeln für Constantin stand in etwas ungelenker Kinderschritt vorne drauf. Oswald schien statt berührt, eher amüsiert, aber als er wieder aufblickte, bekam Oswald Angst. Tino hatte seine Jacke abgelegt und war dabei sein Hemd aufzuknüpfen. Oswald sah, das sein Neffe sich darauf vorbereitete ihn mit seinem Körper zu töten und er Oswald sah, dass dieser Körper dazu in der Lage war, dass er darauf trainiert war und er keine Chance haben würde. Der Gepard würde ihn killen.

Tino, stammelte er, sei vernünftig. Sie buchten dich hier ein. Javier ist bewusstlos. Nur bewusstlos. Siehst du? Ich lass ihn los. Oswald löste seinen Griff und Javier sackte wie ein nasser Sack zusammen und dann ging hinter Constantin die Tür auf und ein Rudel angetrunkener und volltrunkener Engländer schwappte mit einem Schlag in die Toilette. Constantin zeigte noch kurz auf Oswald, es sollte ein Versprechen symbolisieren, dann schnappte er sich wieder Jacke und Hemd und wand sich elegant - im Zweifel auch bestimmt - durch die völlig bescheuert aus der Wäsche glotzenden Engländer nach draußen. Wie sein Onkel die Situation lösen wollte, war ihm vollkommen egal. Er war raus.

ENDE

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Sylvia (20.04.10)
So, das letzte Kapitel...ich hatte zwei Enden zur Auswahl und finde deinen Schluß sehr passend zur ganzen Geschichte. Wobei das Thema "Gut und Böse" nicht wirklich treffend ist.
Ansich eine halbe Lebensgeschichte mit Kanten und Wendungen, Irrungen und Wachsungen. Und nicht nur von einer Person sondern zusammengeflochtene Schicksale, Erlebnisse, Erfahrungen mehrerer Persönlichkeiten.

Sehr gerne gelesen, nicht langweilig

Lieben Gruß
Sylvia
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram