Der Gepard und Dida Diafat

Geschichte zum Thema Gut und Böse

von  Lala

Dida Diafat und Der Gepard


Im Gegensatz zu seinem Bruder war Marco kein Silberrücken. Zwar hatte Tino ganz wenige Gelegenheiten gehabt mit Marco ein, zwei Sätze zu wechseln, weil sein Onkel meist dazwischenstand oder drängte, wenn er mal die Gelegenheit hatte. Aber das wenige hatte ihm gereicht. Zum einen, weil Marco ihm nach dem er schon zwei Monaten ohne Training gewesen war, einen Hinweis gab, wo er seinen Sport trainieren könnte und zum anderen, weil Marco ihn gefragt hatte, ob er, Tino, jetzt ein deutscher Dida werden wolle.
Ein Deutscher Dida? Constantin gelang es die Peinlichkeit zu kaschieren, Dida Diafat nicht zu kennen. Kurz danach hätte er die Frage beantworten können und sich geschmeichelt gefühlt. Constantins Sport, Muay Boran, ist der Vorläufer des Muay Thai, des Kickboxens.

Die Kampftechniken waren vor über zweitausend Jahren entwickelt worden. Sie sollen einen Krieger in die Lage versetzen auch nach dem Verlust seiner Waffen mit seinem Körper als Waffe weiterzukämpfen. Ziel ist es mit jedem Schlag ob mit Knie, Fuß, Ellenbogen, Schienbein, Hände oder Kopf ausgeführt, den größtmöglichen Schaden beim Gegner anzurichten. Die Schlagtechniken wurden mit den Angriffstechniken bestimmter Tiere verglichen und bekamen so ihre Namen. Während im Muay Thai bestimmte Schläge wegen ihrer Gefährlichkeit verboten wurden, ist im Muay Boran alles erlaubt und alle Waffen des Körpers auf jegliches Körperteil einsetzbar. Geschwindigkeit und Präzision sind dabei unabdingbar. Und ein gutes Auge für den Gegner, um an seiner Muskelspannung die nächsten Züge vorauszusehen.
Diese Fähigkeit, so Og Ma, sei wichtiger als die Wirkungskraft der eigenen Technik. Sie kenne Tischtennisspieler, die anhand der Rotation des Schriftzuges auf dem Ball, den Schnitt erkennen können und daher nur noch an sich selbst scheitern könnten. Jeder passable Kämpfer kann dich mit einem Schlag töten. Aber nur ein guter Kämpfer weiß auch den Zeitpunkt, bevor es geschieht. Ein guter Kämpfer wird keine Kraft verlieren, keinen Schlag ansetzen und damit seine Deckung verlieren, wenn er nicht sicher ist, sein Ziel so zu treffen, wie er es geplant hat.
Oswald, der es unter den Händen von Og Ma noch nicht mal zu einem passablen Kämpfer gebracht hatte, aber ein gutes Einfühlungsvermögen besaß, winkte nur ab, wenn Tino ihn in der Anfangszeit seiner Ausbildung nervte, warum ihn Og Ma nie angreifen lasse und er immer nur ihre Bewegungen studieren müsse. Dann pflegte Oswald zu sagen: Es ist wie in jedem anderen Sport: Die Lehrer lehren dich die Defensive, weil du jetzt nur offensiv denkst. Weil Du keine Fantasie hast, weil Du nicht oft genug ins Messer gelaufen bist. Also vertrau ihr, Tino, denn noch kann sie jederzeit über den Zeitpunkt deines Todes verfügen. Und solange sie das kann, solltest Du sie studieren. Diese Geduld fiel Tino schwer auch als Oswald ihm sagte, dass er selbst vielleicht ein oder zwei Attacken von Og Ma würde abwehren können, aber keine Chance hätte, sie erfolgreich anzugreifen, blieb Constantin überzeugt davon, schneller zu sein, als seine Lehrerin.
Og Ma erkannte auch die Fähigkeit ihres Schülers.: Schnelligkeit. Schnelligkeit gepaart mit Respektlosigkeit. Sie musste aber an dem Jungen verzweifeln oder er an ihr. Denn sie hörte nicht auf, ihn in seinem letzten Jahr seiner Unterrichtung damit zu nerven, dass es ihm an Präzision fehle und er sich am Ende doch täuschen lasse. Du bist der schnellste aller Geparden, aber auch der, der zielsicher gegen den einzigen Baum in der Steppe laufen wird und du wirst den Baum nicht brechen können. Im Gegenteil, denn der Baum ist geduldig und ruhig und wird dich schon lange vorher bemerken.

Als Constantin wegging, wussten beide, dass er neue Lehrer brauchte oder einen Schritt näher zur Spitze des Messers machen musste, um wieder Respekt zu bekommen. Nicht zuletzt auch deswegen, weil er im Laufe des letzten Jahres Og Ma hatte schlagen können. Es war ihm sogar gelungen, sie ein oder zweimal wirklich zu überraschen. Kurzum: Er war schnell, aber Og Ma nicht überzeugt.

Vielleicht hätte auch Dida nicht den Ansprüchen von Og Ma genügt, aber Dida Diafat
hatte gezeigt, dass er geduldig war. Diafat, Kind algerischer Einwanderer in Frankreich, ging mit achtzehn Jahren nach Thailand, stellte sich wochenlang vor den Eingang einer berühmten Kampfsportschule und bat um Aufnahme. Sein Talent, seine Schattenbox Einlagen, seine Demut und Geduld knackten schließlich die Schlösser der Eingangspforte. Und nach Einlass und weiteren drei Jahren später, 1992, wurde er das erste Mal Weltmeister. Als erster Ausländer überhaupt. Tino war fasziniert von diesem Werdegang. Er rechnete sich sogar größere Chancen aus, aufgenommen zu werden, weil Og Ma ihn Techniken gelehrt hatte, die zwar im Muay Thai verboten waren, aber in seinen Augen komplizierter zu erlernen waren. Die Tore jeder Kampfschule würden ihm doch von vornherein offen stehen?

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Kommentare zu diesem Text


 Sylvia (20.04.10)
Lehrreich....

inzwischen habe ich mir von den Protagonisten ein Bild gemacht, ohne, dass großartig Personen- und Charakterbeschreibung zu lesen waren...

 Lala meinte dazu am 20.04.10:
Hallo Sylvia,

das finde ich ein interessantes Feedback. Ich fühle mcih bei Landschafts- und Personenbeschreibungen immer sehr unsicher und lasse sie daher meist weg. Es scheint zu funktionieren.

Gruß

Lala

 Sylvia antwortete darauf am 20.04.10:
Ja, es funktioniert...Beschreibungen hätten evtl. zu Verwirrungen geführt, die nicht gewollt gewesen wären.
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