Leutnant, Narr

Satire zum Thema Krieg/Krieger

von  KayGanahl

„Immer schön beschmutzen!“ fluchte der Mann in Uniform. Er schäumte mittlerweile vor Wut. Über uns hellte es sich gerade auf. In den Wäldern, die seit Tagen zu Sektoren militärischer Einsätze erklärt worden waren, herrschte allenthalben eher die Wildschwein-Population als das Militär, das auf Übung war.  So kam es mir jedenfalls vor. Das Gebiet war nach meiner Auffassung für militärische Übungseinsätze gänzlich ungeeignet, doch die Division hatte sich für dieses Gebiet entschieden. Punktum!
„Wen denn?“ fragte ich, in Haltung links neben dem Leutnant stehend, nach. Ich lugte unauffällig zu ihm herüber, seine Gefühlswelt schien aus den Fugen geraten zu sein, doch das ging mich herzlich wenig an.
„Die da!“ donnerte er. Seine Donnerstimme hatte ihn während der Übungstage überall in der Kompanie und über sie hinaus bekannt gemacht, so dass man ihn hinter seinem Rücken „Donnergott“ nannte.
„Ja, ich sehe sie auch. Wieso beschmutzen, Herr Leutnant?“
„Weil …,“ wollte er schon begründen, besann sich aber, und dann fuhr er mich an: „Das muss ich nicht begründen!!!“
Und er wies mit seinem rechten Zeigefinger, der dicht mit schwarzen Haarbüscheln bewachsen war, auf die Gruppe mit einfachen Soldaten auf dem Hügel mit dem fetten grünen Gras und den zwei Kiefern, die sich unterhielten und die ihre gute Stimmung offen zeigten.  Wir vernahmen deren Gelächter. Einer der Gefreiten riskierte einen Blick auf uns, die Vorgesetzen, die selbstverständlich als Autoritäten anzusehen waren. Besonders über diesen militärischen Aspekt dachte ich an den vergangenen Tagen hin und wieder etwas nach. Ich gehörte in unserer Kompanie, so bildete ich mir ein, im Vergleich zu den anderen Kameraden zu den „Denkern“. Das konnte durchaus der Fall sein.
„Wir machen sie fertig, dafür garantiere ich!“ sagte er, der Leutnant der Reserve war, und er kicherte gehässig in sich hinein.
Und: „Die würde ich am liebsten zum erkalten bringen, damit ich mich besser fühle!“ entfuhr es ihm auch noch, so dass es mich doch ein wenig fröstelte, obwohl die Tagestemperaturen heute im Mittel um die 20 Grad Celsius lagen. Die Sonne stach mir in die Augen, ich kniff sie zusammen und lächelte, so gut es ging. Er war mein direkter Vorgesetzter in meiner Einheit.
„Das muss man sich aber ganz genau überlegen, es ist vieles ganz leicht daher gesagt, Herr Leutnant!“
Er dann: „Ich werde vor Ort mit allem fertig. Ich lasse mich von denen nicht zum Narren machen, scheiß Gefreiten-Pack!“
Ab und zu schienen ihn ein paar von den Mannschaftsdienstgraden etwas auf die Schippe nehmen zu wollen, aber auf eine Art, die für ihn ein direktes disziplinäres Eingreifen schwierig machte, ohne die Feldjäger rufen zu müssen, die natürlich auch und gerade für ihn Unangenehmes aus dem Dienstalltag ermitteln würden, wenn sie denn erst einmal in der Kompanie aufgetaucht wären. Ich konnte diesen Leutnant kaum ertragen, doch ich hatte ihn als unmittelbar vorgesetzten Offizier. Er war mein Zugführer, und so weit ging nun mal eben die Beziehung zu ihm. Ich hatte mit ihm zu reden. Und, was am wichtigsten war, ich hatte seinen Befehlen zu gehorchen.
Mehrere Kampfpanzer fuhren in ca. einem Kilometer Entfernung an unserem Unterstand, den wir verlassen hatten, vorbei. Gleich schossen unsere Augen zu ihnen hin, ich warf auf sie einen kritischen Blick. Der Leutnant schäumte weiter, als er bemerkt hatte, dass ich ihn vielleicht nicht ganz so ernst nahm, wie er es in seinem Offiziers-Selbstbewusstsein erwartete (ersehnte?).  Es war während der Tage der Übung das Gerücht umgegangen (geht es noch um?), dass er sich im Zivilleben vom Schuhverkäufer bis zum Filialleiter einer Kette von Schuhläden hochgearbeitet hatte, insofern durchaus auf der Karriereleiter stand. Mit seinen geschätzten 35 Lenzen erwartete er grundsätzlich von Seiten jedermann, der vom Dienstgrad her niedriger stand, einen großen Respekt. Wie ich zu beobachten öfter die Gelegenheit gehabt hatte, ließ dieser Respekt offensichtlich ein bisschen zu wünschen übrig. Auch jetzt zeichnete sich – die Mannschaftsdienstgrade standen noch auf dem Hügel - eine gewisse Respektlosigkeit ab, obwohl er  einen konkreten dienstlichen Auftrag hatte. Seine dienstlichen Befugnisse waren die gleichen wie bei den diensthabenden Berufsoffizieren und den diensthabenden Offizieren auf Zeit.
„Das sind von Natur aus Arschgeigen!“ donnerte er. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten.
„Wie meinen Sie das, Herr Leutnant?“ fragte ich aber immerhin noch mit einiger Gelassenheit nach, - er fixierte mich zur Antwort mit einem bösen Seitenblick. Dann stolzierte er in Richtung Unterstand. Ich sah ihm nach. Alsdann wandte ich mich meinen Mannschaftsdienstgraden auf dem Hügel zu, von denen der Gefreite Alfons Deck auf mich zukam, um eine Meldung zu machen:
„Keine besonderen Vorkommnisse, Herr Oberfeldwebel!“
„Gut!“
„Haben Sie Stress mit dem Herrn Leutnant?“
„Das geht Sie nichts an, Gefreiter – wegtreten!“
„Jawohl, Herr Oberfeldwebel!“ Mit ausdrucksloser Miene machte er kehrt, bewegte er sich zurück zu seinen Kameraden, die in ein Gespräch vertieft waren, dessen Thema mir nicht bekannt war. Gern hätte ich es aus purer Neugier erfahren, hielt es aber für erforderlich, die Kameradschaft mit den Mannschaftsdienstgraden nicht zu weit zu treiben. Distanz war wirklich erforderlich.  Meine Gedanken waren jetzt, da ich so ganz allein auf dem Wiesengrund stand, beim Leutnant, dem Zugführer, dessen Stellung in der Kompanie nicht die Beste war. Der Leutnant war bekannt dafür, Opfer von Gerüchten zu sein. Er galt allgemein als närrischer Schwächling, der nur donnern konnte, mit dem kaum etwas anzufangen war. Um seinen schlechten Ruf war er nicht zu beneiden. Mitleid hatte ich mit ihm. Aber das sei noch gesagt: was das Angst einjagen anbetraf, war er geradezu eine kleine Koryphäe, der nachzueifern einem jeden etwas boshafteren Zeitgenossen ein großes Bedürfnis sein musste. Sein mir gegenüber offen gezeigter Hass gegen die Mannschaftsdienstgrade gab mir allerdings schwer zu denken. War er in der Kompanie als Führer noch tragbar? Es war unklug von ihm gewesen, sich in der Wut so zu offenbaren – sich die Blöße zu geben.
Mit seinem schnellen Blick zum Unterstand sah ich ihn mit dem Fernstecher in der Hand. Er brüllte irgendetwas in die grüne Welt hinein, die sich vor ihm eröffnete. Das nächste Waldstück war gut fünf Kilometer von unserem Zug-Unterstand entfernt. Bei ihm stand ein Unteroffizier, welcher mir ganz flüchtig einen leicht schelmischen Blick zuwarf. Ich drehte mich ab. Eine Gruppe aus meinem Zug näherte sich dem Unterstand unter Führung des Unteroffiziers Schlief, der seine Befehle stets näselte. Er meldete dem Leutnant schon aus etwa 30 Metern Entfernung sein Eintreffen wie befohlen. Und der Leutnant machte ein derart grimmiges Gesicht, dass ich Sorge hatte, er würde Schlief gleich erschießen.
Meine Befürchtung wurde zur Realität des Handelns, denn der Leutnant trat auf seinen Untergebenen zu, zog seine Pistole und richtete sie auf ihn. Der Unteroffizier erstarrte. Die Gruppe hinter ihm, die sich gerührt hatte, wurde mit dieser ernsten Situation konfrontiert, wusste aber nichts zu tun.
„Sie wollen mich narren!“ donnerte er dem Unteroffizier ins Gesicht. Dieser verstand die Welt nicht mehr, jedenfalls nicht seinen Leutnant, seinen Zugführer. Er war sprachlos.
„Nehmen Sie gefälligst Haltung an vor mir als Ihrem Offizier!“
„Ich habe Haltung eingenommen, Herr Leutnant!“ erwiderte der Unteroffizier Schlief wenig gelassen.
„Näseln Sie nicht so!“
„Jawohl!“
„Verstanden?“
„Jawohl!“

Eine Wolke zog unter dem Sonnenrund hinweg, als ich mich allmählich so unauffällig wie möglich zur Bereinigung der Situation in die unmittelbare Nähe der beiden geschlichen hatte. Aufgeregt war ich. Meine Pistole hatte ich in der rechten Hand, die rechte Hand hinter meinem Rücken verborgen. Die beiden schienen mich nicht zu bemerken. Die Mannschaftsdienstgrade der Gruppe verhielten sich passiv. Die Gruppe vom Hügel betrachtete die Situation am Unterstand höchst interessiert. Keiner von ihnen lachte noch. Dann löste sich ein Schuss. Der Unteroffizier fiel zu Boden. Ich stürzte auf den Leutnant zu, um ihm die Pistole zu entreißen, doch er schoss auch auf mich. In der Folge fiel auch ich zu Boden, glücklicherweise war ich nur am rechten Schulterblatt getroffen. Der Leutnant, Narr hatte glatt auf mich geschossen! Da lag ich nun. Einen Moment war ich bewusstlos.

Ende

Kay Ganahl
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