Wandern mit Eichenprozessionsspinnern

Betrachtung zum Thema Lebenszeiten

von  LotharAtzert

„Du hast aber auch wirklich an allem etwas auszusetzen“ begann er, so daß ich ihn wahrscheinlich recht fassungslos anblickte und auch nur belannglose Worte stammelte, die etwas beschwichtigen sollten, zumal er gleich nochmal nachlegte mit „so aggressiv …“.

Naja, voran ging die Zusammenfassung vom menschgemachten Zustand der Erde, wobei ich etwas heftig die Verteidigung übernahm, von wegen Undankbarkeit gegen die Mutter und so..

 

Die Einstufung in Aggression machte mich betroffen, denn das ist ein Mißverständnis. Es ist bloß die marsische Kraft dahinter, der den Gedanken oder das Thema, das inhaltliche, da austreibt und doch nicht gegen lebende Wesen, sondern gegen das, was sie bei sich verdrängen und bei anderen blockieren, Geistesgifte, wie Gier, Haß und Dummheit,sowie dessen Ursachenwirkung und das will ich eigentlich nur bewußt machen, bewußt, weil das menschenkollektiv Verdrängte sich immer wieder in Kriegen entläd, die irgendwann bloß aus Materialerschöpfung enden und sofort ideologisiert neu anschwellen. Doch sobald das Verdrängte erwachend eine Schwachstelle erwischt, wo es zurück ins Leben kehren kann, wächst auch der Drang zu den Waffen und alles Rüsten beginnt von neuem, die Industrie ist allzeit bereit das derzeit nedueste zu preisen. Immer dasselbe mit neuen Ensembles.

 

Aber zu so einer Antwort bin ich nie am Ort gekommen, bis heute nicht, sondern immer erst mit Verspätung, wie sagt man heute „vor Ort“. so daß die gemeinsamen Wanderungen schleichend verkrampfter wurden. Für mich war es der Rekapitulierung wert:

So kommt mein Habitat beim Gegenüber an. Das ist doch eigentlich praktisch – man weiß, woran man ist und erwartet keine Wunder mehr, was die Möglichkeit zu mehr Gelassenheit gibt. Zum Beispiel das Wunder des einander Annäherns im Geiste. Das Nähern des gegenseitigen Verstehens. Herr Nahe, Näher der Nähte. Und wo Nähe und Ferne sich wechselnd entwerden, auflösen.

 

Unsre vorerst letzte Wanderung gab es gestern, wo ich, um ihm, dem Löwen nicht gänzlich die Führung auf Wegen durch den Wald zu überlassen, Wege vorschlug - der Wald, das Unbewußte, wir hatten Christi Himmelfahrt. Schwere Bulldogg-Bollercontainer zogen an uns vorbei, wummernde Bässe mit grölendem Personal und ich sprach in sein Ohr: „wir können den Weg da links hochgehen“, da wird es gleich stiller, - der war ihm aber zu steil, also gingen wir hinterm Bollerwagen her, der Löwe und der Steinbock, der Charming Mannager einer Weltfirma und der enthusiastisch-mittellose Stimmer der Lyra.

 

Als wir dann am Festplatz und Bierzeltgelage incl. Vaddertagsdisco inmitten des Vilbeler Waldes ankamen, wo wir unser eigenes Wort kaum noch verstanden, rief er mir zu: „Also das ist ja wirklich abartig, also da geb ich dir natürlich recht.“ und ich etwas spöttisch „Danke. Du kannst mich auch gern zum Bier einladen“ entgegnete.

Wir flohen dann auf dem Weg, auf dem uns die, die zum Saufgelage mit Kind und Kegel unterwegs waren, meist schon angetrunken entgegen kamen. Da gab er zu verstehen, daß er die nächste Bank zum Ausruhen brauchen werde und ich sagte ihm, da schau, noch 3 Meter, aber ich kenne hier ums Eck, vielleicht 30 Meter eine ruhigere Bank, abseits und in idyllischer Stille … und ich ging voran und wartete nicht. Da kam er schließlch doch hinterher und erzählte, als er mich eingeholt hatte, daß er auf einer anderen Wandertour mit anderer Besetzung er und sein Mitwanderer einer Eichenprozessionsspinnerattacke ausgeliefert waren, was ambulant behandelt werden mußte. Inzwischen hatten wir die zweite Bank am Waldrand erreicht, es standen nur vernarbte Buchen im Halbkreis und außer einem schönen Amselkonzert, blauem Himmen und duftender Wiese war alles vollkommen.

Er wollte, daß ich schätze, wieviele Haare ein Eichenprozessionsspinner hat, also ich schätzte mehrere Tausend, die genaue Zahl hab ich mir nicht gemerkt, er lachte und lachte und nannte dann eine Zahl im vielfachen Millionenbereich, die der mir unbekannte Anderwanderer fast exakt traf. Ich war einfach ein Versager.

 

Keine Ahnung, um was es vorangehend ging – bei einer anderen, etwa zweistünden Wanderung jedenfalls eröffnete ich ihm einen Gedanken von Aristoteles, nannte die Causa materialis … und just im selben Moment hatte uns ein Paar, etwas jünger als wir erreicht, er grüßte sie mit voller Aufmerksamkeit, (sofort alle Beteiligten stehend) während ich die Causa finalis erklärenderweise abbrach und sie tauschten nun zu dritt noch im Gehen ein Konverstionsding und dann … gab ich zu verstehen, nicht mehr weiter übers Thema refferieren zu wollen, worüber K.  mir fast erleichtert schien.

 

Nacu einer Pause … „Wir könnten doch wieder mal Gitarre zusammen spielen“ -Natürlich könnten wir das, hätte er nicht schon füs erste Konzert den Saal im Altersheim dafür requieriert. Oder es wenigstens verschwiegen.

 

 

Wie alles begann:

Eines Tages vor 3 Jahren erhielt ich, nachdem wir uns Jahrzehnte nicht mehr gesehen hatten, einen Anruf von K., der nach einem arbeitsreichen Leben als Werbemanager bei einer großen japanischen Musikfirma sein Leben neu ordnen wollte und erinnerte sich an mich, den Ordentlichen. Er rief an und nach der ersten Freude, daß ich noch unter den Lebenden weilte, was ich zurückgab inbezug auf ihn, fragte er, ob ich Lust auf eine Waldwanderung hätte und das hatte ich natürlich, man will doch wissen, was aus den Pappenheimern geworden ist und warum.

„Wie wärs um 10:00 Uhr?“

„In 15 Minuten? – nach vier Jahrzehnten?

Ist zu früh? Halb elf?

So fing das an und beim ersten mal, da wurde noch nichts Auffälliges beim jeweils anderen bemerkt, bis ich dann doch …: Immer wenn ich etwas sehr Emotionales mitteilte, kam ein Mensch des Weges, auch zwei, usw. vorbei und auf dem Höhepunkt des Aufeinandertreffens, man könnte fast von Orgasmus sprechen, wendete K. sich abruppt mir ab - und dem Entgegenkommenden zu, begann einen Wortlaut mit ihnen. Dem Löwen steht das zu. Beute machen oder Widersacher im Rudel unterwerfen, das gilt auf allen Entwicklungsstufen. Im Alter wird er Altersheimanimateur.

 

Irgendwann sprach ich ihn darauf an, auf dieses Duftmarkensetzen, frug ihn, ob ihm der Vorgang bewußt ist, doch statt mit ja oder nein zu antworten, sagte er „Du hast aber wirklich auch an allem was auszusetzen“, plus Vervollständigung mit „so aggressiv …“.

Das fraß an ihm, daß mir das egal war, wie er mich sah. Hallo, hier spielt die Musik, mahnt der Ordentliche. – Jetzt muß der erst mal das Dekoletee der Braut unverblümt würdigen, wo der Bräutigam nebendran steht. …

 

 

„Darf ich Dir vor unserm Gang einen Tee kredenzen, einen THC-Tee? Ich mach ihn ganz schwach, nur so daß von wegen open your mind and your hearth will flying to me. ..“ Ein Hinterhalt wollt ich legen.

„Ok!

Kann sein, daß ich mich in der Dosis vergriff, aber das kannte er noch nicht, was dann alles abging. Zuerst gar nichts, dann kamen wir den links gelegenen Hügelweg hinauf und es war der Weg, den er an Christi Himmelfahrt symbolisch verwertbar verweigern würde, entdeckten nun in  ca. 150 m Entfernung auf dem alten Schießplatz zwei Frauen. Offenbar sammelten sie Kräuter. Doch es war Ende Oktober, welche Kräuter sammelt man noch so spät im Jahr, sann ich noch halblaut, vielleicht für Schießpulver …

Und plötzlich neben meinem Ohr:

“Hallo! - mein Bekannter interessiert sich dafür, was Sie für Kräuter sammeln, können Sie ihm da weiterhelfen?“

„Pimpinelle“ kams postwendend winkend zurück.

Fast hätte ich ihn verflucht, wurde tatsächlich rot und M. genoß es, rief noch „Danke“ zu den Damen, folgte mir im allmählich beginnenden Rausch für ein paar Momente und wir umgingen die Sammlerinnen großräumig. Daß er ansonsten die beiden erotisch beglückt hätte, war nicht auszuschließen.

Dann verloren wir uns. Er in einer bevorstehenden Reise nach Kanada, wo eine Wanderin sich schon fitt machte und ich im schwindenden Vilbeler Wald und seinen Bewohnern, die immer schutzloser werden, verlor mich im Wind, der Blättermusik mit Eichelhäher. Doch dann übertraf er alles. Wir saßen am Tümpel und er ahmte ein Froschquaken nach – … roark roark …und bekam sofort begeistert Antworten von allen Seiten. Selbst die Amphibischen erkannten sofort den royalen Frosch.

 

Am nächsten Tag rief er mich an: er hätte bis spät in die Nacht hinein Sudoku lösen müssen, um nicht verrückt zu werden von den Auswirkungen des Tees.

 

 

Die Pimpinelle brauchts übrigens für eine original Frankfurter grüne Soße und der Franzose nennt meine Aggression nach wie vor „Verve“, die Begeisterung, so ist das. Verve, verdampft nochmal.

 

 


 




Anmerkung von LotharAtzert:

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (05.06.25, 06:48)
Wer in Bad Vilbel Kräuter für die Frankfurter Grüne Soße sammelt, muss verrückt sein. Und bösartig zugleich. Das dazu! :D
Ansonsten schilderst du amüsant die Unterschiede zweier Sternzeiche, die meist so gar nicht harmonisieren.

Aber für einen Spaziergang wird's schon reichen ...

 LotharAtzert meinte dazu am 05.06.25 um 15:02:
Was ist an unsern Kräuter auszusetzen? - des Bärlauchs wegen kommen sie aus den entlegensten Ecken Deutschlands und rupfen den Waldboden kahl. Dabei werden regelmäßig Rupferinnen von Bachen, also weiblichen Wildschweinen, totgebissen, die nur ihre Frischlings verteidigen. 

Für einen Spaziergang, ja, dann kommts immer wieder, wie es schon immer war.
"Du bist ein Fatalist" sagt der Löwe und der Steinbock zuckt mit den Schultern.

Danke Dir ganz lieb

 Augustus (05.06.25, 09:19)
Harmonie kann auch in unterschiedlichen Ansichten sein, wenn man sie nur gelten lässt. 
Die individuellen Prägungen, die oftmals durch das Umfeld, in das man sich bewegt, entstehen, zeigen die Differenzen der beiden Waldflaneure. 
Es ist weltbekannt, dass bei Anwesenheit von hübschen Frauen auch das beste Gespräch zwischen gewöhnlichen Männern abrupt endet, weil die Hormone hier obsiegen. 
Das Allzumenschliche an deinem Kumpel sollte hier erkannt werden. Er hat sich ja auch nicht den Frauen aufgedrängt, sondern höflich sie begrüßt. 

Das stellt (auch) natürlich die Frage wie tiefgründig war das Gespräch bereits verlaufen, wenn man sich leicht ablenken lässt. Wirklich höchst interessante, intellektuell anregende Gespräche verschaffen die Personen in einem eigenen abstrakten Raum, der sie von der Wirklichkeit schützt. Sie befinden sich darin und es können sie keine Geräusche, keine Stimmen, kein Lärm von außen ablenken. 

Demnach scheint es sich bei den Gesprächen zwischen deinem Kumpel und Dir um eher andere Art von Gesprächen gehandelt zu haben, die flüchtig sind und die ihr mit jedem anderen Menschen an der Stelle hättet gesprochen.

 LotharAtzert antwortete darauf am 05.06.25 um 16:33:
Harmonie kann auch in unterschiedlichen Ansichten sein, wenn man sie nur gelten lässt.
Ein interessanter Gedanke: lasse ich Ansichten gelten, oder ist es Gleichgültigkeit, die mich gönnerhaft erscheinen läßt.

Es ist weltbekannt, dass bei Anwesenheit von hübschen Frauen auch das beste Gespräch zwischen gewöhnlichen Männern abrupt endet, weil die Hormone hier obsiegen. 
Jaja, ist weltbekannt. 


Er hat sich ja auch nicht den Frauen aufgedrängt, sondern höflich sie begrüßt. 
Das ist ja das Erstaunliche, das wirkt bei allen Frauen gleich.

Allen? Nein, eine Ausnahme gab es und ich war dabei, wurde Zeuge seines Scheiterns:
Wir schritten des Wegs, er links, ich rechts. Auf seiner Seite stand eine Bank, auf der eine an der Kopfbedeckung erkennbare Muslima saß. Sie zeigte einen ins Weite gerichteten Blick und ich war gespannt wie ein Jagdhund auf das sich Ereignende. K. blickte sie respektvoll an und äußerte ein wohlwollendes "Hallo" - sie schwieg unverändert, machte ihren Glauben zum Zeichen für Ungläubige. 
Demnach scheint es sich bei den Gesprächen zwischen deinem Kumpel und Dir um eher andere Art von Gesprächen gehandelt zu haben, die flüchtig sind und die ihr mit jedem anderen Menschen an der Stelle hättet gesprochen.
 Die Tiefgründigkeit kann durchaus für einen von beiden bestanden haben, während der andere vielleicht ein für ihn unbegründbares Unwohlsein empfand.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online: