Leute, die Distanzlosigkeiten nicht scheuen, kennen keine Grenzen. Sie haben noch nicht gelernt, dass es überall da, wo eigenständige Menschen miteinander leben, Grenzen geben muss, um auf konstruktive Weise miteinander umgehen zu können. Weist man sie hinter ihre Schranken, empfinden sie diese als Einschränkung ihrer Freiheit. Es ist dies eine Freiheit, die noch nicht gewahrte, dass ihr Selbstverständnis nur eins sein kann, das immer auf Kosten anderer gehen muss, weil es keine Unfreiheit kennt.
Sie ist überzeugt, sie sei frei, das zu tun, zu denken, zu sagen, was immer ihr beliebt. Diese Form des Denkens lässt über sich nichts anderes gelten. Es schwebt in solch luftigen Höhen, dass es ihren Bruder, die Unfreiheit, längst aus dem Blick verloren hat, dass keine Beziehung mehr fühlbar ist und Unfreiheit nur noch als begriffliche Definition wahrgenommen wird (werden kann). Weder kann sie akzeptieren, dass es sie nur geben kann in Bezug auf ihren Gegenpart, noch, dass sie demzufolge auch niemals für sich allein existenzfähig ist oder sein wird.
Diese Form der Freiheit, die selbst nur ein Oben, aber kein Unten kennt, benötigt aber, um zu leben, ihrerseits ein Gefälle. Sie trägt nichts dazu bei, dieses auszugleichen, sondern nährt sich von fremder Lebensenergie oder von vermeintlich Niederem, indem sie sich verhält wie die Zecke zu ihrem Wirt.
Auch diese fragt nicht lange, sondern erwacht in luftiger Höhe aus ihrer Todesstarre und lässt sich blindlings fallen, sobald ein Warmblütler ihren Weg kreuzt. Und ein armer Hund, eine streunende Katze oder auch ein nichts Böses ahnender Mensch trägt sie dann nach Hause und so lange mit sich fort, bis ihr entweder der Garaus gemacht wird oder bis sie, satt getrunken, freiwillig wieder loslässt.
Letzen Endes ist es eine Frage der Entwicklung, ob ein Lebewesen auf eigenen Beinen stehen kann oder ob es ständig auf der Suche nach jemanden ist, der es am Leben erhält.
Es gibt Menschen, die kommen über dieses infantile Stadium nicht hinaus. Sie reagieren trotzig, wenn sie nicht das bekommen, was sie wollen, hyperaktiv, wenn ihnen nicht die Aufmerksamkeit zuteil wird, die ihnen ihrer Meinung nach gebührt und werden aggressiv und beleidigt, wenn man sie auf Fehler und Schwächen hinweist.
Selbstbeschränkung, Selbstkritik und –infragestellen ist ihnen fremd, Demut und Bescheidenheit Relikte aus grauer Vorzeit und nur im Zusammenhang mit Religion, Erziehung und Unterdrückung noch denkbar. Ihre Welt kennt keine Beschränkung, ist maßlos und nimmt sich, was sie braucht – von den anderen.
So gilt auch hier, wie überall im Leben, das Paradox, dass es wahre Grenzenlosigkeit nur in der Akzeptanz eigener und fremder Grenzen geben kann und die Wahrnehmung uneingeschränkter Freiheit in Wirklichkeit nur Unfreiheit dokumentiert.