Weinraub

Text zum Thema Gut und Böse

von  Sylvia

„Was möchtest du trinken?“, will Claus wissen.
Gedankenverloren spielt Friedrich am festen Wachs eines Flaschenhalses, in dem eine grüne Kerze steckt. Die Flamme kann sich nicht entscheiden, ob sie brennen oder erlöschen möchte. Wenn er jetzt spricht, denkt er, nimmt er ihr die Freiheit, selbst zu entscheiden, also schweigt er vorläufig. Das schwache, blaue Flämmchen wird kräftiger, wobei sie sich lebenslustig und mutig zur Deckenleuchte reckt .
„Claus, mir ist heute nach einem Weizenbier. Hast du die Unterlagen für die nächste Verhandlung mit?“
„Ja, Friedrich, eigentlich...“
Ein Kellner, im perfekt sitzenden Anzug, unterbricht sie und verbeugt sich leicht.
„Guten Abend die Herren, was darf ich Ihnen heute servieren?“
„Wir hätten gerne ein Weizenbier und einen Chateau Haut-Bages-Liberal“, verkündet Claus.
„Ein Weizenbier? Sie hatten letzte Woche beide den Chateau Haut-Bages-Liberal.“
„Ja,“, Friedrich puhlt weiter am Wachs und freut sich über die gelb-rote Flammenpracht. „den mochte ich nicht.“
„Den mochten Sie nicht?“, nervös tänzelt der Kellner, wobei die Hosenbeine leicht flattern, „guter Mann, wir sind ein renommiertes Weinlokal, mit einer exquisiten Weinauswahl, wie unsere Gäste immer wieder bestätigen. Der Winzer beliefert uns seit Jahren und bisher sind niemals Beschwerden eingereicht worden. Also, welchen Wein wünschen Sie?“, hakt der Kellner nach.
„Ich hätte gerne ein Weizenbier“, beharrt Friedrich.
„Was haben Sie gegen unseren Wein?“
„Gar nichts, er schmeckte mir nicht, weil er zu trocken war. Mir fehlte die fruchtige Nuance. Ich bekam Sodbrennen und hatte am nächsten Tag Kopfschmerzen.“
„Wieso beleidigen Sie uns?“
„Ich beleidige Sie doch nicht.“
„Natürlich tun Sie das und ich finde es sehr vermessen von Ihnen, uns unterschwellig Körperverletzung vorzuwerfen. Können Sie sich nicht anders ausdrücken?“
Der Anzug Kellner wirkt angriffslustig. Die Flamme tänzelt und flirtet mit dem Luftzug.
„Wieso denn Körperverletzung? Ich wiederhole mich selten noch einmal, doch ich hätte gerne ein Weizenbier.“
„Also, verzeihen Sie, aber ich muss mich einmischen...“, versucht eine Frau ihr Glück.
„Nein!“, unterbricht Friedrich, der nach Claus' Unterlagen greift und sich darin vertieft.
„Ich bin Charlott von Wangenfels und Mitinhaberin des Weinlokals....“, versucht sie zu erklären.
„Entschuldigen Sie! Ich hätte jetzt gerne ein Weizenbier und ein ruhiges, sinnvolles Gespräch mit meinem Freund. IST DAS MACHBAR?“, knurrt er.
Frau Charlott von Wangenfels Kinnlade klappt herunter, um so viel Raumluft wie möglich in ihre ältlichen Lungenflügel zu befördern, als Claus dazwischenruft:
„Ich bestelle zwei Weizenbiere und ein ungestörtes Gespräch.“
Quietschend entweicht die entführte Raumluft der netten Dame:
„Das geht zu weit. Erst werden wir beleidigt und angegriffen und dann mischen Sie sich auch noch ein. Sie sind frech und haben wohl kaum die nötige Kompetenz uns Vorschriften zu machen.“
Der Anzug Kellner gerät in Bewegung:
„Das stimmt, Frau von Wangenfels. Unsere Weine sind perfekt und müssen dementsprechend gewürdigt werden.“ Er dreht sich zu Claus:
„Ich serviere Ihnen den Chateau Haut-Bages-Liberal.“
„Nein, wir möchten jetzt zwei Weizenbiere,“ erbost sich Claus.
Friedrich starrt zur Kerze. Aus der Flamme ist ein bedauernswertes Flämmchen geworden.
„Sie bekommen erst Bier, wenn ihr Freund sich bei uns für die beleidigenden Äußerungen entschuldigt hat“, verlangt der Kellner.
„ER soll sich entschuldigen, weil der Wein zu trocken und zu wenig fruchtig für ihn war?“, wiederholt Claus entsetzt.
Friedrich hört Claus' Füße über den Boden scharren und würde sich nicht wundern, wenn sich kleine Wolken an seiner Nase bildeten. Frau Charlott von Wangenfels beugt kopfschwenkend den Oberkörper zu Claus:
„Und er soll sich auch für die unterstellte Körperverletzung entschuldigen.“
Im Lokal breitet sich eine abwartende, knisternde Stille aus. Niemand atmet und die Zeit bleibt an der fehlenden Luftbewegung hängen. Alle Gäste beobachten sie und hören den leisen Glockenton der Kühe auf der entfernten Weide. Friedrich steht brüsk auf. Sein Stuhl vollführt ungewollt einen akrobatischen Zwei-Bein-Tanz, bis er erschrocken umkippt. Die Flamme erlöscht und eine Rauchstraße weist den Weg zum Ausgang.
„Claus, wir gehen zum Pub hier um die Ecke. Ich wünsche allen eine appetitliche Weinzeit.“
Während seiner Drehung rempelt er versehentlich eine Frau an. Sie zwinkert ihm zu und wendet sich an Frau von Wangenfels:
„Liebste, Charlott, wo ist denn dein Franz?“
„Ach, liebe, Claudia, wie rührend und einfühlsam von dir, dich nach ihm zu erkundigen. Du weißt ja, dass wir gestern bei Luigi waren, um die Künste seines neuen Kochs zu beurteilen. Mein Göttergatte mochte den ersten Bissen schon nicht und prompt bekam er eine Lebensmittelvergiftung.“
„Aber, warum sagte er dem Koch nicht, das es nicht schmeckt?“
„Das hab ich ihn auch gefragt und er meinte, er hätte sich nicht getraut. Ich wies Luigi schon dezent darauf hin, dass er mit dem Koch seinen Laden bald schließen kann, aber er hört ja nicht auf mich. Unser Anwalt meinte allerdings, es wäre nur fair, ihn vorzuwarnen.“
Lautlos folgen Claus und Friedrich der Rauchspur.

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Kommentare zu diesem Text

bookishasearlgrey (29)
(07.10.10)
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 Sylvia meinte dazu am 07.10.10:
Huhu Regine. Ich werd sehen, das ich eine andere Überschrift finde, hab auch schon eine im Kopf....lä*

Ja dein Geruchsorgan funktioniert perfekt. Danke für dein Lob...;0)

lieben Gruß
Sylvia
bookishasearlgrey (29) antwortete darauf am 07.10.10:
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 Sylvia schrieb daraufhin am 07.10.10:
lä*..gefällt dir die Überschrift auch besser? Mir jedenfalls sehr, da das Wort: Weint(r)aube gut dazu passt...
bookishasearlgrey (29) äußerte darauf am 07.10.10:
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 Sylvia ergänzte dazu am 07.10.10:
Hm...grübel...also Regine, wenn du eine passende Üschrift hast....meldest du dich dann? Ich werde darüber nachdenken...0)
bookishasearlgrey (29) meinte dazu am 07.10.10:
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chichi† (80)
(07.10.10)
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 AZU20 meinte dazu am 07.10.10:
... ud auch noch gut geschrieben. LG

 Sylvia meinte dazu am 07.10.10:
Hallöle ihr zwei,

auch ein bissl Satire, aber eben nicht so ganz....grins

ich danke euch
lieben Gruß
Sylvia
janna (61)
(07.10.10)
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 Sylvia meinte dazu am 07.10.10:
Ich will auch noch'n Kaffee...lach...

Ich denke, eine gesunde, konsequente Einstellung. Nur Frage ich mich, wieviele Gäste dort sitzen und etwas trinken, das ihnen nicht schmeckt? Weinerlich und Taub?

danke dir,
Sylvia
janna (61) meinte dazu am 07.10.10:
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 Sylvia meinte dazu am 07.10.10:
Ja Mahlzeit ist gut...aktuell, weil Menschen täglich essen und trinken....lach*

 Lala (07.10.10)
Hallo Sylvia.

Das dieses „exquisite“ Weinlokal anscheinend Weizenbier – ein von mir sehr geschätztes Getränk – auf der Karte hat und imstande ist, solche Bestellungen zu erfüllen, finde ich spannend.
Anstatt lapidar, selbstbewusst oder arrogant zu antworten: „Ham wa nich“ bzw. „Derartige Wünsche werden Ihnen sicher in jedem Pissoir erfüllt.“, verrenken sich Servierer und Inhaberin, um dem Gast von seinem Wunsche abzubringen. Warum? Weil sie alles auf der Karte haben wollen, aber trotzdem nur eines ausschenken können? Gerne gelesen bzw. bestellt und ausgetrunken.

Gruß
Lala

 Sylvia meinte dazu am 07.10.10:
Hallöle Lala,

der Ansatz ist in der Tat: hat ein schickes Weinlokal überhaupt Bier?

Die Bemühungen, lieber einen Streit anzufangen als beim Wesentlichen zu bleiben hat höchste Priorität. Wieviele der Gäste wohl dort sind und etwas trinken, das ihnen evtl. gar nicht schmeckt und dabei von Kuhglocken begleitet werden? Augenwischerei und Ablenkung?
Warum wird etwas angeboten, das es dort nicht gibt? Und ist es bei Luigi auch so?

Hach Fragen über Fragen.....also Pissoirs haben eindeutig Vorteile...lachdichan*..


Skol und Prost und gut Schluck
Sylvia
Manu (56)
(07.10.10)
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wishfulthinking (45) meinte dazu am 07.10.10:
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 Sylvia meinte dazu am 07.10.10:
Huhu ihr zwei,

zumindest bewußt gewählter Wein und nicht von anderen rübergebraten bekommen...das lob ich mir...lächel*

danke euch,
Sylvia
steyk (57)
(07.10.10)
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 Sylvia meinte dazu am 07.10.10:
Stefan,
wer ist zugefallen?;0)
Der Text hat mehrere unterschiedliche Ansätze....lächel*

Hab dank
Sylvia
Müller (45)
(07.10.10)
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 Sylvia meinte dazu am 07.10.10:
Hallöle Tom,

ja, es ist wirklich sehr seicht in der kritischen Äußerung. Aber es gibt tatsächlich welche, die sich schon beleidigt fühlen, wenn man einfach sagt/ schreibt "man mag etwas nicht"....
Ich wollte aber auch bewußt eine seichte, umgebungsangepasste Äußerung, um besser herauszustellen, das Wein eben nur Wein bleibt, auch bei negativer Resonanz und übertrieben darstellen, das Kellner und Frau Charlott sich beleidigt fühlen, wegen eines Weines.....hach, schwierig...lä*
Katastrophal wäre es, nichts mehr sagen zu dürfen....neeeein, das geht gar nicht...grusel*
Dann vergiftet man sich selbst.

Danke dir für dein seufzen....lach*
Sylvia
JowennaHolunder (59)
(07.10.10)
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 Sylvia meinte dazu am 07.10.10:
Huch Wally....
absichtlich hat er eure Nacht auf den Kopf gestellt???
Ihr habt euch sicher im Ton vergriffen und ihn beleidigt...lach...das ist nicht erlaubt. Wer eine Meinung hat und kritisch ist wird unschädlich gemacht...
Ich musste herzhaft lachen
Danke dir
Sylvia
Lena (58)
(13.10.10)
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 Sylvia meinte dazu am 25.10.10:
Hallöle Arja,

danke dir für deinen lustigen Kommentar...lächel..
Schön, das wir die Tage nutzen konnten und deine Erklärung hat gereicht....Tapetendunkel von deinen Augen nehm*

Drücke dich
Sylvia
Helene-Lutz-Barabas (57)
(29.11.11)
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