Ins Siegerland

Gedicht

von  Nostuga

Mich zwickt hier ein Stift in der Kuppe, Karl-Gunther.
Ich schlug ihn schon gestern hinein gegen Acht.
Gegen Acht schon, mein Bruder. Wer ist denn da munter?
Nun, ich war's danach. Nein, der Voss hatte Wacht.

Du kennst diesen Stift. Er war Lehrling beim Seiler.
Der Dicke, genau. Er hat Drähte gemacht
und wohnte in Walpersdorf - nahe dem Meiler.
Er hatte so herzlich mit Käthe gelacht.

Ich weiß ja. Ich weiß. Sowas brauchst du nicht sagen.
Er liegt jetzt in Sieben. Ja, sieben sind's schon.
Ganz dünn ist der Span, und er zwickt. Ich wollt fragen:
Wie geht es euch allen? Schon Nachricht vom Sohn?

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (28.02.11)
Zum Inhalt:

Es braucht ein bisschen, bis einem als Leser das ganze Grauen aufgeht, bis man aus dem fast harmlos anmutenden halben Dialog das heraushört, das dem Titel des Textes eine wirklich böse zweite Bedeutung gibt. Siegerland. Hier ist eben nicht nur der Landstrich rimgs um die Sieg gemeint.

Ähnlich subtil, wie schon bei der Titelwahl, geht es auch beim Rest des Textes weiter. Da ist von einem zwickenden Stift die Rede. Das hört sich an, wie eine Nebensächlichkeit, wie ein Holzsplitterchen im Finger, wie ein lästiges, mückenstichähnliches Killefit, eigentlich kaum erwähnenswert. Und dann setz sich im Laufe der Strophen das Puzzle zusammen und aus dem Splitterchen ersteht vor den Leseraugen das Bild des Seilerlehrlings aus Walpersdorf, der neben dem Meiler wohnte und immer so herzlich mit Käthe gelacht hat.

Er liegt seit acht in Sieben. Das Zahlenspiel irritiert, das Grauen schleicht sich an und erwischt einen kalt, wenn klar wird, dass der Junge, der Stift, der so herzlich lachen konnte, da vermutlich nie wieder aus der Sieben rauskommt. Und dann denkt man drüber nach: Sieben? Sieben was? Sieben sinds schon. Sieben. Wieviele mögen da liegen. Wieviele dünne Späne. Und zwickt nur dieser eine, weil Karl-Gunthers und sein Bruder ihn kannten? Siegerland.

Zur Form:

Der Daktylus mit unbetontem Auftakt wiegt, wiegt fast in Sicherheit, allerdings nur bis S1, V3, wo der Schlag/das Zwicken durch den einzigen betonten Auftakt spürbar wird.
Spannend ist auch, dass in S2, V4 der Vers zwischen all den anderen so verdammt kurz aussieht. Vielleicht Zufall, aber ein sehr passender, wo es doch ums Lachen geht, das für den Seilerstift vorbei ist.

Ein Text, mit dem man sich beschäftigen, mit dem man sich auseinandersetzen muss, damit man ihn ganz erfassen kann, passend zum Thema. Man kann ihn nicht einfach nur überfliegen und fertig, man muss hinter jedes Wort, jede Zahl, jede Einzelheit schauen. Anstrengend ist der Text und unbequem. Aber so und nicht anders sollte man mit dem Thema umgehen.

LG, Sabine

 Rothenfels meinte dazu am 19.03.12:
Ganz beachtenswert, liebe Sabine. Schön, dass du die ganzen Finessen und die Größe des Stücks so herausheben kannst. Ich muss dir bei einer Sache besonders zustimmen und bei einer Sache widersprechen. Du hast absolut Recht:

"Man kann ihn nicht einfach nur überfliegen und fertig, man muss hinter jedes Wort, jede Zahl, jede Einzelheit schauen." Man muss. Ich überfliege viele Texte, weil sie mich nicht packen, weil ich sie platt oder überfüllt oder dahingeklatscht finde, aber diesen... der hat mich mitgenommen und auch wenn ich zuerst nicht seine Tiefe erkennen konnte, habe ich sie irgendwie gespürt. Ich könnte ihn wirklich nicht nur überfliegen und fertig. Ich MUSSTE hinter jedes Wort, jede Zahl, jede Einzelheit schauen. Und das macht den Text für mich eben nicht "anstrengend ist [...] und unbequem", sondern mitreißend und interessant, bewegend und aufwühlend. Diesen positiven Anreiz kann ich nicht in den Worten "anstrengend und unbequem" denken. Für mich ist er bewegend und aufwühlend.

Danke an beide,
Jan
Susa (55)
(13.03.11)
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Saintmariedelamer (53)
(11.07.11)
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