Es gibt drei verschiedene Phasen in denen ich mich befinden kann.
Erstens: Ich denke nicht an dich.
Meistens bin ich dann in Gesellschaft von wunderbaren Menschen, stehe unter Alkohol und Drogen. Während ich neben meiner besten Freundin sitze, bietet mir ein Typ einen Headshot von der Tüte an, die gerade rumgeht. Ich finde ihn eigentlich eklig, bin aber auch viel zu breit, um irgendetwas abzuschlagen. Ich willige also ein, presse meine Lippen an seine und spüre einen Atemzug später förmlich, wie noch mehr THC durch meine Venen gepumpt wird. Er leckt meine Spucke von seiner Unterlippe und ich lache ein bisschen, während ich zur Rotweinflasche greife. Okay, das alles ist nicht immer die beste Mischung, aber das geht schon in Ordnung. Ist es bis jetzt immer.
Zweitens: Ich denke an dich, aber es ist okay.
Hier wird es schon kritisch. An dich zu denken kann okay sein, kann schön sein, kann sogar helfen. Allerdings steht über allem immer dieses dicke, fette „Du kommst nicht zurück“. Was es fast unmöglich macht, an dich, und wirklich nur an dich zu denken.
Es wird immer schwieriger deine genauen Gesichtszüge in meinem Kopf sehen zu können, irgendwie ungenau und verschwommen. Kindeserinnerungen. Ich glaube, vieles habe ich dir im laufe der Jahre einfach angedichtet. Diese zwei kleinen Grübchen, die über deiner linken Wange, wenn du richtig laut und offen gelacht hast, gab es die? Ich weiß es nicht mehr, verdammt, ich habe keine Ahnung. Du warst so jung und ich doch auch. Wie kannst du jetzt, nach mehr als sechs Jahren noch immer durch meinen Kopf spuken? Als eine Mischung aus Kindheitsfreund und Geliebter. Das ist so verwirrend, obwohl ich weiß, dass du nichts von dem allen warst, du warst mehr. Viel mehr.
Immer wenn mit irgendwem dieses kribblige Gefühl in mir aufkommt und ich mir Gedanken mache, alberne und romantische und naive und unmögliche und vielleicht auch dumme Gedanken, dann muss ich wieder an dich denken und dann bin ich traurig, so traurig dass ich mich nicht mehr traue und sage: das geht mir zu schnell und, dass es ist zu viel. Verdammt!
Drittens: Ich denke an dich, und zerbreche wieder und wieder.
Weißt du, manchmal bin so drauf, dass ich mir ausmale wie alles geworden wäre, wenn du nicht links gestanden hättest, oder wir gar nicht erst zu dieser Zeit an diesem Ort über diese Kreuzung gelaufen wären, oder du dir einfach nur den Knöchel gebrochen hättest, oder die Speiche oder Elle, oderoderoder. Diese Gedanken führen meistens zu nichts Gutem, weil sie, auch wenn ich mir das immer so sage, doch sowieso nie die Realität sein werden.
Da war irgendwas zwischen uns, das konnten wir schon als Kinder spüren, aber was? Keine Ahnung, ich habe nur Vermutungen.
Ich habe nur dieses eine Wort, das sich immer und überall überladen und kitschig anhört: Seelenverwandte.
Ich stelle mir dann vor, wie du als Teenager ausgesehen hättest, mit mir an deiner Seite und unsere Blicke die den Anderen bis auf sein Innerstes ausziehen konnten, deine Küsse, wie Feuer und Eis gleichzeitig, meine Lippen bedecken würden.
Aber die Wahrheit, wie hätte sie wohl ausgesehen?
Ein junges Paar, ein paar unnötige Diskussionen, ein paar böse Worte, und die erste Beziehung wäre vorbei. Ist es nicht so?
Zwei Menschen mehr auf der Welt die sich nicht mehr in die Augen schauen könnten, die einander mit diesem betont gleichmütigen, herablassenden Gesichtsausdruck begegnen würden. Vorbei wäre das ganze Gerede von etwas besonderem zwischen uns gewesen.
Ich will ehrlich sein, es wäre so verdammt viel einfacher für mich.
Du siehst wohin diese dritte Phase führt; entweder vergehe ich vor Sehnsucht, wenn ich mir unsere Zukunft á la schlechten-Hollywood-Verschnitt ausmale, oder ich stelle Vermutungen über Wahrscheinlichkeiten und Wahrheit an, um mich ein bisschen selbst zu quälen, wieder und wieder.
Doch hinter all diesen „Was-wäre-wenn“s steht dieses, unwiderrufliche, unabänderliche und unbestreitbare:
„Du bist tot.“