Wenn Vögel nicht mehr singen

Kurzprosa

von  Unbegabt



Die Nacht ist blau und ihre Kühle schmiegt sich an meine verbrannte Haut, dringt in die kochenden Poren. Meine Anspannung lässt nach. Ein Schauer läuft mir den Rücken entlang, der erste seit Wochen.
„Dir ist kalt.“, sagst du und zeigst der Dunkelheit für einen Moment, dass du Grübchen besitzt.
Dürres Gras liegt unter unseren Körpern, zum Teil schon verdorrt, bevor es richtig wachsen konnte. Mit meinen Fingern ziehe ich kleine Gräben in die verdurstende Erde, ertrage das Gefühl, das von dem Schmutz verursacht wird, der sich unter meine Fingernägel frisst.
Über uns wird der Himmel von einem Kreis aus Bäumen eingerahmt, deren schwache Blätter unruhig der Brise trotzen. Die Nacht lässt uns für einen Moment zu Atem kommen. Unsicher blinken altbekannte Sterne über uns.
„Das könnte der kleine Wagen sein.“, flüsterst du, während ich mir eine Zigarette anzünde.
Er ist es, wenn er auch so schwach leuchtet, als hätten selbst die Sterne über uns keine Kraft für mehr. Es ist die erste Zigarette seit einigen Wochen, die mir Linderung bringt. Ich lasse zu, dass die Glut sich Verheißungen flüsternd meinen Lippen nähert, lasse den Rauch durch die kühle Luft über uns tanzen, während ich noch immer Gräben in die Erde neben mir pflüge.
Ich säe das bisschen Hoffnung, welche mir noch geblieben ist und drücke schließlich meine Zigarette darin aus.

Seite an Seite laufen wir durch die schlafende Stadt, vorbei an dunklen Glasfronten, schmutzigen Häuserfassaden und unter blinkenden Neonschildern entlang, deren Licht unseren Gesichtern eine kranke, farbige Blässe verleiht.
Unsere Augenringe tragen wir mit Würde, hocherhobenen Kopfes erkämpfen wir uns jeden Meter des rissigen Asphalts unter unseren erschöpften Füßen.
Es gibt nicht viel zu sagen, also lausche ich deinem Atem, der mich sicher durch die Nacht trägt.
Wir wissen beide, dass unser Ziel noch nicht zu Hause sein wird. Eine Notlösung vielleicht, die dennoch nicht das Gefühl mit sich bringen wird, welches wir uns beide am meisten wünschen.
Die Tür ist nur angelehnt und ich bemerke deinen festen Griff um die Klinke, als du sie sorgfältig hinter uns schließt. Einige Sekunden lang bin ich blind, klammere mich an das schäbige Treppengeländer und warte darauf, dass die Schwärze weicht. Vorsichtig bewegst du dich durch die Dunkelheit, eine Hand streift meine und ich greife aus Reflex nach ihr.
Ich höre deinen Atem stocken, doch nach einer kleinen Ewigkeit verflichtst du deine Finger mit meinen.

Müdigkeit drückt unsere Körper zu Boden. Ich fühle sie wie ein schweres Gewicht auf meinem Brustkorb ruhen, fühle wie ihre Seile mit aller Macht an meinen Wimpern zerren, wie sie meinen Geist niederringt und höre das gestörte Lachen durch meinen Gehörgang sickern, welches mich nicht schlafen lässt.
Zeit vergeht. Gemessen an den Sekunden, die ich zähle, ist es viel, aber ich verzähle mich oft. Langsam verändert sich das Licht, schleicht sich in die bunte, tanzende Schwärze hinter meinen geschlossenen Lidern, lässt die Farben verblassen.
Dann wird es still und ich umarme den Schlaf, wie einen alten Freund, den ich viel zu lange nicht mehr gesehen habe.

Heiße Luft schabt meine Atemwege entlang und flutet meine Lungen. Langsam öffne ich meine Augen, sehe dich mit gesenktem Kopf auf dem Rand der Matratze sitzen, die schweißfeuchten Haare kleben im Nacken. Vorsichtig atme ich aus und fahre mit einem Finger deine Wirbelsäule entlang.
Ich bin mir nicht sicher, ob man sie schon immer so sehr gesehen hat.
Nach einigen Minuten, in denen ich nur unseren schweren, unregelmäßigen Atemzügen gelauscht habe, drehst du dich um und gibst mir meinen Kuss.
„Guten Morgen.“, sagst du und ich sehe in deinen Augen, dass auch du gestern deine Hoffnung begraben hast.

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Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (06.05.12)
Dann wird es still und ich umarme den Schlaf, wie einen alten Freund, den ich viel zu lange nicht mehr gesehen habe.
Wunderbar! Und nicht nur das! ;)

 AZU20 meinte dazu am 06.05.12:
Sehe ich auch so. LG

 Unbegabt antwortete darauf am 07.05.12:
danke, euch beiden.
Giftpreisträger (48)
(12.07.12)
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 SunnySchwanbeck (14.07.12)
das ist nicht die kleine fräulein unbegabt die ich vor drei jahren kennen gelernt habe und die noch ihre brille zurecht schob bevor sie sich eine zigarette zwischen die lippen schob.

das ist meine nele. das beste was ich je von dir las. und,
es tut gut das sagen zu dürfen.
duweißt.
LottaManguetti (59)
(27.08.17)
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