Es ist Freitag, endlich. Die Nachmittage im Büro ziehen sich seit einiger Zeit ins Endlose. Aber kann man von einem Job in der Lagerverwaltung eines Detroiter Sägewerks viel Abwechslung verlangen? Es gibt Wochen, da gleicht ein Tag dem anderen auf die Minute. Doch der Warenversand an große Möbelhäuser muss reibungslos verlaufen, auch wenn Kollegen und Vorgesetzte keinen Finger für ein gutes Arbeitsklima krumm machen. Franklin Street im Rivertown Warehouse District. Es ist kurz nach 17:00 Uhr und wie jeden Tag mache ich mich auf meinen Heimweg von exakt 33 Minuten. Für ein Auto bleibt am Ende des Monats kein Geld übrig seit Maggy und ich diese überteuerte Riesenwohnung in McDougall Hunt gemietet haben. Die irrationalen Überredungskünste einer Frau können das satteste Bankkonto leerräumen. Wahrscheinlich sollte ein Mann fähig sein, sich bei Entscheidungsfragen durchsetzen zu können. Doch das war während unserer mittlerweile zehnjährigen Beziehung nur selten der Fall. Argumentativ nicht gegen seine Partnerin anzukommen ist Gift für das männliche Ego und der schleichende Tod für eine Beziehung.
Die Tür meines kleinen Büros schließt sich hinter mir, ich streife mir meinen Mantel über und schlendere los. Der Herbst neigt sich seinem Ende, die Luft ist kalt und trocken und kein Sonnenstrahl verirrt sich auf das Laub, das die Straßen von Elmwood Park bedeckt. Tag für Tag mache ich einen Umweg von knapp 10 Minuten. Macomb Street, kein Geräusch ist zu hören. Nur der frische Wind, der sanft durch kahle Baumkronen zieht. Ein malerisches Wohngebiet, fern vom Lärm dieser dreckigen Stadt. Vorbei an den gepflegten Vorgärten der Einfamilienhäusern und der Bunch Elementary School spaziere ich zielstrebig der letzten Adresse der Straße entgegen. Das Wetter und die Geschehnisse der vergangenen hundert Jahre haben ihre Spuren an der weinroten Fassade dieses Schmuckstücks hinterlassen. Ein uraltes Haus aus stabiler Eiche, untermalt mit schwarzen Granitplatten, die unauffällig zur Veranda führen. Eine massive Eingangstür und große Holzfenster, die jedoch kaum einen Blick in die dunklen Räume zulassen. Es ist unbewohnt, grenzt an einem finsteren Stückchen Wald und macht auf die meisten Menschen hier einen etwas unheimlichen Eindruck. Die Seile einer Schaukel, die an einem gewaltigen Nadelbaum im Vorgarten befestigt ist, wiegen im Wind wie sprödes Haar.
Seit genau einem Jahr komme ich jeden Tag nach der Arbeit hier her, lehne mich an den alten Holzzaun des Gartens und frage mich, ob mein Leben ohne Maggy anders verlaufen wäre. Hätte ich geheiratet? Eine verständnisvolle, kompromissbereite Frau kennengelernt? Hätte ich Kinder? Nur die üblichen und unangenehmen Fragen, die einem 35-jährigen Milchgesicht ohne große Perspektiven an einem kalten Abend im Herbst durch den Kopf spuken.
Versunken in Gedanken zucke ich plötzlich zusammen und ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken als ich hinter einem der Fenster ein Gesicht erkenne. Die grünen Augen eines kleinen Mädchens stechen durch die Finsternis eines der Räume und beobachten mich. Schwarze Locken schlängeln sich über ihre schneeweißen Wangen und es scheint, als würde sie mir zulächeln. Ein wenig verwirrt erwidere ich ihr Lächeln, sehe mich kurz ungläubig auf der Straße um und winke dem Mädchen zögerlich. Im nächsten Augenblick verschwindet sie ohne ein Wort in der Dunkelheit des alten Hauses so schnell wie sie erschienen ist.
Noch einige Minuten lang starre ich auf das Fenster während mich ein seltsames Gefühl der Vertrautheit beschleicht. Ein Gefühl, als würde ich die Kleine kennen. Als sollte ich ihr folgen. Ein kalter Windstoß reißt mich aus meinen Gedanken, also stelle ich den Kragen meines Mantels auf und mache mich auf den Heimweg. Diese Augen und diese schwarzen Locken. Wer war sie? Seit gestern Abend kann schließlich keine Familie in das alte Haus gezogen sein. Nachdenklich schlendere ich durch die Straßen in Richtung McDougall Hunt. Mit einem leisen Stöhnen atme ich aus und öffne die Eingangstür des farblosesten Wohnblocks der Benson Street. Maggie wartet bereits mit dem Abendessen. Und obwohl mir dieses Lächeln den restlichen Abend nicht eine Sekunde lang aus den Gedanken geht, erwähne ich das Mädchen mit keinem Wort.
da ist fast nichts zu meckern, die Spannung wird gehalten.
Nur ein kleines Meckerli: "mit einem leisen Stöhnen atme ich aus... " das ist ein bisschen gestelzt...
aber Don't worry...
L.G. Hans