Ihre schwarzen Locken - Teil 4

Kurzgeschichte zum Thema Wahnsinn

von  MrDurden

Es ist Freitagnachmittag und es ist mir egal. Es spielt keine Rolle. Seit einer Woche lebe ich in einem Traum ohne Zeitgefühl. Kein Sinn mehr für das, was wirklich ist. Kein Gefühl mehr für das, was mir einmal wichtig war. Da unsere Miete von meinem Konto abgebucht wird, stört es Maggy nicht im Geringsten, dass ich seit zwei Tagen nicht mehr zu Hause war. Auch das spielt keine Rolle mehr, es erspart mir sogar täglich einen Fußweg von mehr als 20 Minuten. Die Herbstnächte sind kalt in einem hundert Jahre alten Haus ohne Heizung. Doch wie gesagt, meine Prioritäten haben sich geändert.

Die Tür meines kleinen Büros schließt sich hinter mir, Mantel, Kragen nach oben, Heimweg. Zuhause ist, wo das Herz ist. Macomb Street, eine Sackgasse am Rande eines kleinen Waldstücks. Die weinrote Fassade des Hauses ist schon von Weitem erkennbar. Müde von der Kälte der letzten Nächte lehne ich mich entkräftet an den alten Holzzaun und starre in Richtung Erdgeschossfenster. Ihre grünen Augen stechen mir durch die Dunkelheit im Inneren entgegen. Schwarze Locken schlängeln sich über das Lächeln auf ihrem blassen Gesicht.

Für einen Moment schließe ich die Augen und höre ihre Gedanken in meinem Kopf. Sie sagt niemals ein Wort, doch ich weiß, was sie will. Ein Flüstern hinter meinen Augen, ein Säuseln, das meinen Verstand benebelt. Sie sagt, ich soll die Oberhand gewinnen. Sie sagt, ich soll stärker sein als mein Gegenüber. Sie sagt, ich soll Verantwortung übernehmen. Ich öffne meine Augen und die Kleine steht direkt neben mir. Ich weiß nun, was ich zu tun habe, nehme ihre Hand und mache mich mit ihr auf den Heimweg.

Exakt 33 Minuten. Ich öffne die Eingangstür des farblosesten Wohnblocks der Benson Street und halte inne. Das Mädchen ist weg, doch ich spüre sie in meinem Kopf, in meinen Gedanken. Und ich stapfe mit entschlossenem Schritt das Treppenhaus hinauf. Wie von selbst öffnet sich die Wohnungstür. Niemand wartet mit dem Abendessen auf mich. Eine leere Flasche Rotwein, zwei Gläser, eines davon mit Lippenstiftabdruck. Bis zum heutigen Abend hat Maggy niemals Lippenstift getragen. Sie sitzen eng umschlungen vor dem Fernseher. Und plötzlich wird es dunkel in diesem Zimmer.

Schwärze umgibt mich und es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Doch auf einmal ist es, als würde ich von hysterischem Geschrei geweckt. Langsam verfliegt die Dunkelheit und ich blicke unruhig um mich. Ein gutaussehender Mann liegt in einer riesigen Blutlache vor mir auf dem Boden. Weinrot strömt es aus seiner Kehle während ich den grünen, zersplitterten Hals einer Weinflasche auf ihn herabfallen lasse. Maggy sieht mir panisch in die Augen. Sie schreit vor Todesangst und gleichzeitig schlängeln sich die schwarzen Locken des kleinen Mädchens über Maggys blasses Gesicht. Sie scheint diese grünen Kinderaugen nicht funkeln sehen zu können, doch ich sehe sie umso besser. Kreischend wirft sie alles mögliche nach mir, doch es ist zu spät.

„Gewinne die Oberhand, Jake.“

Meine dünnen Finger schlängeln sich um Maggys wunderschönen Hals. Und mit aller Kraft drücke ich ihre Kehle gegen ihre Luftröhre.

„Sei stärker als dein Gegenüber, Jake.“

Maggy wehrt sich heftig, doch nur bis ihr erster Halswirbel unter dem Druck meiner Fingerkuppen mit lautem Knacken nachgibt. Ihre Augen hören langsam auf zu beben und ich lockere den Druck meiner Hände. Während ihr lebloser Körper zu Boden geht, drehe ich mich langsam zur Glasvitrine über dem Fernseher, schnappe mir eine neue Flasche Wein und zwei Gläser und lasse mich auf die Couch sinken.

„Übernimm Verantwortung, Jake.“

Das werde ich. Benommen von der Schlaflosigkeit der letzten Tage durchsuche ich meine Hosentaschen nach meinem Handy, wähle die Nummer des Polizeinotrufs und melde einen zweifachen Mord in McDougall Hunt. Das Handy zerschellt in einer Blutpfütze neben Maggys reglosem Kopf und ich reiche dem kleinen Mädchen neben mir einen kleinen Schluck Rotwein, der samt Glas ebenfalls zu Boden fällt. Die Flasche neigt sich langsam ihrem Ende und brüllende Beamte warten bereits mit entsicherten Waffen vor der Tür. Und obwohl sie mir nicht mehr aus den Gedanken geht, erwähne ich das Mädchen mit keinem Wort.

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