Ihre schwarzen Locken - Teil 3

Kurzgeschichte zum Thema Wahnsinn

von  MrDurden

Es ist Montagnachmittag und ich weiß nicht, was ich von dieser Tatsache halten soll. Das längste Wochenende meines Lebens und ein hektischer Arbeitstag liegen hinter mir. Die alltäglichen Streitereien mit Maggy kommen nun häufiger und heftiger. Sie lässt mittlerweile keine Gelegenheit mehr aus, mich mit ihren Sticheleien zur Weißglut zu treiben. Da unsere alten „an Pepp verloren haben“, brauchen wir neue Vorhänge für Wohn- und Schlafzimmer. Ein Beziehungstherapeut wäre von größerem Nutzen. In letzter Zeit bin ich um jede Minute froh, die ich nicht zu Hause verbringen muss. Und wie nach jedem Arbeitstag mache ich mich auch heute auf meinen Heimweg von exakt 33 Minuten paradiesischer Freiheit.

Die Kälte der abendlichen Oktoberluft gerät im Meer meiner Gedanken an ein kleines Mädchen in Vergessenheit. Kein Tag ist vergangen, ohne dass ich an sie denken musste. Und ich frage mich, ob ich meinen täglichen Umweg von knapp 10 Minuten beibehalten soll. Macomb Street, wieder ist kein Geräusch zu hören. Kein Mensch ist in den gepflegten Vorgärten zu sehen und kein Kinderlachen dringt aus den Klassenzimmern der Bunch Elementary School. Nur eine frische Brise weht durch die verlassene Straße und erweckt den Eindruck, ich spazierte durch eine Geisterstadt.

Die letzte Adresse rückt näher und etwas zögerlicher als gewöhnlich lehne ich mich an den alten Holzzaun des Vorgartens meines Traumhauses. Etwas skeptisch lasse ich meinen Blick über die Fenster schweifen, doch es ist nichts zu sehen. Dunkle Wolken ziehen über dem kleinen Waldstück auf und die dünnen Seile der Schaukel bewegen sich im Wind. Habe ich mir dieses Gesicht eingebildet? Dieses verfluchte Sägewerk mit all seinen unausstehlichen Mitarbeitern muss schuld an dieser Erscheinung vor drei Tagen sein.

Etwas erleichtert wende ich mich wieder der Straße Richtung McDougall Hunt zu. Doch als ich noch einen flüchtigen Blick über meine Schulter werfe, fährt mir ein Schreck durch den gesamten Körper. Die alte Schaukel schwingt höher als sonst und auf ihr sitzt ein kleines Mädchen. Ihre grünen Augen blitzen mir durch den Schatten des großen Nadelbaums entgegen. Schwarze Locken wehen im Wind und ein Lächeln kommt im fahlen Abendlicht auf ihrem blassen Gesicht zum Vorschein. Ruckartig mache ich kehrt und nähere mich erneut diesem seltsamen, alten Haus.

„Guten Abend, kleine Lady. Wir kennen uns bereits, nicht wahr? Ich heiße Jake, wie ist dein Name?“

Stille, ihre grünen Augen bohren sich in meinen Kopf, durch meine Gedanken und ich kann den Blick nicht von ihr abwenden. Ein Gefühl, als würde sie mit meinem Verstand spielen, mit meinen Ängsten, mit meinen Schwächen. Als würde sie in mein Innerstes blicken, bis ins Herz. Und sie sagt kein Wort.

„Wohnst du mit deinen Eltern in diesem Haus? Weißt du, ich komme öfters hier her.“

Erst jetzt fällt mir das weinrote Kleid auf, das sie trägt. Die Situation erscheint mir unwirklich, doch wieder ergreift dieses beinahe unheimliche Gefühl der Vertrautheit Besitz von mir. Wie gebannt stehe ich an diesem Zaun und starre ihr in die Augen während sie mich wortlos zu sich ruft.

„Tut mir leid, ich muss gehen. Jemand wartet auf mich. Vielleicht sehen wir uns ja noch einmal.“

Es ist ein regelrechter Kraftakt, meine Augen von ihr loszureißen. Doch ich schaffe es und gehe zielstrebig die Macomb Street entlang. Langsam ziehen schwarze Wolken auf und als ich ein letztes mal zurückblicke, schwingt die Schaukel verlassen im Wind. Was geschieht nur in dieser Straße? Und was geschieht mit mir? Exakt 33 Minuten Heimweg, ich öffne die Eingangstür des farblosesten Wohnblocks der Benson Street und halte inne. Ich fühle mich fremd an diesem Ort. Mein Herz schlägt schnell und ich verspüre den unendlichen Drang, zu diesem alten Holzhaus zurück zu gehen. Ihre Augen, ihr Lächeln, ihre schwarzen Locken. Sie ruft mich zu sich. Maggy wartet bereits mit dem Abendessen. Und obwohl sie mir nicht mehr aus den Gedanken geht, erwähne ich das Mädchen mit keinem Wort.

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Kommentare zu diesem Text


 kirchheimrunner (25.01.12)
hmm... der Anfang des 3. Teils gefällt mir weniger; - am Schluss... da wird der Spannungsbogen wieder gespannt..
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