Mary und der Engel - Teil 2
Kurzgeschichte zum Thema Glaube
von MrDurden
„Jake! Wo steckst du nun schon wieder? Jake!“
Meine Mom wird sehr schnell wütend, wenn ich ihr nicht gleich antworte. Eigentlich ist sie immer wütend. Auch, wenn ich gar nichts angestellt hab. Ich sitze in meinem Versteck unter dem großen Schreibtisch in Dads Arbeitszimmer. Meine Augen sind ganz fest geschlossen. Vielleicht taucht das kleine, warme Licht wieder auf, wenn ich es mir ganz stark wünsche. Vielleicht führt es mich dann und lässt mich erst wieder los, wenn ich einen schönen Ort erreicht habe. Vielleicht erzählt es mir dann, woher es kommt und wie es heißt. Aber seit der Frühlingsnacht im Wald ist einige Zeit vergangen. Und das kleine Licht hat sich mir nicht noch einmal gezeigt.
„Wusste ich doch, dass du dich wieder hier drin versteckst! Wie oft hab ich dir gesagt, dass du in diesem Zimmer nichts verloren hast?“
Mom packt mich am Arm. Manchmal tut sie mir weh, obwohl ich gar nichts getan habe. Aber wenigstens ist sie zu Mary immer nett. Sie mag es nicht, wenn ich in Dads Zimmer spiele. Alles in diesem Raum soll so bleiben, wie an dem Tag, als er gehen musste. Ich frage jeden Tag nach meinem Vater, weil ich mich kaum an ihn erinnern kann. Aber es ist egal, wie viele Fragen ich stelle. Mom will mir nicht sagen, wohin Dad gegangen ist. Sie wird dann nur böse und schimpft, dass er einfach nicht mehr bei uns ist und auch nie zurückkommen wird. Dann sagt sie, dass sie Artistin ist. Oder war es Athestin? Jedenfalls habe ich gelernt, dass ein Athest jemand ist, der nicht an Engel glaubt.
„Komm da raus, Jake! Du weißt, wie kleine Jungs bestraft werden, die nicht hören wollen. Du magst doch kleine, finstere Ecken so sehr!“
Sie zerrt mich aus Dads Zimmer in Richtung Vorratskammer, schubst mich hinein und schließt die Tür hinter mir ab.
„Da bleibst du so lange drin, bis du die Regeln dieses Hauses begriffen hast, junger Mann!“
Keine Tränen kullern über meine Wangen. Es ist mir fast egal, wenn sie gemein zu mir ist, wenn sie mir weh tut. Hier drin ist es so dunkel, wie damals in dem Wald. Ich weiß, dass sich meine Augen nach einer Weile an die Dunkelheit gewöhnen. Dann kann man alles ein bisschen erkennen. Aber hier drin sehe ich auch nach einer halben Stunde nichts. Manchmal frage ich mich, ob Dad auch so gemein war, wie Mom. Ob er wohl auch ein Athest war? Wenn ich so darüber nachdenke, weiß ich gar nicht, was ein Engel ist. Mary hat mal gesagt, dass sie die schönsten Geschöpfe sind, die es gibt. Sie wohnen im Himmel und manchmal kommen sie auf die Erde, um uns Menschen zu helfen. Um uns zu beschützen. Ich habe noch nie einen Engel gesehen. Vielleicht macht mich das auch zu einem Athest.
Noch immer ist es dunkel in der kleinen Kammer. Wieder mache ich ganz fest meine Augen zu und stelle mir vor, ich würde fliegen. Aber es kommt kein unsichtbares Etwas, das mich trägt und mich an einen schönen Ort führt. Ich bin alleine mit mir selbst und öffne die Augen. Plötzlich ist die Vorratskammer hell erleuchtet. Die Luft ist warm und ein kleines Licht schwebt direkt vor meiner Nase. Es gibt kein Geräusch von sich. Kreist nur vor meinem Gesicht umher und es kommt mir vor, als würde es mich betrachten.
„Kleines Licht, wo warst du denn die ganze Zeit? Bist du ein Stern? Oder ein Glühwürmchen?“
Das kleine Licht scheint nicht sprechen zu können. Es schwebt nur in der Luft und wirft seinen hellen Schein auf die Wände der Vorratskammer.
„Hab keine Angst, kleiner Jake.“
Es sagt nichts und irgendwie ist auch nichts zu hören. Aber tief in mir spüre ich seine Worte. Wie eine sanfte, warme Stimme, die es gar nicht gibt. Wie eine Decke, die sich um mich legt und böse Gedanken verjagt. Als ich es berühren will, schwebt es durch meine Hand und verschwindet durch das Schlüsselloch der kleinen Tür. Genauso schnell, wie es erschienen ist. Wieder ist es so dunkel, dass ich meine eigenen Hände nicht sehen kann. Aber das ist nicht schlimm. Denn das kleine, warme Licht hat all meine Angst mit sich genommen.
„Jake, bist du da drin? Komm, lass uns draußen spielen gehen!“
Mary klopft an die Tür der Vorratskammer und schließt sie auf. Sie weiß, dass sie mich hier suchen muss, wenn Mom schlecht gelaunt ist. Mary würde es nie zugeben, aber sie mag es nicht, wie Mom mich behandelt. Manchmal versteckt sie mich unter ihrem Bett oder in ihrem Kleiderschrank, wenn die Athestin auf der Suche nach mir ist. Manchmal redet sie auch davon, dass wir von zu Hause weglaufen müssen. Raus aus diesem alten Haus am Waldrand von Wrightwood und nach Santa Monica an den Strand. Wir kennen das Meer nur aus Büchern, denn einen Fernseher haben wir nicht. Mary sagt, das Meer sei das Größte, das es auf der Welt gibt. Es hat keinen Anfang und kein Ende. Und jeder Mensch muss es mindestens einmal in seinem Leben gesehen haben.
„Wir müssen leise sein, Mom schläft gerade. Wollen wir herausfinden, wo der kleine Bach anfängt und wo er aufhört?“
Sie nimmt meine Hand und mit einem Nicken stolpere ich aus der Kammer. Still und leise wie Katzen schleichen wir uns aus der Eingangstür unseres großen, alten Hauses. Es ist Sommer und an Marys Hand laufe ich durch den Wald in Richtung Wasser. Keine Spur von dem kleinen, warmen Licht, das mir nun schon zum zweiten Mal begegnet ist. Ich erzähle Mary lieber nicht davon. Denn heute ist sie nett zu mir. Und einen Dummkopf kann sie mich an einem anderen Tag nennen.
Meine Mom wird sehr schnell wütend, wenn ich ihr nicht gleich antworte. Eigentlich ist sie immer wütend. Auch, wenn ich gar nichts angestellt hab. Ich sitze in meinem Versteck unter dem großen Schreibtisch in Dads Arbeitszimmer. Meine Augen sind ganz fest geschlossen. Vielleicht taucht das kleine, warme Licht wieder auf, wenn ich es mir ganz stark wünsche. Vielleicht führt es mich dann und lässt mich erst wieder los, wenn ich einen schönen Ort erreicht habe. Vielleicht erzählt es mir dann, woher es kommt und wie es heißt. Aber seit der Frühlingsnacht im Wald ist einige Zeit vergangen. Und das kleine Licht hat sich mir nicht noch einmal gezeigt.
„Wusste ich doch, dass du dich wieder hier drin versteckst! Wie oft hab ich dir gesagt, dass du in diesem Zimmer nichts verloren hast?“
Mom packt mich am Arm. Manchmal tut sie mir weh, obwohl ich gar nichts getan habe. Aber wenigstens ist sie zu Mary immer nett. Sie mag es nicht, wenn ich in Dads Zimmer spiele. Alles in diesem Raum soll so bleiben, wie an dem Tag, als er gehen musste. Ich frage jeden Tag nach meinem Vater, weil ich mich kaum an ihn erinnern kann. Aber es ist egal, wie viele Fragen ich stelle. Mom will mir nicht sagen, wohin Dad gegangen ist. Sie wird dann nur böse und schimpft, dass er einfach nicht mehr bei uns ist und auch nie zurückkommen wird. Dann sagt sie, dass sie Artistin ist. Oder war es Athestin? Jedenfalls habe ich gelernt, dass ein Athest jemand ist, der nicht an Engel glaubt.
„Komm da raus, Jake! Du weißt, wie kleine Jungs bestraft werden, die nicht hören wollen. Du magst doch kleine, finstere Ecken so sehr!“
Sie zerrt mich aus Dads Zimmer in Richtung Vorratskammer, schubst mich hinein und schließt die Tür hinter mir ab.
„Da bleibst du so lange drin, bis du die Regeln dieses Hauses begriffen hast, junger Mann!“
Keine Tränen kullern über meine Wangen. Es ist mir fast egal, wenn sie gemein zu mir ist, wenn sie mir weh tut. Hier drin ist es so dunkel, wie damals in dem Wald. Ich weiß, dass sich meine Augen nach einer Weile an die Dunkelheit gewöhnen. Dann kann man alles ein bisschen erkennen. Aber hier drin sehe ich auch nach einer halben Stunde nichts. Manchmal frage ich mich, ob Dad auch so gemein war, wie Mom. Ob er wohl auch ein Athest war? Wenn ich so darüber nachdenke, weiß ich gar nicht, was ein Engel ist. Mary hat mal gesagt, dass sie die schönsten Geschöpfe sind, die es gibt. Sie wohnen im Himmel und manchmal kommen sie auf die Erde, um uns Menschen zu helfen. Um uns zu beschützen. Ich habe noch nie einen Engel gesehen. Vielleicht macht mich das auch zu einem Athest.
Noch immer ist es dunkel in der kleinen Kammer. Wieder mache ich ganz fest meine Augen zu und stelle mir vor, ich würde fliegen. Aber es kommt kein unsichtbares Etwas, das mich trägt und mich an einen schönen Ort führt. Ich bin alleine mit mir selbst und öffne die Augen. Plötzlich ist die Vorratskammer hell erleuchtet. Die Luft ist warm und ein kleines Licht schwebt direkt vor meiner Nase. Es gibt kein Geräusch von sich. Kreist nur vor meinem Gesicht umher und es kommt mir vor, als würde es mich betrachten.
„Kleines Licht, wo warst du denn die ganze Zeit? Bist du ein Stern? Oder ein Glühwürmchen?“
Das kleine Licht scheint nicht sprechen zu können. Es schwebt nur in der Luft und wirft seinen hellen Schein auf die Wände der Vorratskammer.
„Hab keine Angst, kleiner Jake.“
Es sagt nichts und irgendwie ist auch nichts zu hören. Aber tief in mir spüre ich seine Worte. Wie eine sanfte, warme Stimme, die es gar nicht gibt. Wie eine Decke, die sich um mich legt und böse Gedanken verjagt. Als ich es berühren will, schwebt es durch meine Hand und verschwindet durch das Schlüsselloch der kleinen Tür. Genauso schnell, wie es erschienen ist. Wieder ist es so dunkel, dass ich meine eigenen Hände nicht sehen kann. Aber das ist nicht schlimm. Denn das kleine, warme Licht hat all meine Angst mit sich genommen.
„Jake, bist du da drin? Komm, lass uns draußen spielen gehen!“
Mary klopft an die Tür der Vorratskammer und schließt sie auf. Sie weiß, dass sie mich hier suchen muss, wenn Mom schlecht gelaunt ist. Mary würde es nie zugeben, aber sie mag es nicht, wie Mom mich behandelt. Manchmal versteckt sie mich unter ihrem Bett oder in ihrem Kleiderschrank, wenn die Athestin auf der Suche nach mir ist. Manchmal redet sie auch davon, dass wir von zu Hause weglaufen müssen. Raus aus diesem alten Haus am Waldrand von Wrightwood und nach Santa Monica an den Strand. Wir kennen das Meer nur aus Büchern, denn einen Fernseher haben wir nicht. Mary sagt, das Meer sei das Größte, das es auf der Welt gibt. Es hat keinen Anfang und kein Ende. Und jeder Mensch muss es mindestens einmal in seinem Leben gesehen haben.
„Wir müssen leise sein, Mom schläft gerade. Wollen wir herausfinden, wo der kleine Bach anfängt und wo er aufhört?“
Sie nimmt meine Hand und mit einem Nicken stolpere ich aus der Kammer. Still und leise wie Katzen schleichen wir uns aus der Eingangstür unseres großen, alten Hauses. Es ist Sommer und an Marys Hand laufe ich durch den Wald in Richtung Wasser. Keine Spur von dem kleinen, warmen Licht, das mir nun schon zum zweiten Mal begegnet ist. Ich erzähle Mary lieber nicht davon. Denn heute ist sie nett zu mir. Und einen Dummkopf kann sie mich an einem anderen Tag nennen.