Stille Welt

Text

von  beneelim

Es ist bitter. Wie ein Haufen von moderndem Herbstlaub. Der zuständige Arzt ist zufrieden. Dreimal wischt er sich über die glänzende Stirn, die tiefe Furchen wirft.

„Sechzig Milliliter, das ist vertretbar. Da mache ich mir keine Sorgen. Wie sieht es aus mit Nachbehandlung? Mit Therapien?“
Wie gesagt: Es ist bitter. Leicht süßlich. An der Zungenspitze schmeichelt es, dann bleibt nur mehr die fade Wahrheit. Und es ist so eigenartig zäh, wie die Saucen, in denen die chinesischen All-you-can-eat Menüs schwimmen. Ich schlucke. Ich habe mich schon angemeldet, ja, ich gehe auf Therapie. Momentan ambulante Begleitung. Beratungsstelle der Landesregierung. Einmal wöchentlich. Dienstag, 13 Uhr. Und auf der Station wird in drei Wochen ein Bett frei für mich.

„Sehr schön.“ Er lächelt, ich finde, er macht einen ehrlichen Gesichtsausdruck dabei. Ich höre das Mädchen draußen toben und heulen, das Mädchen, dem er das Morphium abgesetzt hat. Sie hat es verkauft, von 800 mg konnte sie 300 verhehlen, und sie hat es auch noch gedrückt. Mit feuchtem Blick hat sie die Tabletten abgeholt und die Ärmel weit über die Fingerknöchel gezogen, der Herr Doktor war so nett, hat sie dem Pfleger erzählt, er hat mir zugesagt, dass ich eine Wochenration mitnehmen darf. Sie hat irgendwas erzählt, von wegen eines Jobs, den sie endlich gefunden habe. Und da kann sie nicht jeden Tag in die Nervenklinik kommen. Der Herr Doktor versteht das. Der Pfleger hat ebenfalls gekichert und ihr 12 mg SUBUTEX in die Hand gedrückt. Sublingual. Der neueste Hit.
„Wir wissen, was du treibst.“ Und der Herr Doktor hat sehr finster geschaut und war zu keinerlei Diskussionen bereit.

Seit zwei Stunden schiebt sie nun vor dem Ausgabezimmer die Krise. Ich hatte den kaum zu
unterdrückenden Impuls, ihr eine zu knallen.
„Meine Großmutter ist krank, der Doktor weiß Bescheid“, sage ich. Ich bin bescheiden. Weiß, was sich gehört. Nur für drei Tage muss ich weg, nicht mehr. Was soll ich schon anstellen mit Methadon? Der Doktor schnauft und kratzt sich den widerlichen Schnauzer. Er brummt irgendetwas Zustimmendes. Er ist nur selten bei der Ausgabe dabei.
Hinter mir klopft jemand, ein ungewaschener Blondschopf schiebt sich durch den sich öffnenden Türspalt.

„Einer nach dem anderen!“ brüllt der Pfleger und ich habe ihn vor zwei Tagen über die sudanesische
Drogenmafia schimpfen hören, die uns arme Junkies auf dem Gewissen hat. Da habe ich ihm zugestimmt, und mir fiel ein, dass ich Ghanesen und Sudaner nicht unterscheiden könnte. Ich bin einem nachgerannt, hatte ein Handy mit zersplittertem Display und ohne Akku in der Hand, und ich meinte: „I can also be nice with you, just give me one gramm“ und er zischte mich an und fuchtelte mit der Hand und er verschwand.

Aber mir geht es schon besser. Das Methadon hilft sehr gut. Der Knirps, zu dem die dreckigen Haare
gehören, ist kaum fünfzehn Jahre alt und hustet schüchtern. Er zittert und irgendetwas wie Rotz hängt ihm in fetter Kruste über der Oberlippe. Er hat einen Termin mit dem Herrn Doktor.
„Sicher nicht vor Vierzehn Uhr, mein Junge“ sagt der Herr Doktor und macht eine abwehrende Geste. „Oh shit, oh shit“ brummt der Kleine, ich werde später mit ihm noch auf ein Gramm zusammenlegen. Meine dreifache Dosis werde ich vorher schon getrunken haben, aber er wird sich das Fläschchen am Klo ausspülen, zwei drei Tropfen sind sicher noch drin. Reicht bis zum nächsten Hocker.
Mir fällt ein, dass ich nie so werden wollte. Einer von denen, die es nicht erwarten können, bis sie nachhause kommen. Die gar kein zuhause mehr haben. Einer von den Losern. Das Leben spielt seltsame Stücke.

Ich bedanke mich, sage, ich käme dann am Wochenende wieder, wünsche noch viel Spaß und der Pfleger sieht mich drohend an. Die Schlange vor der Tür ist länger geworden, es ist später Vormittag. Ich treffe Angelika, die hat Architektur studiert und ist schon auf 4 mg herunter dosiert.
SUBUTEX. Die sind wirklich was zum runterholen, das hat sie mir vor zwei Wochen erzählt, dann hat sie sich von der Post ihr Paket abgeholt: Bastelbedarf „Sonnenschein“, europaweiter Versand – und niemand verwendet diese Mohnkapsel zum Basteln.
Sie hat mich eingeladen, ich hatte ein herrliches Brett. Gehe nur jeden zweiten Tag in die Substitution, weil das Metha so lange wirkt – sie drohen mir mit Rauswurf. Ich winke Angelika zu, dann schiebe ich mich vorbei, hinaus in den Park, wo sich zwei Halbstarke über ihre Mütter beschweren, die ihre Rohypnol-Tabletten weggeworfen haben. Dämliche Fotzen. Dabei waren sie nur ganz kurz bewusstlos, dort am Wohnzimmersofa. Sie finden das sehr witzig und sie klatschen sich ab und sie ficken was auf Muttern. Die arme Kleine, die nun kein Morphium mehr bekommt, sie heißt Karin, soweit ich mich erinnere, und sie heult noch immer. Drei Burschen haben sich um sie geschart und legen ihr tröstend die Arme um die Schultern. Sie trägt ein hautenges, bauchfreies Top von Fishbone und die drei betrachteten sie immer schon als einen guten Kumpel. Sie werden ein Wort für sie einlegen. Und einer hat gutes Koks dabei. Es ist Donnerstag, ich werde bald anfangen, mein Leben in den Griff zu bekommen. Der Kleine von vorhin nennt sich doch tatsächlich Knirsche und er trägt einen Mercedes-Stern um den Hals. Er hat strahlend blaue Augen, ein kleiner Rest Leben hat sich dorthin verkrochen. Wir brechen auf zum Bus, zurück in die Stadt. Wie gesagt, es ist Donnerstag. Es ist bitter, und ich freue mich schon, wenn ich wieder weinen kann


Anmerkung von beneelim:

from hell.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram