Das musst du dir so vorstellen, wie wenn dir ein Haar ausfällt. Oder deine Pupillen sich weiten. Es geht schnell, unbemerkt, und so kannst auch du es machen. Ja, wenn man die Dinge nur in aller Eile vollbringt, dann ist es beinahe so, als ob sie nie geschehen wären. Und dann hat man eine neue Gelegenheit. Immer wieder.
Wenn Tim sich aufs Bett legt, nachdem er die Türe angelehnt hat, ist der andere meistens erst im ersten oder zweiten Stock angekommen. Es ist stets dunkel draußen, und die Stiegenhausbeleuchtung dringt leise und kühl in die Wohnung, ein Aschenlicht, staubig, dumpf, das jeden Zweifel in Gier verwandeln kann. Tim stellt sich vor, wenn er so wartet, wenn er so am Bauch liegt und der Frottee des untergelegten Badetuchs an Bauch und Schwanz kratzt, dass er sein Leben, geschrumpft und unmittelbar, wie es in diesen Momenten ist, in seine Hand nehmen kann. Dann macht er eine enge Faust und hebt sie gegen das durch Nischen und Ritzen gefädelte Licht und dann, als die Tür zugeschoben wird, ist es dunkel, bis auf die blasse Nacht, die einer Großstadt eigen ist. Der andere schlüpft durch die Schlafzimmertür, man hört es rascheln und knistern, eine Gürtelschnalle klimpert, das in Stoff gehüllte Geräusch von Knopfreihen, die hastig gelöst werden. Wäsche, die knapp und entschlossen zu Boden gleitet, sich über allem ausbreitet, was noch unbehaglich erscheint. Wenn es nur bald vorüber ist, dann hat es auch keiner gewollt.
Der andere liegt bald auf ihm, nachdem mit zwei Handgriffen das Latex übergezogen und das Gel an den richtigen Stellen aufgetragen ist. Nach dem zweiten, dritten Stoß, unter dem das Bettgestell ein zaghaftes Ächzen tut, verschwindet auch die Idee, es ließe sich eine andere Entscheidung treffen. "Wann?", keucht er, der andere hält inne, murmelt eine rauchige Frage, Tim hört ihn zwei tiefe Züge aus einem Fläschen Poppers nehmen, als es ihm an die Nase gehalten wird, dreht er zaghaft den Kopf zur Seite. Wann, denkt er leise, wann soll er lernen, etwas Neues zu tun? In welchem Moment, den er ohnehin nicht erinnern könnte, wäre es möglich gewesen, freie Sicht zu bekommen? Die Stöße werden schneller, Tims Grätsche breiter, das Brennen stärker. Er hört ein Rasseln, tief eingesogene Luft, alles zerfließt in sanftem Zittern, dann ein Mund voll Ruhe und viel Schweiß und behaartes Fleisch auf seinem Rücken. Noch ist die Zeit im richtigen Lot, noch können ein paar müde Lidschläge, die wie ein Händefalten beim Hochamt wirken, bestechlich und fordernd, ein paar Zeilen eines Buches oder Szenen eines Nachtfilms einfangen, und mit ihnen das Vergessen.
Der andere streift den Gummi ab, Tim hört ihn ins Bad stolpern, über die Landschaft von Stoff und Schuhen und verwundeter Stille, dann rauscht die Spülung. Er macht sich klein, während er den Brand unter der Hüfte abklingen lässt, Arme und Beine sind schwer, und so dicht, wie er seine Gedanken gestrickt hat, kann er kaum hören, wie der andere „Danke“ flüstert. Die Welt macht eine aufmüpfige Drehung in Richtung Morgen, inzwischen sind Stoff und Schuhe verschwunden, und der Schlaf hat sich kaum über Tims Bettkante gewagt. Es scheint ihm, als er so daliegt, und überlegt, als ob etwas um ihn gewickelt wurde, einer zweiten Haut gleich, die durch Poren und Mund dringt und einen flimmernden Klang in seinem Brustkorb versenkt.
Wenn du zurückfällst, wenn die Schatten bis an deine Fersen gelangen, ist es Zeit, schneller zu werden. Dort, am Rand des Lichts, wo alles gleichzeitig an deine Augen drängt, hat jeder Gedanke die gleiche Chance. Und alles Lebbare wird gelebt und jeder Schmerz hat ein Gefieder aus Wolken.
Also, mach weiter, Tim.