Das sagbare Mädchen

Essay zum Thema Emanzipation

von  toltec-head

Das unsagbare Mädchen hat einen Bezug zum Tierischen und zum Heiligen.

Agamben:

"Den Griechen war das Tierische und das Heilige zugänglich, nicht aber das Menschliche als eigenständige Sphäre. Christus hat uns vom Tier ebenso wie vom Gott getrennt und zum Menschlichen verdammt."

Das sagbare Mädchen hat jeglichen Bezug zum Tierischen und zum Heiligen verloren. Seine Sphäre ist das rein Menschliche. Es hat kein Geheimnis mehr. Und gerade weil es kein Geheimnis mehr hat, ist es rein sagbar. Es hält sich allein im Heute oder besser in dem, was Heute sagbar ist, auf. Dem sagbaren Mädchen sieht man seine Geheimnislosigkeit sofort am Gesicht an. Glatt. Schön. Ebenmäßig. Lesbar. Ein Gesicht "für den anderen", geschaffen wie für´s Fernsehen.

Das sagbare Mädchen fühlt sich in seinem sagbaren Mädchensein sichtbar wohl. Es steht weder in einem Spannungsverhältnis zum eigenen noch zum anderen Geschlecht. Das Geschlecht ist für das sagbare Mädchen etwas unproblematisches.  Es gibt für das sagbare Mädchen schon auch Probleme. Doch diese entspringen allein dem Heute. Und sind Morgen dann auch schon wieder andere. Zu den wesentlichen Dingen wie der Geschlechtlichkeit hat das sagbare Mädchen ein entspanntes Verhältnis.

Ganz anders das unsagbare Mädchen.

Agamben:

"Die Unbestimmtheit, die der Kore, dem göttlichen Mädchen, eignet, ist noch beunruhigender, denn sie neigt dazu, den Unterschied zwischen den zwei wesentlichen Figuren der Weiblichkeit in Frage zu stellen und aufzuheben: der Frau (Mutter) und dem Mädchen (die Jungfrau). Wobei jungfräulich hier nicht im anthropomorphischen Sinne zu verstehen ist. Das Urelement, um das es sich bei der Kore handelt, erscheint eher hetärenhaft als jungfräulich."

Das unsagbare Mädchen gewinnt also sein Geheimnis, weil es zwischen den beiden Polen Mutter und Hetäre changiert. Es lässt sich dazwischen nicht dingfest machen. Das sagbare Mädchen ist ganz dingfest. Es ist die vollkommene Mitte. Es hat nichts Jungfräuliches und auch nichts Hetärenhaftes mehr. Es ist normal und dabei aber hübsch. What you see is what you get. Aber auch nicht mehr.

Das unsagbare Mädchen war für den Mann eine Hilfe, sich in seinem Menschsein zu verlieren und als etwas Neuem wiederzufinden. Sie war für den Mann wie eine Initiation.

Agamben:

"Das Leben wie eine Weihe leben. Aber in was werden wir eingeweiht? Nicht in eine Lehre, sondern in das Leben selbst und darin, dass es kein Mysterium, kein Geheimnis hat. Das haben wir gelernt, dass es kein Geheimnis gibt, nur ein unsagbares Mädchen. Die Menschen sind Lebende, die, im Unterschied zu anderen Tieren, in ihr Leben eingeweiht werden müssen, die sich also zuerst im Menschlichen verlieren müssen, um sich im Lebenden wiederzufinden und umgekehrt."

Das sagbare Mädchen bindet den Mann anders als das unsagbare Mädchen nur um so fester an sein bloßes Menschsein. Sie ist keine Initiation. Sie ist einfach nur das Heute.

Für das unsagbare Mädchen steht Perseiphonea, die Göttin auch der Unterwelt. Das unsagbare Mädchen ist immer auch gefährlich.

Für das sagbare Mädchen steht die Nachrichtenansagesprecherin, die Göttin der Jetzt-Zeit. Mit ihrem hübschen, glatten Gesicht, das ganz für den anderen da ist. Bei der Ansage einer Nachricht und als Ergänzung in ihrer Metamorphose im Porno.

Das sagbare Mädchen ist vollkommen harmlos. Und gerade deswegen unrettbar verloren.


Anmerkung von toltec-head:

Alle Zitate aus:

Giorgio Agamben, Das unsagbare Mädchen, Fischer, 2012

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Kommentare zu diesem Text


 Lala (12.03.13)
Das sagbare Mädchen frisst Sperma zum Frühstück. Das unsagbare Mädchen ist so unsagbar mit Unsagbarem verklebt, dass es nicht mehr aus der Mitte des Heftes auseinandergeklappt werden kann.
Jack (33) meinte dazu am 12.03.13:
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 toltec-head antwortete darauf am 12.03.13:
"Das sagbare Mädchen frisst Sperma zum Frühstück." Na, sag das mal Marietta Slomka.
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