Ich kam vom Himmel und flog zur Wohnung von Emma K. herab. Warum es mich trieb den Himmel herabzufliegen, anstatt mit dem Aufzug weiter nach oben durchzustarten, weiß ich nicht mehr so genau. Einen Wunsch hatte auch ich zu Weihnachten frei, und es zog mich dieses Mal nach unten. Der Besuch bei Gabriel im letzten Jahr hatte mir, abgesehen davon, auch nicht so gut getan.
Hinter dem Namen Emma K. blinkte in unserer Datenbank ein dreifaches violettes Ausrufezeichen, und das sagt schon alles. Keiner wollte sie haben: Wir hatten auch abgelehnt, weil wir nicht die passenden Beschäftigungsmöglichkeiten für sie haben - das gehört unbedingt geändert! - und auf Erden wollte sie niemand, weil sie dort nur nervt. Als Gründe stehen auf der Liste:
- Sie geht keiner geregelten Tätigkeit nach.
- Sie flirtet auf dem Amt mit jedem Sachbearbeiter.
- Ihre vier Kinder hat sie auf die jeweiligen Väter verteilt.
- Sie hat keine Gardinen vor den Fenstern, deshalb schaut Herr W. permanent mit dem Fernrohr zu ihr
herüber.
- Sie stellt zur Kehrwoche die Mülltonnen nicht heraus.
Mich überzeugten diese Gründe nicht.
Emma K. hatte auch heute ihre Fenster nicht geputzt. Fliegendreck, Fingerabdrücke und Fettflecken wechselten sich ab. Durch eine freie Stelle konnte ich in ihren Wohnraum schauen. Gerümpel stapelte sich überall: gefüllte und leere Plastiktüten vom Penny - Markt, ein Schwangerschaftstest, ausgeleerte Kaffeebecher, eine einzelne Stuhllehne, einer zusammengeknüllte Bluse, ein als ungültig abgestempelter Personalausweis und jede Menge bunter Duplo-Steine.
Ein blau-weiß gestreiftes Sofa stand mitten im Raum, in Schieflage wegen eines abgebrochenen Beins.. Auf ihm lag Emma K. Unter dem Buchstaben R fand ich auf meinem I - Pad das Wort ramponiert. Und das war sie. Ramponiert! Ihre Haare, hellblond gefärbt, zeigten deutlich einen schwarzen Haaransatz. Unter ihren geschlossenen Augen zogen sich bis zum Kinn schwarze Spuren. Das war vermutlich Wimperntusche. Um ihren Mund herum leuchtete es orange, während ihre Lippen blässlich - blau wirkten. Sie seufzte und drehte sich auf dem Sofa herum; die Decke schob sich zur Seite, entlang ihres Körpers erstreckte sich ein enges schwarzes Kleid, das in einem zerrissenen Saum mündete. Einer meiner Flügel kratzte wohl an dem Fenster, denn Emma fuhr plötzlich hoch. Sie lief zum Fenster und schaute mich durch die freie Stelle an. ,,Happy Christmas, Weihnachts aähh äh äh…!” , rief ihr Clownsmund mir entgegen. ,,Merry Christmas, Emma!” , antwortete ich. Emma öffnete das Fenster. Ich flog herein.
Emma bot mir eine Tasse Kaffee an, doch der Heißwasserboiler war kaputt, und es klebten nur noch Reste von Pulverkaffee an den Wänden einer Plastikdose. Ich erstellte mit Emma zusammen eine Einkaufsliste und gab ihr ein paar Münzen, um das Nötigste in einer Tankstelle zu besorgen. Emma zog einen schwarzen Mantel über, auf dem sich Haare zogen, nahm eine Plastiktüte in die Hand und verließ die Wohnung. Ich hörte sie durch das geöffnete Fenster trällern. Mit meinem rechten Flügel scharrte ich den Müll zusammen und warf ihn in eine Mülltonne, die vorm Haus stand. Dann reparierte ich das Sofa und schüttelte die Decke aus. Als Emma zurückkam, war ich dabei, die Wände zu putzen.
,,Lass, lll, lll...a...sss..“ Emma hatte ein wenig getrunken. Der Hals der Sektflasche ragte aus ihrer Plastiktüte heraus. ,,La la lass die Wandzeichnung in n n R R R uuu hhhe! Sie ist ve von Pepe.“ Emma schlug mit einem Arm nach mir.
Unter der Fettschicht erkannte ich ein blaues und rotes Gekritzel. Ich schaute genauer hin und entdeckte in den Runen eine Skizze eines kleinen Jungen, Hand in Hand mit einer Frau. Darunter stand ungelenk: ,,Hab Dich lieb, Mama!“ Pepe war ihr Kind, und ich schaltete etwas spät. Dann bat Emma mich, Pepe zu diesem Weihnachtsfest einzuladen. Über unserer Datenbank konnte ich ihn finden, und ich flog zu dem Haus hinüber, in dem er weinend vor einem Weihnachtsbaum stand. Er entdeckte mich am Fenster und lief aus dem Haus. Als ich mit ihm bei Emma eintraf, hatte sie die gröbsten Spuren ihrer Schminke entfernt und ein neues Kleid angezogen. Kaffee hatte sie auch gekocht, und sie wankte auch nicht mehr. Pepe hielt sich an ihrem Kleid fest. Sie führte ihn zu seinen Geschenken. Aus einem behelfsmäßigen Tisch hatte sie einen Gabentisch gemacht. Pepe fand einen Lego-Spiderman, eine Tafel Nussschokolade, einen Kinogutschein und eine große Tüte Pop-Corn vor. Wir aßen dann noch ein paar Schoko-Donuts und tranken Saft und Sekt(Emma). Pepe und Emma lagen später nebeneinander auf dem gestreiften Sofa und sangen sich gegenseitig Lieder aus der rock machine vor. Als ich morgens um 5 Uhr das Haus verließ, schnarchten sie.