Engel
Erzählung zum Thema Aufbruch
von Vessel
Es war drei Monate her, dass ich in die Dreizimmerwohnung im ersten Stock zog. Die Innenstadt anzusehen hatte ich mir fürs Frühjahr vorgenommen und die Tage begannen wärmer zu werden.
Ich war Autor für Jugendbücher und mein letztes Buch hatte sich kaum mehr als mäßig verkauft. So beschloss ich eine Auszeit zu nehmen, Inspiration zu suchen, umzuziehen. Ich fühlte, dass mir das Leben zu entgleiten begann und wollte etwas daran ändern. Als ich die Wohnung verließ, hatte ich ein gutes Gefühl. Ich wollte mich ein wenig umsehen und ein Stück weiter gehen, und nicht nur bis zum nächsten Supermarkt. Vielleicht ein neues T-Shirt kaufen oder eine Hose.
In einem Markenladen suchte ich mir ein Shirt mit dem aufgedruckten Namen von einem erfolgreichen Baseball- oder Footballspieler aus, es war ein gelbes und ich fand, das es besser zum Frühjahr passte, als meine anderen Sachen. In einer Drogerie kaufte ich Waschlotion mit Aprikosenkernpeeling und eine Pflegecreme deren Packung mir zusagte.
Zuhause zog ich mein neues T-Shirt an und stellte mich vor den Spiegel, ich setzte eine Sonnenbrille auf, eine mit kleinen, viereckigen Gläsern, die nicht mehr modern sind und betrachtete mich. Ich würde mehr für mich tun, für meinen Körper, vielleicht ins Fitnesscenter gehen, ich erinnerte mich ein paar Blocks weiter die Reklametafel für eines gesehen zu haben.
Ich duschte und seifte mich mit dem neuen Peeling ein, danach benutze ich die Creme. Ich fühlte mich jung und motiviert, fürs Leben bereit.
Dann ging ich auf den Balkon, es war kühl, dennoch blieb ich im T-Shirt, ich hatte die Sonnenbrille wieder aufgesetzt, die Sonne war hinter den Häuserblocks nicht mehr zu sehen. Ich war bisher nie auf dem Balkon gewesen, unter mir war die Fußgängerzone. Ich hörte Klappern und Klirren von Geschirr, ein Café war direkt unterhalb des Balkons und die Sitzgelegenheiten wurden von einer dunkelgrünen Markise vor meinen Blicken verborgen. Ich klappte den Liegestuhl auf, der zum Mobiliar der Wohnung gehörte und streckte mich auf dem kalten Plastik aus. Ich nahm mir vor, demnächst einen Bezug zu kaufen.
Ich saß da und lauschte, mit der Zeit lernte ich die Geräusche zu differenzieren: Geräusche vom Café, Gespräche von der Fußgängerzone, ab und an ein vorbeifahrendes Fahrzeug. Es wurde dunkler und kühler, die Gespräche wurden vereinzelter, hastige Schritte waren immer wieder zu hören. Das hohle Klicken von Absätzen, das dumpfe Klacken von Stiefeln. Mir fröstelte und ich stand auf und ging in die Wohnung zurück. Als ich im Bett lag, stellte ich mir vor, über der Stadt zu fliegen. Ich hatte ein gelbes Shirt an und trug eine Sonnenbrille. Die Menschen auf den Straßen waren nur bunte Punkte, der Boden schien trotzdem zum Greifen nahe, ich konnte die Punkte mit dem Finger berühren, wenn ich wollte. Sie verwischen, zu einem Kunstwerk aus tausend farbigen Schlieren.
Am morgen blieb ich lange liegen, ich plante für den Tag, ganz ausführlich und als ich aufstand war es schon spät und ich dachte, ich werde morgen alles erledigen: einen Überzug für den Liegestuhl kaufen, Kaffeepulver, unten einen Cappuccino bestellen. Ich saß auf dem Liegestuhl, länger wie am Tag zuvor. Es wurde kühl und ich zog einen Pullover über. Ich ging erst ins Haus, als es dunkel war.
Es wurde von Tag zu Tag wärmer, ich saß lange auf dem Balkon und genoss die Geräusche des Lebens, welches unter mir stattfand und fühlte mich den Menschen auf der Straße verbunden, ich hatte Teil an ihrem Alltag. Abends zog ich mir immer seltener etwas Warmes an, ich lernte die Kühle auf meiner Haut zu lieben, jeden Luftzug auszukosten, der sich in die Straßenschluchten verirrte. Ich lauschte den Gesprächen der Leute unten im Café, ich ordnete das Klappern und Klacken in Teller, Löffel, Tassen ein, ich kategorisierte die Schritte, jeder hatte etwas Eigenes, manchmal war es der sichere Tritt mit den dünnen Absätzen einer Sekretärin, manchmal ein sanftes, schnelles Traben von Kinderfüßen.
Einmal regnete es, wochenlang hatte es nicht geregnet und ich freute mich über die Abwechselung. Der Regen verlieh der Stadt etwas neues, Beruhigendes, Sakrales. Die Fußgängerzone war leer, die wenigen Passanten hasteten und redeten nur gedämpft oder gar nicht, das stete Rauschen und die kühle Luft gefielen mir. Von da an freute ich mich über jeden Regentag. Der Liegestuhl war immer noch unbezogen.
Bald begann ich mit freiem Oberkörper draußen zu sitzen. Irgendwann zog ich meine Hose aus und meine Unterhose und lag nackt auf dem Liegestuhl, ich kümmerte mich nicht um die Balkone rechts und links neben mir. Es war, als sei mein Gehör geschärft, seit ich nackt war, die Geräusche, alles schien so viel näher zu sein, so direkter. Ich folgte den Gesprächen der Menschen, die sich unter mir im Café trafen, so als säße ich bei ihnen und lernte die Stimmen kennen. Manche kamen jeden Tag her. Es war, als säße das Mädchen, das unten sprach direkt neben mir. Sie hatte eine angenehme Stimme und ich stellte mir vor, das sie auch nackt ist und ihre Beine spreizt. Ich spürte meine Erregung und dachte, ich höre auch die Erregung in ihrer Stimme. Ein Engel bin ich, dachte ich, ich wache über der Stadt, aber niemand sieht mich und ich träumte in dieser Nacht. Ich flog über der Stadt, doch war es vielmehr die Stadt, die unter mir zu schweben schien. Ich sah die Menschen wie Ameisen, die wie von einer Strömung entlang der Straßen getragen wurden, und ich hörte jedes Wort, das sie sagten. Die Sätze verbanden sich zu einem dichten Gemisch, zu einem weichen Teppich, der mich auffing und ich schwebte auf diesem Teppich aus Lauten und Worten und ich fühlte mich leicht und frei.
Seit einigen Tagen war von irgendwo unter dem Balkon ein stetiges Rauschen zu hören, wie von einer Lüftung oder einer Klimaanlage, es war Sommer geworden und die Geräusche der Straßen hatten sich langsam verändert. Vom geschäftigen, fleißigen Gerede und Gelaufe waren die Menschen zu einem ruhigen, fast lethargischen Schritt übergegangen, sie ließen sich mehr und mehr von der Menge treiben und im Café wurden die Stimmen ab und an lauter, manchmal rief einer etwas. Es war ganz anders, als das vorsichtige Flüstern des Frühjahres. Ich blieb jetzt oft auch über Nacht draußen, ich hörte die Stimmen der Jugendlichen, die noch in einen Club gingen, oder in eine Bar. Die Mädchen lachten und es war mir, als ginge ich mit ihnen, ich stand mit ihnen am Tresen, ich tanzte. Morgens hatte ich schmerzende Abdrücke von den Latten des Plastikstuhls auf dem Rücken.
Ich aß kaum noch, es genügte mir den Menschen beim essen unten im Café zuzuhören, das Klappern der Messer und Gabeln auf das Porzellan, das Klirren der Löffel beim umrühren der Getränke. Mein Verleger hatte vor einigen Tagen angerufen und sich nach mir erkundigt. Ich sagte, es sei alles in Ordnung. Er drängte mich nicht und ich musste ihn nicht abwimmeln, er legte mit besten Wünschen auf und ich ging wieder auf den Balkon und streckte mich auf den Liegestuhl aus. Immer öfter erinnerte ich mich an meine Jugend, ich erinnerte mich an Gedichte, die ich damals in den Sommerferien geschrieben hatte.
Ich nahm ab und wurde braun, ein paar mal bekam ich einen Sonnenbrand, der jedoch immer schnell verheilte. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, ich bestellte das Probeabonnement einer Regionalzeitung und begann nach Wohnungsangeboten zu suchen. Es dauerte einige Zeit, bis ich etwas gefunden hatte, das mir zusagte, eine Mietwohnung in einem Block etwas außerhalb einer anderen Stadt. Ich fühlte mich erfüllt von den Eindrücken des Sommers.
In meinen Gedanken entstand ein neues Buch. Es würde von einem Jungen handeln, der sich wünscht ein Superheld zu sein, mit irgendwelchen verrückten Fähigkeiten, damit er das Mädchen beeindrucken kann, in das er verliebt ist. In seinen Träumen würde er fliegen können, hoch über den Häusern, und er würde sie in den Armen halten und mit ihr fliegen. Aber jeden morgen wacht er doch nur als der kleine Junge auf, der viele Wünsche hat und Träume.
Ich war Autor für Jugendbücher und mein letztes Buch hatte sich kaum mehr als mäßig verkauft. So beschloss ich eine Auszeit zu nehmen, Inspiration zu suchen, umzuziehen. Ich fühlte, dass mir das Leben zu entgleiten begann und wollte etwas daran ändern. Als ich die Wohnung verließ, hatte ich ein gutes Gefühl. Ich wollte mich ein wenig umsehen und ein Stück weiter gehen, und nicht nur bis zum nächsten Supermarkt. Vielleicht ein neues T-Shirt kaufen oder eine Hose.
In einem Markenladen suchte ich mir ein Shirt mit dem aufgedruckten Namen von einem erfolgreichen Baseball- oder Footballspieler aus, es war ein gelbes und ich fand, das es besser zum Frühjahr passte, als meine anderen Sachen. In einer Drogerie kaufte ich Waschlotion mit Aprikosenkernpeeling und eine Pflegecreme deren Packung mir zusagte.
Zuhause zog ich mein neues T-Shirt an und stellte mich vor den Spiegel, ich setzte eine Sonnenbrille auf, eine mit kleinen, viereckigen Gläsern, die nicht mehr modern sind und betrachtete mich. Ich würde mehr für mich tun, für meinen Körper, vielleicht ins Fitnesscenter gehen, ich erinnerte mich ein paar Blocks weiter die Reklametafel für eines gesehen zu haben.
Ich duschte und seifte mich mit dem neuen Peeling ein, danach benutze ich die Creme. Ich fühlte mich jung und motiviert, fürs Leben bereit.
Dann ging ich auf den Balkon, es war kühl, dennoch blieb ich im T-Shirt, ich hatte die Sonnenbrille wieder aufgesetzt, die Sonne war hinter den Häuserblocks nicht mehr zu sehen. Ich war bisher nie auf dem Balkon gewesen, unter mir war die Fußgängerzone. Ich hörte Klappern und Klirren von Geschirr, ein Café war direkt unterhalb des Balkons und die Sitzgelegenheiten wurden von einer dunkelgrünen Markise vor meinen Blicken verborgen. Ich klappte den Liegestuhl auf, der zum Mobiliar der Wohnung gehörte und streckte mich auf dem kalten Plastik aus. Ich nahm mir vor, demnächst einen Bezug zu kaufen.
Ich saß da und lauschte, mit der Zeit lernte ich die Geräusche zu differenzieren: Geräusche vom Café, Gespräche von der Fußgängerzone, ab und an ein vorbeifahrendes Fahrzeug. Es wurde dunkler und kühler, die Gespräche wurden vereinzelter, hastige Schritte waren immer wieder zu hören. Das hohle Klicken von Absätzen, das dumpfe Klacken von Stiefeln. Mir fröstelte und ich stand auf und ging in die Wohnung zurück. Als ich im Bett lag, stellte ich mir vor, über der Stadt zu fliegen. Ich hatte ein gelbes Shirt an und trug eine Sonnenbrille. Die Menschen auf den Straßen waren nur bunte Punkte, der Boden schien trotzdem zum Greifen nahe, ich konnte die Punkte mit dem Finger berühren, wenn ich wollte. Sie verwischen, zu einem Kunstwerk aus tausend farbigen Schlieren.
Am morgen blieb ich lange liegen, ich plante für den Tag, ganz ausführlich und als ich aufstand war es schon spät und ich dachte, ich werde morgen alles erledigen: einen Überzug für den Liegestuhl kaufen, Kaffeepulver, unten einen Cappuccino bestellen. Ich saß auf dem Liegestuhl, länger wie am Tag zuvor. Es wurde kühl und ich zog einen Pullover über. Ich ging erst ins Haus, als es dunkel war.
Es wurde von Tag zu Tag wärmer, ich saß lange auf dem Balkon und genoss die Geräusche des Lebens, welches unter mir stattfand und fühlte mich den Menschen auf der Straße verbunden, ich hatte Teil an ihrem Alltag. Abends zog ich mir immer seltener etwas Warmes an, ich lernte die Kühle auf meiner Haut zu lieben, jeden Luftzug auszukosten, der sich in die Straßenschluchten verirrte. Ich lauschte den Gesprächen der Leute unten im Café, ich ordnete das Klappern und Klacken in Teller, Löffel, Tassen ein, ich kategorisierte die Schritte, jeder hatte etwas Eigenes, manchmal war es der sichere Tritt mit den dünnen Absätzen einer Sekretärin, manchmal ein sanftes, schnelles Traben von Kinderfüßen.
Einmal regnete es, wochenlang hatte es nicht geregnet und ich freute mich über die Abwechselung. Der Regen verlieh der Stadt etwas neues, Beruhigendes, Sakrales. Die Fußgängerzone war leer, die wenigen Passanten hasteten und redeten nur gedämpft oder gar nicht, das stete Rauschen und die kühle Luft gefielen mir. Von da an freute ich mich über jeden Regentag. Der Liegestuhl war immer noch unbezogen.
Bald begann ich mit freiem Oberkörper draußen zu sitzen. Irgendwann zog ich meine Hose aus und meine Unterhose und lag nackt auf dem Liegestuhl, ich kümmerte mich nicht um die Balkone rechts und links neben mir. Es war, als sei mein Gehör geschärft, seit ich nackt war, die Geräusche, alles schien so viel näher zu sein, so direkter. Ich folgte den Gesprächen der Menschen, die sich unter mir im Café trafen, so als säße ich bei ihnen und lernte die Stimmen kennen. Manche kamen jeden Tag her. Es war, als säße das Mädchen, das unten sprach direkt neben mir. Sie hatte eine angenehme Stimme und ich stellte mir vor, das sie auch nackt ist und ihre Beine spreizt. Ich spürte meine Erregung und dachte, ich höre auch die Erregung in ihrer Stimme. Ein Engel bin ich, dachte ich, ich wache über der Stadt, aber niemand sieht mich und ich träumte in dieser Nacht. Ich flog über der Stadt, doch war es vielmehr die Stadt, die unter mir zu schweben schien. Ich sah die Menschen wie Ameisen, die wie von einer Strömung entlang der Straßen getragen wurden, und ich hörte jedes Wort, das sie sagten. Die Sätze verbanden sich zu einem dichten Gemisch, zu einem weichen Teppich, der mich auffing und ich schwebte auf diesem Teppich aus Lauten und Worten und ich fühlte mich leicht und frei.
Seit einigen Tagen war von irgendwo unter dem Balkon ein stetiges Rauschen zu hören, wie von einer Lüftung oder einer Klimaanlage, es war Sommer geworden und die Geräusche der Straßen hatten sich langsam verändert. Vom geschäftigen, fleißigen Gerede und Gelaufe waren die Menschen zu einem ruhigen, fast lethargischen Schritt übergegangen, sie ließen sich mehr und mehr von der Menge treiben und im Café wurden die Stimmen ab und an lauter, manchmal rief einer etwas. Es war ganz anders, als das vorsichtige Flüstern des Frühjahres. Ich blieb jetzt oft auch über Nacht draußen, ich hörte die Stimmen der Jugendlichen, die noch in einen Club gingen, oder in eine Bar. Die Mädchen lachten und es war mir, als ginge ich mit ihnen, ich stand mit ihnen am Tresen, ich tanzte. Morgens hatte ich schmerzende Abdrücke von den Latten des Plastikstuhls auf dem Rücken.
Ich aß kaum noch, es genügte mir den Menschen beim essen unten im Café zuzuhören, das Klappern der Messer und Gabeln auf das Porzellan, das Klirren der Löffel beim umrühren der Getränke. Mein Verleger hatte vor einigen Tagen angerufen und sich nach mir erkundigt. Ich sagte, es sei alles in Ordnung. Er drängte mich nicht und ich musste ihn nicht abwimmeln, er legte mit besten Wünschen auf und ich ging wieder auf den Balkon und streckte mich auf den Liegestuhl aus. Immer öfter erinnerte ich mich an meine Jugend, ich erinnerte mich an Gedichte, die ich damals in den Sommerferien geschrieben hatte.
Ich nahm ab und wurde braun, ein paar mal bekam ich einen Sonnenbrand, der jedoch immer schnell verheilte. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, ich bestellte das Probeabonnement einer Regionalzeitung und begann nach Wohnungsangeboten zu suchen. Es dauerte einige Zeit, bis ich etwas gefunden hatte, das mir zusagte, eine Mietwohnung in einem Block etwas außerhalb einer anderen Stadt. Ich fühlte mich erfüllt von den Eindrücken des Sommers.
In meinen Gedanken entstand ein neues Buch. Es würde von einem Jungen handeln, der sich wünscht ein Superheld zu sein, mit irgendwelchen verrückten Fähigkeiten, damit er das Mädchen beeindrucken kann, in das er verliebt ist. In seinen Träumen würde er fliegen können, hoch über den Häusern, und er würde sie in den Armen halten und mit ihr fliegen. Aber jeden morgen wacht er doch nur als der kleine Junge auf, der viele Wünsche hat und Träume.