Nachbarschaftshilfe

Satire zum Thema Alltag

von  Lala

Ich lebe in einem durchschnittlichen Wohngebiet. Ich lebe in einem durchschnittlichen Bezirk. Meine Stadt in der ich lebe, heißt Berlin.

Vor einem halben Jahr hatte es angefangen. Aus dem Nichts. Der Nachbar von gegenüber hatte jahrelang unauffällig in unserer anonymen Mitte gelebt. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass er verhaltensauffällig werden könnte.

Alles begann an einem Samstagvormittag. Ein hässliches Geräusch weckte mich aus meinen ehelichen Träumen. Verärgert aber auch neugierig entstieg ich dem Doppelbett und versuchte geräuschlos auf den Balkon zu kommen.

Mit kneistenden Augen, versuchte ich zu erkennen, welches Geschehen sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite ereignete.  Einer unser Nachbarn war offenkundig dabei, eine Passantin mit einer Motorsäge zu zerstückeln. Jedenfalls glaubte ich das einen Moment, weil ich die Szene ob meiner Sehschwächen nicht scharf stellen konnte und die Alte zeternd und zornig herumkeifte. Sie zeihte ihn, ein Idiot oder wahlweise ein arrogantes Arschloch zu sein.
Ihre sich überschlagende Stimme war noch grausamer als das Sägegeräusch.
Was war geschehen?
Der Mann hatte offenkundig ein Möbelstück zersägt. Sein Möbelstück. Dieser Umstand hatte das Gemüt der Frau trotzdem erregt. Warum eigentlich? Soll er doch, sagte ich mir. Den gekreischten Wortfetzen der alten Dame, die mir zuflogen, entnahm ich, dass der Mann ein wertvolles und sehr gut erhaltenes Stück, eine sehr, sehr geile Truhe zerstört hätte. Die hätte gut und gerne Tausende von Euros eingebracht.
Der Säger blieb trotz des Gekeifes der Alten ungerührt. Er lächelte, als er die Säge wieder einschaltete und auf seinem Tun beharrte. Was er der Alten während der Säge-Pause als Erklärung gesagt hatte? Habe ich nicht verstehen können.

Nach einer Viertelstunde war der Spuk vorbei. Die Truhe war zu Kleinholz verarbeitet. Unwiederbringlich verloren. Die Frau war kopfschüttelnd und den Tränen nah von dannen gegangen. Ich maß dem Ganzen keine Bedeutung bei.  „Na gut“, dachte ich, da hatte jemand ein womöglich wertvolles Stück einfach so vernichtet. „Ja gut“, sagte ich mir und meinte damit: das sei natürlich nicht gut. Aber vielleicht war es ein Erbstück eines verhassten Familienmitgliedes? Eines Onkels, der ihn im Keller missbraucht oder seine Mutter für eine Mathenachhilfeschülerin hat sitzen lassen? Was immer es war, es konnte alles mögliche sein! Das machte mich müde.

Als ich wieder ins Schlafzimmer ging, bemerkte ich, dass das Bett leer war. Meine Frau, mein Schatz, meine Liebste, mein wertvollstes Schmuckstückchen war also auch schon aufgestanden. Ohne mir einen Guten Morgenkuss zu geben.


Wenig später nach dem Mord meines Nachbarn an seiner Truhe, fiel mir auf, dass er sein Auto, einen SUV, der extrem deplatziert in unserem Bezirk wirkte, nur noch am Straßenrand parkte. Was mir eine potentielle Freifläche raubte und meine Zeit einen Parkplatz zu finden erheblich steigerte. Eigentlich blockierte er sogar zwei Plätze, weil er die Karre so beschissen einparkte, dass entweder vor oder hinter ihm maximal nur noch ein Smart Platz gehabt hätte. Sehr smart. Eigentlich hatte er für seinen Panzer in der Garage einen Patz angemietet. Den benutzte er aber nicht und so blieb der angemietete Platz leer egal wie eng es oben zuging.

Aber nicht dieser Parkplatzraubbau raubte meinen anderen Nachbarn den Nerv. Viel schlimmer war es, dass er sein Auto nicht mehr wusch; ja sogar begann es absichtlich beschädigen.

Dieser Hooliganismus schien die Leute mehr zu verstören, als die Zerstörung eines antiken Möbelstücks.

Bei meinem Karren, hatte ich es auch schon erlebt, dass jemand „Wasch mich“ in den Dreck meiner Heckscheibe geschrieben hat. Einmal, als ich mein eigenes Auto abgestellt hatte, bekam ich mit, dass unser Hausmeister, selbst ein Autonarr, den Mann darauf ansprach. Er reagierte aber nicht darauf. Blickte nur verständnislos, was unseren Hausmeister am Geisteszustand des Mannes zweifeln ließ. Der Hausmeister sprach mich später, als die Situation eskaliert war, darauf auch an, ob ich denn nicht mitgekriegt hätte, dass der Mann nicht mehr ansprechbar gewesen sei und er es doch auch im Guten versucht hätte. Ja, wir haben es alle im Guten versucht. Alle. Aber unser Nachbar kommunizierte nicht mit uns. Jedenfalls nicht verbal.
Wenige Tage, nachdem der Hausmeister das Gespräch mit unserem Nachbar gesucht und nicht gefunden hatte, fand ich in meinen Briefkasten einen Brief vor. Ich solle eine Petition unterschreiben. Nein, sie war nicht mit „Rettet die Wale“ überschrieben. Es ging allen Ernstes um den SUV. Der war mittlerweile in einem bemitleidenswerten Zustand. Zerkratzt, zerbeult, beschmiert und unsagbar dreckig. Der arme SUV sah aus wie ein langhaariger Fuddel und obwohl dieses Vehikel gar nicht in unsere Gegend passte, dieses Ungetüm von Auto, besorgten sich tatsächlich meine Mitbewohner um ihn. Sie hielten den Zustand des Wagens für eine Sauerei und eine Frechheit. Die Petition unterschrieb ich natürlich nicht.
Warum ausgerechnet ich derjenige war, den mein Nachbar als Erstes gesehen hatte, nachdem er seinen von außen wie innen (!) frisch, gewaschenen und gewienerten SUV betrachtete, kann ich mir nur mit Schicksal erklären. Aber warum es mein Schicksal gewesen ist? Keine Ahnung. Egal, der Eigentümer des SUVs ging immer wieder ungläubig staunend aber auch verstört um sein Auto herum. Er konnte nicht glauben, was er da sah. Der Wagen hatte zwar immer noch Lackschäden und Beulen, aber er sah doch jetzt recht anständig aus. So als hätte er seinen Stolz zurückbekommen. Irgendwas von Stolz stand auch in übergroßen Lettern auf dem Zettel, den der konsternierte Eigentümer in der Hand hielt und der wohl an oder in seinem Auto geklemmt haben musste.  Als er mich bemerkte, blieb er ruckartig stehen und blinzelte mich wütend an. Ich begriff sofort, dass er mich als Rädelsführer dieser Verschwörung gegen sein Auto ausgemacht haben musste. Entschuldigend hob ich meine Arme, schüttelte den Kopf und ging schnell an ihm vorbei. Der Typ war offensichtlich wirklich nicht ganz dicht, dachte mir aber nichts dabei und hoffte irgendwie darauf, dass der Spuk vorüber sei. Weit gefehlt.
Nur drei Tage später fand ich meinerseits einen Zettel an meinem Briefkasten. Darauf waren ein Foto und ein Link. Schon ahnend was sich unter dem Link finden lassen würde, ging ich zu meiner Wohnung und stutzte, als ich vor derselben zunächst den Hauswart auf mich wartend vorfand. Er hätte auf mich gewartet wegen des Fotos und des Zettels, welchen ich da in Händen hielt. Als ich ihn darauf hinwies, dass er doch wohl nicht meine Post geöffnet, denn der Zettel war in einem Briefumschlag gewesen, der an meinem Postkasten geklebt hätte, meinte er nur, dass ich da in was hineingeraten sei, mit dem ich aber nichts zu tun hätte. Aha. Kurz und knapp: Irgendwie saßen wir beide kurz darauf in meinem Wohnzimmer und schauten auf einem Videoportal der vollständigen Zerstörung des SUVs meines Nachbarn durch meinen Nachbarn zu. Das Foto auf dem Zettel bildete den Rest des Wagens nach der Schrotpresse ab. Einen Klumpen Metall. Der Typ hat doch eine Macke, der hat doch nicht mehr alle Latten am Zaun, der ist ein Terrorist! Und dergleichen mehr wiederholte der Hausmeister ohne Unterlass beim Abspielen des Videos. Merkwürdigerweise wollte er es aber immer wieder sehen und soff dabei wie ein Suchtkranker meinen Kaffee. Nein, rauchen durfte er nicht, dann hätte mich meine Frau erschlagen. Während der fünften Wiederholung des Videos hörten wir auf einmal von draußen einen aufheulenden Motor und eine Hupe, die einem Kavalleriemarsch nachempfunden war. Wir guckten uns an und ahnten beide, was los war.
  Seltsam gelassen stand der Hausmeister auf meinem Balkon, sog an seiner Zigarette, während er anerkennend das neue Automobil betrachtete. Der Besitzer war ausgestiegen, nickte uns sardonisch zu und ging schnurstracks in seine Wohnung. Geile Karre meinte der Hausmeister mehrmals anerkennend. Und: was für eine Verschwendung. Ich war seltsam betäubt, so als ginge mich das Ganze nichts an. Obwohl ich spätestens jetzt nicht nur irgendwie, sondern mittendrin steckte. Was auch der Wart meinte: Naja, Sie stecken jetzt mit drin. Worin eigentlich?, begehrte ich zu wissen, worauf er mich anglotzte und ausstieß: Na, so geht das doch nicht! Das geht doch einfach nicht! Der kann doch hier keinen Krieg anfangen! Und damit hatte er mich auch an dem Tag stehen gelassen: So ginge das nicht.
  Das neue Auto hatte die Situation verschärft. Der Clip von der Zerstörung des alten Wagens war in der Nachbarschaft mittlerweile rum und jeder ahnte, was das Datum neben dem R. I. P. auf der Heckscheibe des nigelnagelneuen Luxuswagens zu bedeuten hatte. An dem Tag wollte er das neue Auto töten. Aber es kam noch besser: Kurz, nachdem mich der Nachbar mit dem Blockwart auf dem Balkon hatte stehen sehen, bekam ich Lieferscheinkopien ins Haus zugestellt. Der Erste war ein Lieferschein über hundert, ich wiederhole hundert brandneue, gerade erst auf den Markt geworfene Spielkonsolen. Hundert. Zu liefern an die Adresse des Nachbarn binnen einer Woche. Der Hausmeister, der natürlich auch davon wusste, nahm mich darauf beiseite und meinte nur: Wir müssten reden.
Die folgende Unterredung war entsprechend konspirativ. In einer Laube einer Gartenkolonie, die nicht unweit von meinem Block entfernt lag, fand das Treffen statt. Die Laube gehörte einem Mieter, dessen Namen ich kannte und den ich bislang nur zweimal im Jahr in meinem Haus gesehen hatte. Ein älterer, unscheinbarer Mann, dessen Frau vor ein paar Jahren verstorben war. Er sah für mich nicht aus wie der Führer einer Untergrundgang und seine mit Latinismen versehenen Ansprachen schläferten mich eher ein, als dass sie mich aufrührten. Aber er hatte die Wortführerschaft und begehrte zu wissen, wie man den Tod des Autos und die Anlieferung der Spielkonsolen verhindern könnte. Das war, so konspirativ es zuging, trotzdem ganz klassisch mit Tagesordnungspunkten, Erdbeerbowle und Frikadellen geregelt
Ein jüngeres Pärchen sprach gerade darüber, dass sich die Eltern in der Siedlung große Sorge machten, weil ihre Kinder und die Kinder von anderen Eltern von der Sache Wind bekommen hätten und nicht verstehen würden, wenn diese Konsolen alle zerstört werden würden. Der könne sie doch genauso gut verschenken? Darauf entbrannte eine wirre Diskussion um soziale Netzwerke, volkswirtschaftliche Regeln und Gerechtigkeit im Allgemeinen. Ich hatte zunächst noch gestutzt, als ich hörte, dass auch die Kinder in der Straße von Inhalten wussten, die eindeutig mir zugestellt worden waren, aber dann hatte ich die Rothaarige und ihren roten, dick und fett geschminkten Mund entdeckt. Natürlich rauchte sie. Natürlich wünschte ich mir, dass ich die Zigarette sei, und war ebenso entsetzt darüber. Wie billig ist das denn, schalt ich mich, konnte mich aber nicht von ihrem Anblick und ihrem Zigarettengenuss losreißen und verlor ich mich immer wieder in ihrem Tal der Stürme – Titten, wie ich mich sofort korrigierte. Megascharfe Riesentitten, die ich unbedingt befreien musste. Das war alles so komplett lächerlich und ich war froh, dass ich aus diesen pennälerhaften, feuchten Tagträumen durch die säuselnde Stimme des Lateiners gerissen wurde. Was? Was sollte ich tun? Fragte ich verdutzt wie verlegen in den Raum? Die Nachrichten des Nachbarn unverzüglich weiterleiten, bekam ich zur Antwort, weil er, der Feind, in mir ja den Anführer erkennen würde, was von der Versammlung leicht belustigt zur Kenntnis genommen wurde.
Da dieses Kassibern aber auch bislang ohne mein Zutun bis hin zu den Augen und Ohren des Nachwuchs der Nachbarschaft blendend funktioniert hatte, willigte ich ein und wurde prompt gefragt, wieviel ich denn für den Ankauf einer Gemeinschaftsspielkonsole für die Kinder der Nachbarschaft zu spenden bereit sei?
Auf dem Nachhauseweg von der Versammlung überlegte ich, wie ich das Zusammentreffen meiner Frau beschreiben würde, die täglich ärgerlicher über das Treiben in der Nachbarschaft wurde und mir vorhielt, mich wie ein Waschlappen zu verhalten. Was unserer eh schon angespannten Beziehung nicht gut tat. Ich solle mir ja nicht nochmal einfallen lassen, diesen fiesen Kerl von Hausmeister einfach so in unsere Wohnung zu lassen – dass der anscheinend auch unsere Post vorsortierte und auswertete, hatte ich ihr bisher verschwiegen und hatte auch vor es auch weiterhin nicht zu tun. So in Gedanken versunken, sprach mich plötzlich die Rothaarige an, die auf einmal neben mir einherging. Ihr war, fuhr sie fort, aufgefallen, dass ich sie die ganze Zeit über angestarrt hätte. Die Zigaretten hatten ihrer Stimme einen rauchigen Schmelz gegeben und ich war sofort wieder im Peter-Maffay-Feuchte-Hose-Modus. Keine Ahnung was ich zur Antwort herumgestammelt habe, aber sie lächelte mich sogar an und kurz bevor sich unsere Wege wieder trennten, berührte sie mit ihrem Zeigefinger, dem lackierten Nagel, meine Brust, zeichnete einen Kreis und flüsterte, dass wir uns besser wie vernünftige Erwachsene verhalten sollten. Aber klar doch. Das war eine eindeutige Einladung genau das Gegenteil zu tun. Ihre Berührung fühlte ich den ganzen nächsten Tag noch auf meiner Brust. Es war absurd: Ich war nicht Dustin Hoffman, eher Triple Siebzehn als Siebzehn und doch fühlte ich mich so. Es war grotesk. Du willst nur ficken, sagte ich mir an jenem Abend und ging zu Bett.

Der Tag der Konsole war der Tag unseres Nachbarn. Zwar war es unserer anonymen Nachbarschaftsbande gelungen eine Spielkonsole, gebraucht, für einen Gemeinschaftsraum zu organisieren, aber trotzdem war der Tag der Anlieferung einer ganzen Palette brandneuer Spielkonsolen zu einem Happening geworden. Der Lateiner hatte sogar versucht anwaltlich dagegen einzuschreiten, von wegen öffentlicher Ruhestörung oder Gefährdung des inneren Friedens. Ansinnen, welche unter anderem auch an der Bereitschaft sich an den Anwaltskosten zu beteiligen scheiterten. Jedenfalls erwarteten am Tag der Konsole drei, vier Dutzend Kinder und Halbstarke aus unserer Straße, den Ich-bin-doch-nicht-blöd Laster mit der Konsolen-Palette. Die Kids wollten nicht glauben, was passieren sollte. Sie glaubten irgendwie daran, dass der Typ der die Konsolen geordert hatte, wenn nicht verschenken so doch noch vielleicht für einen schmalen Taler verkaufen würde. So unsinnig wie naiv das auch sein mochte. Denn das, was passieren sollte, das war keine Option. Aber genau das passierte.
Da unser Nachbar im Erdgeschoss wohnte, hatte er seine Vorhänge abmontiert und einen freien Blick auf seine ansonsten blickdichte Wohnung zugelassen. Als die Palette im Wohnzimmer stand - und jedermann konnte sich davon überzeugen, dass hier ein Wohnzimmer zu besichtigen war, dass alle Schickimicki-Standards erfüllte - rückten alle unwillkürlich so weit wie möglich vor, pressten sich viele Kindernasen an die Scheiben während hinter dem Pulk Jugendlicher Erwachsene standen und mit dem Kopf wackelten, um auch einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Unwillkürlich verwandelte sich dieses Bild für mich in ein schwarz/weiß Foto aus den Tagen, an denen wir Weltmeister und Wirtschaftswunder geworden sind. Statt des 3:2 von Rahn oder der vollen Schaufensterläden des Willi Winzig Wirtschaftswunders, verfolgte die Masse nunmehr die Zerstörung von Hundert Spielkonsolen mit einer Kettensäge in einer Eigentumswohnung.  Aber so wie damals hatte die Menge Angst, etwas zu verpassen. Das gesamte Geschehen war in grobkörniges schwarz/weiß getaucht und im Hintergrund hörte ich die schnarrende Wochenschau Stimme Zimmermanns und eine Kettensäge. Bis ich wieder diesen fetten, roten Mund erblickte. Meine Frau hatte sich den Trubel erspart und war einen Tag vorher zu ihrer Mutter gefahren. Alles war verstummt, erstarrt und nur die roten Lippen schwebten über der grauen Menschenmenge, schmollten, verzückten, suchten mich und voila küssten mich – virtuell. Dann war der Spuk vorüber. Alles war wieder auf Knopfdruck Willy-Brandt-bunt. Sogar ein Streifenwagen mit Blaulicht war dabei gewesen. Die Kinder samt der anderen Schaulustigen zogen in stiller, zorniger Prozession wieder von dannen, der Lateiner schwadronierte noch mit dem Hauswart auf der Straße, mein Nachbar machte sich und sein Wohnzimmer wieder blickdicht und ich verzog mich auf die Toilette.

Woher hat der eigentlich die ganze Kohle? Wie kann der sich das alles leisten? Und warum lebt der überhaupt in unserer Straße? Mein alter Nachbar und heimlicher Führer der Nachbarschaftsgang hatte nicht zuletzt wegen seiner säuselnden Stimme jede Mühe die vielen Fragen und Verwirrungen nach dem Fiasko mit den Konsolen einzudämmen. Die Stimmung in der Gartenlaube der Verschwörer war merklich angeheizt.  Meine auch, denn meine Angebetete war auch wieder da und wieder wurde mir bewusst, dass ich eigentlich nur zu ihr gehen müsste, um alles zu bekommen. Die Sache war klar. Quid pro quo. Es ging nur darum zuzugreifen. Warum machte ich es nicht, fragte ich mich wieder und wieder und war noch irritierter, dass ausgerechnet sie neben den Theorien, dass er geerbt hätte oder ein Spekulant sei oder von unseren Zinsen lebe, obendrein ein herrliches Mannsbild sei. Ach … Es traf mich wie ein Schlag in die Eier. Herrliches Mannsbild? Keine Ahnung aber mitten in eine plötzlich eingetretene Stille der Diskussion raunte ich leider zu laut: Vielleicht müsste man das Problem grundsätzlich lösen?
Daraufhin haute jemand aus dem Laubenverschwörungsvorstand auf den Tisch und brüllte: Genau darum geht es! Wir müssen das Problem an den Wurzeln packen. Doch bevor er weiterreden konnte, schob sich der ehemalige Sparkassendirektor Dr. Habichvergessen mit seinem Rollstuhl vor und verkündete in die aufmerksam gewordene Menge: Er wüsste auch schon wie!
Immerhin handelte es sich beim querschnittsgelähmten Dr. um keinen Adonis, sodass ich mich wieder beruhigen konnte. Allerdings waren die Ausführungen des Doktors so seltsam, dass ich mir gewünscht hätte, sie nicht mitbekommen zu haben. Der Mann verlangte von uns wortwörtlich, den Spitzbuben von der anderen Straßenseite zu kidnappen. In zwei Wochen würde er das nächste Auto töten und ob wir diesem Geschehen wieder sprachlos beiwohnen wollen? Er kenne jemanden aus einem leider gescheiterten Startup Unternehmen der diesen neuronalen Defekt, denn um nichts anderes handele es sich bei dessen verschwenderischen Verhaltens, einen neuronalen Defekt, aber er kenne jemanden, der diesen Defekt in Nullkommanix beheben und den Mann heilen könnte.
Ob der Mann, den der Dr. da kenne und vorschlage auch zertifiziert sei, wollte der Lateiner wissen. Aber jederzeit. ISO 9100 und alles andere. Was er auch wolle. Die Wände dieses Chirurgen seien mit Zertifikaten und akademischen Titeln gepflastert. Man dürfe nicht zimperlich sein sondern daran glauben, dass wir eine Pionierleistung gegen die Verschwendungssucht vollbringen könnten, wiederholte der Akademiker im Rollstuhl. Wer die enttäuschten Gesichter unserer Kinder gesehen hätte, der wisse doch, was zu tun sei.
Das klang in meinen Ohren zunächst mehr als strange . Aber leider musste ich erkennen, dass es das nicht war, denn schnell drehte sich die Diskussion nur noch darum, wie und wann und gar nicht mehr darum ob überhaupt. Was mir aber erst dann bewusst wurde, als sich die Gemeinschaft der aufrichtigen Sparer (GaS), so nannten wir uns mittlerweile, einig darüber geworden war, dass ich, weil ich zu ihm einen Draht hätte, unseren Nachbarn in eine Falle locken müsste, um ihn gefahrlos kidnappen und kurieren zu können.
Natürlich war das unannehmbar für mich und es hätte meine Ehe endgültig zerstört. Aber ich sagte trotzdem zu und erntete genau den bewundernden Blick von ihr, den ich mir von diesem Versprechen erhofft hatte. Kreuzdoof, aber für den Moment sehr, sehr geil.

In den kommenden Tagen schob ich den Moment des Kidnappings auf. Wohlwissend das die Uhr tickte, denn noch ein Auto, so war es das Ziel unserer Gemeinschaft, durfte nicht in die Presse. Es war paradox: Einerseits versuchte ich meinen Schwanz einzuziehen, andererseits versuchte ich ihn bis durch das Dachgeschoss der Rothaarigen hindurch auszufahren. Wobei sich unser Hausmeister und Postminister, dem meine Begierden, wie auch sonst?, aufgefallen waren, darüber lustig machte, dass ich anscheinend geil auf die verrückte Schnalle sei, die alle vier Wochen die nicht nur gut gekleideten und körperlich noch besser ausgebildeten jungen Kerle der „Missionare Christi Kirche“ vernaschte und dabei ihre 10 CC und Supertramp MP3 Mixe so laut drehte, dass man sie beim Bumsen nicht höre. Ob mir das nicht aufgefallen sei? Der Mann war ein Prolet und Kaffeejunkie und daher tat ich seine Lästereien ab.
Fünf Tage vor Ultimo hielt ich ein Paket in den Händen. Es hatte mit der ganzen berichteten Sache nichts zu tun. Es war für sie und war bei mir gelandet. Ganz simpel. Jetzt hatte ich aber einen Grund zu ihr zu gehen. Jetzt konnte ich hundert Mal vögeln und zersägen, was meine Säge hergibt. Warum ich auf die Gelegenheit eines fehlgeleiteten Internetversandhandelspaketes gewartet hatte? Wollte ich das wissen? Nein, ich wollte liefern, Kurierdienst sein und ging zu ihr. Keine fünf Minuten später war ich wieder unten. Ich hatte mein Paket ausgeliefert. Mein Motorsägen-Nachbar hatte derweil weiterhin seinen Spaß daran, uns vorzuführen. Nach den Konsolen kamen Fernseher und dann Markenschuhe. Jeden Tag eine neue Palette für den Schredder. Er zahlte sogar teilweise bar, ließ sich Zeit die speckigen Scheine zu zählen und machte sich nach der Bezahlung sofort daran, die Ware öffentlich zu zerteilen. Er schreckte vor nichts zurück.
Die Stimmung in unserer Straße war radikal. Alle waren am Boden und ich musste Spießruten laufen, weil mich sogar die Kleinkinder schon darauf ansprachen, wann wir ihn endlich operieren und kurieren würden, wie der Doktor es versprochen hatte? Schließlich überwand ich mich und steckte ihm einen Kassiber zu, dass wir uns treffen müssten.  Achtundvierzigstunden bevor er sein neues Auto geschreddert hätte. Es war eigentlich ganz einfach und ich musste auch nichts machen, außer die Tat zu begehen, ihn bis zur Gartenlaube zu begleiten. Von da an übernahmen der Doktor und der Chirurg mein Paket. Sie war an dem Abend auch da. Dieses Mal berührte sie mich nicht, sondern meinte nur „Schade.“ Ich lächelte verlegen, wollte sie küssen aber sie ahnte was ich vorhatte und behielt ihren Stolz. Scheiße.

Sie hatten ihn geschreddert. Gründlich. War er vorher noch ein stolzer Mensch gewesen, so war er jetzt eine Marionette. In ganzen drei Stunden hatten sie ihm die Schädeldecke abmontiert, die Leitungen neu verlegt und dann wieder zusammengeschraubt. Aber jetzt war er nur noch eine Karikatur. Er erinnerte mich an McMurphy aus dem Kuckucksnest nach seiner Lobotomie. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Aber von nun an sehr geizig und leidenschaftlich am sparen. Er genoss unser aller Anerkennung und sein Wagen war Bombe.
Wäre das eine Weihnachtsgeschichte, so wäre sie vollends pervertiert. Leider kann ich nicht für mich in Anspruch nehmen, der Indianer zu sein oder damit, dass ich mir mit einem Waschbeckenweitwurf Freiheit aus meinem Knast verschafft hätte. Nein, leider nicht. Leider? Ich habe seitdem viel ins Klo onaniert, OK, aber ich bin eben treu und protestantisch und froh darüber dass es aufgehört hat.


Anmerkung von Lala:

Von fdöobsah, Bergmann, Gastltis, Bergmann, Mara, Uckelmuckel,FickiFicki, Habakuk, Puschmütze, Lara,Lulu,lola, Susi, Strolch, InspectorDoppler, Friseurschwengel, toltec-head, isensee, ProffürneueVorzimmerdamen, volkmann, Volker, Volk, Vlk empfohlen worden.

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Kommentare zu diesem Text

KeinB (34)
(29.06.14)
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 Lala meinte dazu am 29.06.14:
Treffer. Ich habe schonmal angefangen und mir auch wieder die Werkzeuge für Legastheniker und Schlamper heruntergeladen. Mit dem Vorwurf den Text ganz schön scheiße aussehen zu lassen, hast Du mich motiviert,denn das Schreiben ging überraschend flott und daher hatte ich nur darauf gehofft, dass die Geschichte irgendwie funktioniert. OK, jetzt muss Butch (Lala) Baby hübsch machen (siehe Vincent Price in Theatre Of Blood).
KeinB (34) antwortete darauf am 29.06.14:
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 Lala schrieb daraufhin am 29.06.14:
Abwarten :)
Patroklos (36)
(29.06.14)
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 Lala äußerte darauf am 29.06.14:
Soll ich Dir jetzt dafür einen blasen oder Dir eins auf die Schnauze hauen? Hilf mir mal bitte. Danke.
Patroklos (36) ergänzte dazu am 29.06.14:
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 Lala meinte dazu am 29.06.14:
Das eignet sich aber nicht zum Märtyertum.

Wie auch immer: Dein erster Kommentar hat nichts zu bedeuten, ist auf die Kacke gehauen und dafür gibts weder auf die Fresse und schon gar nicht mein Schwänzlein.
(Antwort korrigiert am 29.06.2014)
Patroklos (36) meinte dazu am 29.06.14:
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 Lala meinte dazu am 29.06.14:
Wenn der Kuchen nicht aufgeht, taugt er nichts. Schade.

 Isaban (29.06.14)
Hach, es war mirt ein Vergnügen!

Ich steh auf deine abgedrehten Geschichten - und mein Nachbaqr guckt auch schon seit Wochen komisch. Der kehrt ununterbrochen unsere Gasse - und zwar von ganz unten nach ganz oben.

Ich hätte da übrigens ein paar Anregungen, Großer. Ich fang mal mit dem ersten Abschnitt an und setze sie in Klammern zu den entsprechenden Textstellen, ok? Rest folgt, wenn die Zeit es erlaubt.

Liebe Grüße

Sabine

"Ich lebe in einer durchschnittlichen Wohnstraße in einem durchschnittlichen Bezirk einer Großstadt. Vor einem halben Jahr hatte es angefangen. Aus dem Nichts. Der Nachbar gegenüber hatte schon jahrelang (lebte bereits jahrelang - hatte gelebt würde heißen, dass er nicht mehr - und nie wieder ...) unauffällig in unserer Mitte gelebt. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass er derart verhaltensauffällig werden würde.
Es begann an einem Samstagvormittag. Ein hässliches Geräusch weckte mich aus meinen Träumen aus (in) meinem Ehebett. Mit verschwiemelten Augen versuchte ich vom Balkon aus zu erkennen, welches Geschehen sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite ereignete. Ein Mann, den ich als unseren Nachbar erkannte (Komma) war offenkundig dabei, eine Passantin mit einer Motorsäge zu zerstückeln. Jedenfalls glaubte ich das einen Moment, weil die Alte zornig herumkeifte und ihn einen „Idioten“ nannte. Ihre Stimme war noch grausamer als das Sägegeräusch. Aber (warum "aber"? )dass ich mich geirrte hatte, erkannte ich daran, dass ihre Stimme statt der Säge nicht erstarb."

 Lala meinte dazu am 29.06.14:
Hallo isaban,

danke für die Textarbeit und das allgemeine Wohlwollen. Aber nun hatte ich mich ja schon selbst dran gemacht und geändert und bin noch am ändern wie ich KeinB schon schrieb. Daher wurstel ich erstmal weiter.

Gruß

Lala
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