Dnipro
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Kompasssolarskop

Text zum Thema Technik

von  bluedotexec

„An solchen Tagen hat man das Gefühl, die Welt wäre völlig verrückt geworden.“ Sagte der Mann im Frack. Seit seinem Einwurf waren zehn Minuten vergangen, und in dieser Zeit waren alle drei schweigend voran geschritten.
Molly fiel auf, dass er außen vor ließ, ob er den Tag der Dnipro-Katastrophe oder den heutigen meinte. Zu beidem würde der Satz passen.
„Swetlana Sokolowa Worobjow.“ Sagte die Pilotin.
„Ist das ihr Name?“ Fragte Molly. Die Pilotin lächelte. „Ja. Du kannst Swetka zu mir sagen. Das ist einfacher. Und netter.“
„Kürzt man das so ab?“ Fragte Molly.
„Sozusagen. Man verniedlicht auf diese Weise. Die russische Sprache ist ein wenig sonderbar, zumindest in dieser Hinsicht.“
„Ich kenne mich mit Sprachen nicht gut aus. Ich spreche nur Rumänisch und natürlich Englisch. Und ein bisschen Französisch. Eben so viel mir mein Großvater beibringen konnte.“
„Dein Großvater hat dir Französisch beigebracht?“ Fragte Swetka erstaunt. Es war in Siebenbürgen unüblich, dass überhaupt jemand Fremdsprachen sprach, und es gab eigentlich nur einen Grund, aus dem ein alter Mann Französisch sprechen kann.
„Er war Kapitän eines Luftschiffs.“ Sagte Molly, und obwohl sie sich darum bemühte, ihn zu unterdrücken, ließ sich der Stolz doch nicht ganz aus ihrer Stimme verbannen.
„Na ja,“ versuchte sie dann jedoch, zurückzurudern, „Er hatte eine Vapeurette, die Lady Copperhead.“
„War er beim Fährdienst oder beim Postnetzwerk?“ Der sonderbare Mann vor ihnen gesellte sich wieder zu ihrer Unterhaltung.
„Beides.“
„C-13.“ Sagte Swetka.
„Wie bitte?“ Fragten Molly und der Mann gleichzeitig.
„C-13. Das ist deine Kabine, zumindest steht das auf deinem Ticket.“
Molly biss sich auf die Lippe. Sie hatte sich mitreißen lassen.
„Auf Wiedersehen, Molly. Wir sehen uns sicher nocheinmal wieder.“ Sagte Swetlana, blickte sich dann mit einem Blick um, in dem Unsicherheit aufflackerte, und fügte hinzu: „Es gibt ja keinen Ort, an den wir ausweichen können.“
„Keine Angst, Lady Worobjow. Dem Schiff zu misstrauen, heißt, der Crew zu misstrauen, und wir wollen den Kapitän doch nicht beleidigen.“ Sagte der Mann im Frack ruhig zu ihr. In seiner Stimme schwang keine Spur von Spott oder Gehässigkeit mit.
„Auf Wiedersehen.“ Sagte Molly und schloss leise die Tür hinter sich.
Das eintönige Murmeln der Passagiere, getragen von Aufregung und Nervosität verstummte. Schlagartig war es still um sie herum, wenn man vom tiefen Brummen und Stampfen absah, das aus dem fernen Maschinenraum durch Holz, Kupfer und Messing zu ihr durch drang. Zum ersten Mal seit Stunden war sie allein mit sich selbst.
Molly schloss die Augen, atmete einmal tief durch und öffnete sie wieder. Die beiden Bullaugen waren immer noch da. Auch das Holz, das Waschbecken, die Kommode in der Ecke. Die Hängematte, die sich zwischen den beiden Holzsäulen spannte. Das Geld hat hatte nicht ganz für eine vollwertige C-Kabine gereicht, was bedeutete, dass sie in einem Quartier wohnen würde, das der Kabinenservice nur auf Wunsch bedienen und reinigen würde. Gegen Aufpreis, selbstverständlich. Die Alternative wäre jedoch gewesen, auf das Bordrestaurant zu verzichten und sich selbst zu verpflegen, und das war – zumindest in Mollys Augen – das größere Übel als eine Hängematte.
Sie schloss die Augen noch einmal.
Kalina Bogdan.
Der Name half nicht im Mindesten dabei, das ganze Erlebnis wirklicher zu machen. Ihre Sinne verrieten ihr die Wahrheit, doch sie traute ihnen nicht, konnte ihnen nicht trauen. Die Wahrheit war zu unglaubwürdig. Sie ließ ihre Tasche auf den Boden gleiten, legte langsam Schal und Jacke ab und zog ihr Leinenkleid ordentlich zurecht. Dann fasste sie den Entschluss, für genau fünf Sekunden aus dem Fenster zu sehen. Und das, was sie dann sehen würde, würde sie glauben. Sie schritt erhobenen Hauptes zur gegenüberliegenden Wand, öffnete – noch ohne hinzusehen – eines der Bullaugen, und hielt den Kopf in die kühler werdende Abendluft hinaus.
Sie sah nach unten. Dort, weit entfernt und im Dunkel kaum noch auszumachen, war der Boden. Geradezu lächerlich, dass er dort unten war und sie hier oben. Sie sah aufwärts in den Nachthimmel, den Sternen entgegen, und fragte sich, wer sie dort hin getan hatte. Ob sie wohl genau so über den Boden dachten, wie Molly über den Himmel?
Dann sah sie nach links, an der Schiffswand entlang, und sie sah noch viele andere Bullaugen, aus denen Leute ihre Köpfe steckten, Hüte und Hauben, Kopftücher und Zylinder, die sich in alle Richtungen wanden und vermutlich genau das gleiche Empfanden wie Molly.
Sie zog den Kopf zurück, schloss konzentriert das Bullauge wieder und setzte sich auf einen der beiden Stühle in ihrer Kabine.
Nun gut.
Das ist also die Wahrheit.
Kalina Bogdan.
Ihre Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln, ein Lächeln, das zu einem Grinsen wurde, und schließlich zu einem Lachen. Sie stand wieder auf und sagte leise, mehr zu sich selbst:
„Wie soll man daran glauben?“
Nachdem sie sich einige Minuten später wieder etwas beruhigt hatte und ihr Hochgefühl verebbt war, machte sie sich daran, ihre Habseligkeiten in die Kommode zu sortieren, zugegeben, keine besonders langwierige Arbeit.
Doch ganz am Boden ihrer Tasche erreichte sie schließlich den Gegenstand, dessentwegen sie sich überhaupt die Mühe machte.
In die bugwärts gelegene Wand war ein Tresor eingelassen, ein Standard in jeder Kabine, schließlich hatten die meisten Leute an Bord weitaus wertvollere Gegenstände im Gepäck als Molly. Doch dieser eine Gegenstand war wichtiger als alles andere, wichtiger sogar als die Bordkarte.
Sie hob das dünne Holzfurnier an, mit dem der Boden ihrer Tasche verstärkt war, und förderte ihn darunter zu Tage. Im orangenen Licht der anbarischen Beleuchtung der Kabine glitzerte das Messing noch viel mehr, und das gelbe Leuchten des Goldes erschien noch viel intensiver als gewohnt.
Das Kompasssolarskop von Hank O'Connell.
Als ob sie vermeiden wollte, dass jemand, der gar nicht da war, einen Blick darauf werfen konnte, steckte sie es schnell in den Tresor in der Wand, warf die Tür fester wieder zu als beabsichtigt und drehte schnell beide Schlüssel nacheinander wieder um, erst den oberen, dann den unteren. Es war wichtig, sich das zu merken, das wusste sie. Würde sie die Schlüssel beim Aufschließen in umgekehrter Reihenfolge drehen, bliebe der Tresor versperrt. Dann müsste sie die Peinlichkeit ertragen, den Sicherheitsoffizier herunter zu bemühen, und viele noch peinlichere Fragen über sich ergehen lassen.
Sie zog ihre kleine Taschenuhr hervor und sah auf die Zeiger. Das Ziffernblatt hatte sie entfernt, um direkt in den Mechanismus sehen zu können, denn das gleichmütige voranschreiten der Zahnräder, jedes in seinem eigenen Rhythmus, ganz wie es ihm beliebte, ohne dass die Uhr jemals falsch ging, schien eine beruhigende Wirkung auf sie auszuüben.
Es war jetzt sieben Uhr. In einer Stunde würde es schon Abendessen geben, und sie hatte sich noch nichts vom Schiff angesehen.
Sie nahm ihre Jacke vom Haken, stopfte ihren zweiten, warmen Wollschal in den Ärmel und warf sich die Jacke über die Schulter. Dann zog sie die Tür auf und schlüpfte hinaus auf den Gang.
Der nicht enden wollende Strom von Passagieren war endlich versiegt, und der Gang war fast leer. Der rote Teppich auf dem Boden dämpfte nicht nur die Schritte, sondern auch jedes andere Geräusch im Gang auf eine sehr seltsame, ihr ungewohnte Weise ab.
Unschlüssig stand sie auf dem Gang und verlagerte ihr Gewicht abwechselnd auf den linken und den rechten Fuß. Wohin zuerst? Es zog sie an Deck, doch sie wusste, dass sie sich diesen Gipfel des Glücks aufheben würde. Womöglich würde sie bewusstlos werden vor Begeisterung, und sie wollte weder das Abendessen verpassen, noch ihren ersten Abend auf der Kalina Bogdan auf dem Lazarettdeck verbringen.
Auf der anderen Seite reizte es sie, die Treppe nach unten zu nehmen, doch sie konnte nicht einfach so durch den Maschinenraum wandern. Nein, dachte sie verschmitzt, ich muss einen der Heizer umgarnen, wenn er gerade keine Schicht hat, um dort hindurch geführt zu werden. Gleiches galt für den Navigationsraum mit seinen Informationskabinetten. In dem Moment fiel es ihr ein: Was hatte Kapitän Asherton gesagt? Im Salon gab es eine zwölf Meter durchmessende Glaskuppel.
Also würde ihr erster Spaziergang sie in den Bug führen.
Sie wandte sich nach links und ging zügigen Schrittes in Richtung der Spitze des Schiffs.


Kalina Bogdan. Kalina Bogdan. Kalina Bogdan. Der Name rotierte wie ein sich verselbstständigendes Mantra schien es bei gleichbleibender Lautstärke von den Wänden ihres Kopfes wiederzuhallen.
Großvater Hank hatte ihre Fertigstellung nicht mehr miterlebt, aber er hatte von der Planung gehört, er hatte Ausschnitte der Blaupausen aus den Zeitungen ausgeschnitten und ihr gezeigt. Zu der Zeit, vor zwei Jahren, hatte er seine Copperhead längst auf Kiel gelegt, und seine Luftschifferseele war ein wenig zur Ruhe gekommen, doch mit den ersten Berichten über das größte Schiff der BLFC-Flotte kehrte die alte Liebe zurück in seine Glieder. Gelegentlich hatte er sich noch die Brazen Queen ausgeliehen, die neue, zweite Vapeurette der Poststelle in Coltesti. Aufgrund seiner guten Beziehungen und seines hervorragenden Rufs konnte er es arrangieren, dass er das Schiff nach der halbjährlichen Routinewartung zur Probe ausleihen konnte, und so hatte Molly zum ersten Mal ein Luftschiff gesteuert. Ein Holzrumpf, schnörkellos und unverziert, der mit ein paar lächerlichen Seilen unter einem Flottacorpus befestigt war, angetrieben durch zwei Dampfmaschinen, gesteuert über einen komplexen Mechanismus, dessen genaue Beschaffenheit ihr zwar unbekannt war, die sie aber schon bald durchschauen würde. Da war sie sich sicher, und genau so passierte es.
Hank stand über ihr und hielt das Steuerrad fest in beiden Händen, und als sie zu ihm hinauf sah, seinen fest, doch ruhig in die Ferne gerichteten Blick, und hinter diesem Motiv den blauen Himmel, in der Mitte geteilt durch die Außenhülle des Flottacorpus, wusste sie, dass es nirgends am Boden einen sichereren Ort für sie gab, als sie auf diesem Schiff gefunden hatte.
Hanks Augen senkten sich und durchdrangen den silbrig-grauen Bart. Irgendwo in dem Gewirr von Haaren gingen seine Mundwinkel in ein Lächeln über. Sechshundert Meter unter ihnen wogten die goldenen Weizenfelder Coltestis im Wind, ein alberner Gedanke. Überhaupt – dass dort unten ein Leben stattfinden sollte, von dem behauptet wurde, es sei genau so wichtig wie das, was in dieser Sekunde am Steuer der Brazen Queen von sich ging.
„Jetzt du.“ Sagte Hank.
Und Molly legte ohne zu zögern die Hände auf die Griffe des hölzernen Steuerrades.
Jetzt begann ihr Leben.


„Verzeihen Sie, junge Miss, kann ich Ihnen behilflich sein?“
Einer der Pagen riss sie aus ihren Erinnerungen. Ihre Augen waren noch ein wenig glasig, als sie sagte, wo ihr Ziel lag.
„Der Salon, aber natürlich. Sie nehmen bitte das C-Treppenhaus, welches sich hinter der nächsten Abzweigung nach links befindet, und gehen ein Stockwerk tiefer. Von dort aus gehen Sie weiter bugwärts. Sie kommen durch die Backbord gelegene Tür des Salons. Außerdem ist das C-Treppenhaus der schnellste Weg, um vom Salon aufs Hauptdeck zu gelangen.“ Er zögerte. „Das Hauptdeck ist für die meisten Gäste das erste Ziel an Bord eines Passagieraguillators.“
Molly grinste. „Das kann ich mir denken. Nein, das hebe ich mir für später auf.“
Der Page grinste ebenfalls. „Eine Kennerin.“ Er deutete eine Verbeugung an. „Einen schönen Abend wünsche ich noch.“
Molly wandte sich wieder bugwärts, dann bog sie rechts ab und stieg die Treppe hinab. Der nächste lange Gang mit Türen auf beiden Seiten.


Die Brazen Queen legte sich in eine scharfe Linkskurve. Unter Großvater Hanks wachen Augen drehte sie das Steuerrad mal nach Backbord, mal nach Steuerbord, und mit leichter Verzögerung folgte das Luftschiff ihrem Dirigat. Inzwischen war die Geschwindigkeit hoch genug, dass Molly das Schiff ins Inclinée trieb, das hieß, dass die Fliehkraft den Rumpf des Schiffs dazu veranlasste, sich weiter in die Kurve zu legen als der Flottacorpus, wodurch das Luftschiff die Kurve in Schräglage passierte. Geübte Kapitäne konnten ein Luftschiff so weit Inclinieren, dass man über der  der Kurveninnenseite zugewandten Reling den Erdboden sehen konnte. Molly erweckte den Eindruck, die Welt nach Belieben hochkant stellen zu können.
Und während sie die kleine Vapeurette hin- und herschwingen ließ, sagte Großvater Hank plötzlich:
„Molly. Navigiere uns bitte zurück zum Lufthafen.“
Molly korrigierte das Ruder und brachte die Brazen Queen wieder auf einen geraden Kurs.
„Wie bitte?“ Fragte sie irritiert.
„Wir müssen das Schiff bald wieder zurück geben. Die Sonne geht unter.“ Er sah nach Westen.
„Aber in welche Richtung liegt der Hafen?“
Hank lächelte geheimnisvoll. „Lass' uns so tun, als wüsste ich das auch nicht.“
Sie sah ihn verwirrt an.
„Und wie kommen wir dann zurück?“
„Du musst navigieren. Einen Kurs planen. Dafür brauchst du eine Karte. Und das hier.“
Er hob seine alte lederne Posttasche vom Boden auf und klappte sie auf.
„Das ist ein Kompasssolarskop. Es ist sehr wertvoll, also sei vorsichtig damit!“
Sie betrachtete den Gegenstand. Es handelte sich um ein Gerät von der Größe einer Wassermelone, doch es war erheblich leichter. Es hatte an der rechten Seite eine Lederschlaufe, in die man seine Hand stecken konnte, um das Okular an die Augen zu heben, welches auf einem flachen Ring aus einem leichten goldenen Metall ruhte. Im Zentrum des Geräts befand sich ein kompliziert aussehender Uhrwerk-Mechanismus, der mit einer kardanischen Aufhängung gekoppelt war, und das Herz dieser Aufhängung bildete eine gläserne Sphäre von der Größe einer Kinderfaust, in dem eine Kompassrosette zu schweben schien. Dem Okular gegenüber lagen zwei Röhren, von denen eine an einem Winkelmesser befestigt war.
„Es sieht zerbrechlich aus.“ Sagte Molly erfürchtig.
„Es ist robuster, als du glaubst, mein Engel.“ Sagte Hank fröhlich. „Ich erkläre dir, wie man es benutzt. Wenn du durch das Okular blickst, siehst du ein zweigeteiltes Bild.  Auf der einen Seite siehst du vorne aus dem schwenkbaren Objektiv heraus, auf der anderen aus dem Feststehenden.“
Sie blickte durch das Okular.
„Ja.“
„Sehr gut. Jetzt richtest du das starre Objektiv direkt auf die Sonne. Hab keine Angst, ich klappe dir den Filter herunter.“ Er löste eine kleine Arretierung.
Das Bild wurde dunkel. Sie hob das Kompasssolarskop an, bis die helle Scheibe der Sonne im Sichtfeld auftauchte.
„Sehr gut.“ Sagte Hank, als Molly die leichten Schwenkbewegungen einstellte. „Und nun klappst du den Winkelmesser herunter, bis du im anderen Fenster den Horizont sehen kannst.“
Sie stellte das Gerät entsprechend ein.
„Und nun pass' gut auf.“ Hank löste ein weiteres Hebelchen und schwenkte ein Glasprisma in den Strahlengang des starren Objektivs. In Mollys Sichtfeld erschinen Zahlen, die im Glas des Prismas eingeätzt waren.
„Du kannst mit diesem Rädchen die Uhrzeit einstellen. Anhand der Uhrzeit kannst du nun ermitteln, wie hoch du dich über dem Erdboden befindest. Außerdem kannst du im Almanach nachlesen, über welchem Punkt der Erde sich die Sonne zum Zeitpunkt der Messung befunden hat. Wenn du die Messung einige Zeit später wiederholst, dann kannst du aus den Winkeln zwei Kreise auf der Karte einzeichnen, die sich zweimal schneiden werden. Der Nähere der beiden Schnittpunkte ist deine eigene Position. Diese Messung kannst du auch mit jedem anderen Stern durchführen, zum Beispiel bei Nacht.“
„Was ist der Almanach?“ Fragte Molly. Sie sog jedes seiner Worte auf wie ein Schwamm, und sobald sie wieder zuhause waren, würde sie alles, woran sie sich erinnerte, in ihr Tagebuch schreiben.
„Das ist ein Handbuch, das auf jedem Luftschiff in Reichweite des Rudergängers liegen muss. Es enthält Tabellen, Daten und Formeln, die für die Navigation unerlässlich sind. Selbst die Aguillatoren müssen gelegentlich darauf zurückgreifen, wenn die Anbarik ausfällt.“ Er lächelte. „Anbarik ist großartig, solange sie funktioniert.“
„Und wie finden wir jetzt zurück zum Coltesti-Hafen?“
Hank warf gelassen einen Blick auf seine Taschenuhr.
„Dreh' das Solarskop um und sieh' jetzt durch das Okular, aber richte diesmal den Winkelmesser auf die Sonne. Dann klappst du das Zeitenprisma zurück. Wenn du dann das Hebelchen daneben drückst, klappt ein zweites Prisma in den Strahlengang und du kannst den Ausschnitt der Kompassrosette sehen, der in die Richtung zeigt, in die du blickst. Da du durch die Positionsbestimmung weißt, wo du dich genau befindest, kannst du jetzt auf der Karte eine Linie von Norden durch deine Position ziehen. Dann schaust du nach dem Symbol für den Coltesti-Hafen und ziehst von dort aus ebenfalls eine Linie durch deine eigene Position.“
Molly versuchte, sich das ohne die Karte vorzustellen, doch es klappte nicht. Hank lächelte.
„ich zeige dir das heute Abend im Wohnzimmer auf einer richtigen Karte. Der Winkel, den du jetzt gezeichnet hast, ist jedenfalls der Winkel, in dem du zum nördlichen Kurs navigieren musst. So.“ Schloss er seine Unterrichtsstunde. „Das bedeutet, dass du einen Zweihundertzweiundneuzig-Grad-Kurs ansteuern musst.“
Sie richtete das Solarskop auf die Nord-Markierung und drehte sich nach links um die eigene Achse, bis sie den entsprechenden Strich auf der Rosette sah.
„Schau' dir den Horizont an. Findest du eine Auffälligkeit, an der du dich orientieren kannst?“
Molly zog die Augenbraue hoch. „Ja. Das Leuchtfeuer vom Coltesti-Hafen.“ Sagte sie trocken. Es befand sich bisher hinter dem Heckaufbau, deswegen hatte sie es nicht sehen können, doch die Vapeurette hatte sich im Wind gedreht, so dass das Feuer inzwischen ins Sichtfeld gerückt war.
Großvater Hank lachte. „Ja, genau. Du richtest den Bug genau danach aus. Aber was würdest du machen, wenn dein Ziel in eintausend Meilen Entfernung läge und du sein Leuchtfeuer nicht sehen kannst?“
„Ich würde mir auf der Karte einen markanten Punkt, etwa einen Berggipfel oder einen Turm, suchen und den Winkel bestimmen, in dem ich daran vorbei navigieren müsste, um auf meinem Kurs zu reisen.“ Sagte Molly.
Hank legte ihr die Hand auf die Schulter. „Du bist so klug, meine kleine Molly.“
Sie legte das Solarskop zurück in die Tasche und richtete das Luftschiff auf den Hafen. Dann nahm Großvater Hank das Steuerrad wieder in die Hand. Schließlich sollte keiner der Postangestellten sehen, dass ihre wertvolle Brazen Queen von einem jungen Mädchen gesteuert wurde.


Sie schob die beiden Türflügel auf. Dahinter erstreckte sich der Salon.


Anmerkung von bluedotexec:

Deinetwegen schreib' ich tatsächlich weiter.
EDIT: Leider lässt sich der Text nicht so formatieren, dass man die Absätze mitbekommt, so dass die beiden Rückblenden nicht abgesetzt sind. Zumindest beim Internet Explorer. Sorry dafür.

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